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Die Zukunft der LinksparteiEine Partei auf Sinnsuche

Stefan Reinecke
Kommentar von Stefan Reinecke

Die Linkspartei verliert Wahlen und macht unverdrossen weiter wie immer. Sie muss entscheiden, was sie will, sonst wird sie bedeutungslos.

Die Partei droht zu einer linken Sekte zu werden, findet unser Autor Foto: Imago

D er Soziologe Robert Michels schrieb vor mehr als hundert Jahren: „Die Organisation ist die Mutter der Herrschaft der Gewählten über die Wähler.“ Adressiert war seine Analyse an die Sozialdemokratie vor 1914. Der revolutionäre Schwung der SPD sei, so der linkssozialistische Soziologe, in der Organisation verloren gegangen. Jede Partei habe die Tendenz, eine verselbstständigte Parteibürokratie auszubilden, die letztlich nur das eigene Überleben im Sinn hat.

Dieses „eherne Gesetz der Oligarchie“ legt sich wie Mehltau über die Parteien. Bei bürgerlichen Parteien, die als Machtmaschinen Interessen bündeln, fällt das weniger auf als bei linken, die Idealen wie Fortschritt und Befreiung verpflichtet sind. Die Linkspartei wirkt derzeit in manchem wie eine Illustration dieser Analyse. Der Sinn der Partei erodiert, doch der Apparat von Fraktion und Partei genügt unbeeindruckt sich selbst.

Eine 39-köpfige Parlamentsfraktion, in der sechs frühere Partei- oder Fraktionsvorsitzende sind, wirkt wie ein Ausrufezeichen der These, dass Parteieliten dazu neigen, Strukturen zu nutzen, in denen Geld fließt. Nachdem die Linkspartei bei der Bundestagswahl ein deprimierendes Ergebnis erzielte, passierte – nichts. Niemand übernahm Verantwortung, niemand trat zurück. Die Beharrungskräfte des Apparates erstickten die naheliegende Idee, dass man schleunigst etwas verändern muss, wenn es nicht weiter abwärts gehen soll.

Für Michels war die bürokratische Erstarrung der Sozialdemokratie ein unvermeidlicher Kollateralschaden ihres Aufstiegs. Sie wuchs – und wurde ängstlicher. Bei der Linkspartei ist die innere Verholzung ein Effekt ihrer Schrumpfung. Sie wirkt von Niederlage zu Niederlage verstockter und unbeweglicher. Anders als in der autoritär-sozialdemokratischen Top-down-Partei, die Michels beschrieb, bildet der Apparat hier auch nicht das Machtzentrum, das die Organisation lenkt.

Deprimierende Bundestagswahl

Ein in der Linkspartei 2022 ist der Apparat nur ein Puzzleteil unter vielen, die Partei ein loser Verbund von Strömungen, Fraktionen und miteinander oft in inniger Abneigung verkeilter Gruppen und Grüppchen. Was AntikapitalistInnen und TechnokratInnen, Regierungsfans und -gegnerInnen, Bewegungslinke und gewerkschaftlich Orientierte, junge woke AktivistInnen und Traditionslinke zusammenhält, ist fraglich.

Diese Fliehkräfte werden seit fast zehn Jahren durch machttaktische Bündnisse eingehegt – um den Preis, als Partei kaum noch erkennbar zu sein. Steht die Linkspartei in der Russlandfrage für die kalte Appeasementpolitik von Sevim Dağdelen oder für Bodo Ramelow, der Waffenlieferungen an die Ukraine befürwortet? In der Klimapolitik für radikale Maßnahmen oder angezogene Handbremse? Diese Liste lässt sich sehr lange fortsetzen. Die Partei stürzt sich mit Lust in identitätspolitisch aufgeladene Fehden.

Stefan Reinecke

arbeitet im Parlamentsbüro der taz und befasst sich dort vor allem mit der SPD.

Ihr fehlt die Fähigkeit, Positionen kommunikativ zu verbinden – vor allem aber der Mut, Grenzen zu ziehen. Dağdelen zieht auch nach Putins Überfall auf Kiew gegen die „Aufrüstung des Westens“ zu Felde und unterstellt der Ampel, „per Wochenbefehl den ‚Sieg‘ gegen Russland“ zu fordern. Dağdelen und andere haben sich in ein antiimperialistisches, gegen die Realität sorgsam abgeschottetes Paralleluniversum verabschiedet, in dem, egal was passiert, immer Nato, USA, Regierung Schuld sind.

