Parteitag der Linken: Die Linke fürchtet radikalen Zweifel
Um den inneren Frieden zu wahren, scheut die Partei schwierige Fragen. Das ist unentschlossen und feige. Notwendig wäre ein linker Robert Habeck.
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A uf dem Parteitag der Linken war sehr oft und laut zu hören, dass man solidarisch mit der Ukraine sei. Noch lauter und noch öfter war zu hören, dass man auf keinen Fall Waffen an die Ukraine liefern will. Denn Waffenexporte sind böse, so wie Nato oder Geld für die Bundeswehr. Zwischen der wohlfeilen, weil folgenlosen Solidaritätsbekundung und dem Nein zu Waffenlieferungen klafft ein moralischer und intellektueller Abgrund, den die Partei entschlossen ignoriert.
Denn de facto bleiben der Ukraine, wenn es nach der Linkspartei geht, nur Kapitulation und die Unterwerfung vor der russischen Aggression. Nur Wulf Gallert fragte selbstkritisch, ob man nicht viel zu lange blind für den russischen Imperialismus war und mit der dröhnenden Selbstbeweihräucherung, die einzige Friedenspartei zu sein, nicht Wählerinnen vertreibt. Gallert fiel bei der Kür der Vizeparteichefs durch.
Die Linkspartei glaubt innig an die Kraft der Worte und ringt hart um jedes Komma in Parteitagsbeschlüssen. Dass sie sprachlos einfach die offensichtlichen eigenen Widersprüche übergeht, ist ein Desaster. Ja, es stimmt: Wagenknechts unverhülltes Putin-Appeasement ist auf dem Parteitag sang- und klanglos untergegangen.
Auch einen Antrag, in dem der russische Überfall als rhetorischer Kniff benutzt wurde, um die übliche, längliche Verdammung des Nato-Imperialismus zu beschwören, unterstützte nur ein Drittel der GenossInnen. Das ist für das neue Führungsduo Janine Wissler und Martin Schirdewan eine gute Nachricht. Denn sonst wäre ihr Versuch, ein handlungsfähiges Machtzentrum zu bilden, gleich am ersten Tag zu Bruch gegangen. Die innere Konsensbildung in der Partei funktioniert also einigermaßen.
Aber – mehr auch nicht. Die Linkspartei ist entschlossen, den Schock des 24. Februar von sich fernzuhalten Die komplizierte Frage lautet: Lässt sich die antimilitaristische Tradition der Partei mit einer realitätstauglichen und nicht bloß deklamatorischen Haltung zum russischen Angriffskrieg verbinden? Welche Teile dieser Tradition sind bewahrenswert, welche gehören auf den Müllhaufen der Geschichte?
Dafür müsste die Linkspartei zulassen, was sie fürchtet: radikalen Zweifel. Sie bräuchte jemanden wie Robert Habeck, eine Figur, die es versteht Überzeugungen und die Zumutungen der Wirklichkeit zu verbinden. Doch die GenossInnen scheuen diese Konfrontation und fliehen in heimelige, alte Gewissheiten. Das mag den innerparteilichen Frieden bewahren. Der Gesellschaft hat eine intellektuell derart feige Partei nichts mehr mitzuteilen.
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