Sevim Dağdelen unverändert russlandtreu

Sie ist immer noch Obfrau der Fraktion im Auswärtigen Ausschuss. Ein steuerndes Zentrum, das Strategien entwirft und imstande ist, sie durchzusetzen, ist nicht in Sicht. Das wird wohl so bleiben, egal ob die GenossInnen in Erfurt Martin Schirdewan oder Sören Pellmann, Janine Wissler oder Heidi Reichinnek wählen. Die Lage wirkt paradox. Die Partei verliert an Kraft, an WählerInnen und Mitgliedern. Und sie wird gleichzeitig immer manövrierunfähiger.

Diese Mixtur aus Unbeweglichkeit und Beliebigkeit ist recht einmalig in der deutschen Parteiengeschichte. Ist die Fesselung in dieser selbst konstruierten Falle ausweglos – oder gibt es noch Spielräume? Gregor Gysi hat kürzlich skizziert, dass die Partei in erster Linie für „Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer“ da sein soll, erst in zweiter Linie für Studierende, Arbeitslose oder Geflüchtete.

Das war eine Parteinahme in dem mit viel Affektaufwand betriebenen innerparteilichen Kampf zwischen TraditionalistInnen und Linksliberalen. Das Interessante liegt jenseits der innerparteiliche Markierungen, für die Echoräume in der Wirklichkeit fehlen. In den Gewerkschaften spielt die Partei, anders als vor zehn Jahren, nur eine randständige Rolle.

Zur klimaneutralen Transformation der Industrie, dem größten Umbau der Arbeitsgesellschaft seit Jahrzehnten, hat sie weder theoretisch noch praktisch viel beizutragen. 12 Euro Mindestlohn, auf den sie das Copyright hatte, setzt die Ampel um. Die Linkspartei ist 2022 kaum mehr in der Lage, die Interessen von ArbeiternehmerInnen zu vertreten.

Die Partei droht zu einer linken Sekte zu werden, einer Art größeren DKP (jedenfalls wenn der Wagenknecht-Dağdelen-Flügel sich nicht selbst abspaltet). Wo die Partei noch Realpolitik macht, in Berlin, Bremen, Schwerin und Erfurt, kann man vielleicht noch eine Weile überwintern. Landtagswahlen sind zunehmend abgekoppelt vom Bundestrend. Das verschafft eine Schonfrist.

Links von der Ampel bleibt viel Platz“, sagt Parteichefin Janine Wissler und verweist auf steigende Mieten, wachsende Ungleichheit und Aufrüstung. Die Partei kann vielleicht Container kommender sozialer Protestbewegungen sein. Aber das ist eine etwas mechanische Idee von Politik in Zeiten, die von tumulthafter Ereignisdichte und einer launischen, stimmungsempfindlichen Wählerschaft geprägt sind.

Bauen kann man darauf jedenfalls nicht. Mit dem, was die Partei hätte werden können, eine linksreformerische Kraft, nicht so vermachtet wie die SPD, nicht so bildungsbürgerlich wie die Grünen, hat das nichts mehr zu tun.

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15 Kommentare

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  • Habe nie kapiert, warum linke Parteien immer an ihren "Idealen" gemessen werden (gegen die man ja nie gut aussieht), die C-Parteien aber nie am Christentum (was sie schamrot werden lassen müsste). Auch so ein Systemfehler.

  • Die Linksjugend ist antirassistisch, antifaschistisch, antisexistisch und das Feindbild sind alte weiße deutsche Männer.

  • Sorry, aber die "Linke" ist doch nur noch eine Umverteilerparte für Bildungsferne oder für Menschen, die sich aus anderen Gründen nicht an der Gesellschaft beteiligen wollen. Rezepte von gestern, Ideologie von vorgestern. Spitzensteuersatz ab 58k€ Jahreseinkommen - wie bitte? Wer dieser Partei zuhört und nicht völlig (altrrs)starrsinnig ist, der wählt sie nicht.

    • @Nachtsonne:

      Seit wann "Spitzensteuersatz ab 58k Jahreseinkommen"?

      "Die Linkspartei will Menschen mit einem Monatseinkommen von bis zu 6.500 Euro steuerlich entlasten. Der Spitzensteuersatz soll nach den Plänen der Partei künftig erst ab einem Einkommen von 70.000 Euro pro Jahr greifen, bei gemeinsam veranlagten Haushalten ab 150.000 Euro Jahreseinkommen."



      taz.de/Steuerplaen...kspartei/!5788133/

  • Ein großes Problem der Linken ist gerade das Ideal von "Fortschritt und Befreiung". Dies setzt ein Menschenbild voraus, bei dem es ein absolutes Ziel gibt, über das sich alle einig sind und auf das hin man Fortschritt erzielen kann. Die Befreiung setzt voraus, dass auf diesem Weg Hindernisse von "falschen" Menschen und Gruppen aufgebaut sind, die z.B. ihre Interessen vertreten, statt das universelle Ziel.

    Das sind, wie vieles andere, wichtige Aspekte - weswegen es die Linke braucht. Es sind aber eben nur Aspekte - weder gibt es so ein universelles Ziel, also auch nicht DEN Fortschritt, noch gibt es DIE Befreiung.

    Die Demokratie (wie sie ich und viele auffassen) beschränkt sich daher darauf, gewisse Regeln festzulegen, nach denen Interessen abgeglichen und zu Entscheidungen geführt werden. Sie legt kein absolutes Ziel fest. Nach Linkem Anspruch ist das viel zu wenig und ein Defizit der Demokratie - die ist aber eben nur ein Baustein und kann nicht alles.

    Linke kämpfen für das absolut Gute - das kann viel Kraft geben, ist aber auch oft hinderlich, weil darunter jeder etwas anderes versteht und man daher zu Grabenkämpfen neigt, weil außer der eigenen Gruppe alle nicht wirklich absolut gut sind.

    Bürgerlich-konservative Parteien haben es da leichter, weil sie pragmatischer am Machbaren und den real vorhandenen Interessen orientiert sind. Das ist oft auch kompatibler mit der Demokratie (die aber, wie gesagt, auch nur ein Baustein und nicht alles ist).

    Aber ohne eine Korrektur durch Ideale (auch wenn die nie absolut sein können) kann auch der pragmatische Interessenausgleich GaGa laufen. Insofern wäre es Schade, wenn sich die Linke ganz zerlegt.

  • "Bei bürgerlichen Parteien, die als Machtmaschinen Interessen bündeln, fällt das weniger auf als bei linken, die Idealen wie Fortschritt und Befreiung verpflichtet sind."

    Ja, ja, der alte Rousseau. Volonté de tous vs. volonté générale. Vielleicht sollte man sich als erstes mal von einem verklärten Selbstbild lösen.

    Natürlich versuchen auch linke Parteien Interessen zu bündeln. Das ist auch okay und was sollen sie auch sonst tun? Also etwas weniger Weihrauch und Politkitsch, bitte! Das Problem der Linkspartei besteht doch wohl darin, dass sie die volonté de tous gerade nicht mehr auf einen Nenner bringen kann. Mal ganz abgesehen von ihrem diktaturenaffinen Flügel.

  • Linke Parteien haben immer Probleme unterschiedliche Milieus zu bündeln und an den Wahlurnen Erfolge zu verbuchen. Ich bin mir nicht so sicher, ob es langt, die Partei jetzt abzuschreiben. Mir fällt immer wieder auf, dass sie vom Politikmanagement sehr wenig verstehen. Und ihre Milieus sind im Osten andere als im Westen, leider versterben viele treue Wähler im Osten, es wird dort in jedem Falle enger. Im Westen ist die Partei schon ziemlich abgeschlagen. Da passen Management und politische Kräfte nicht zusammen. In Hamburg führt eine Kurdin die Partei mehr oder weniger an. Sie hat die stärkste Anhängerschaft. Das könnte auf Dauer nicht reichen und Hamburg ist wohl eher noch gut. Alledings haben Organisationen auch Überlebenskräfte und gerade die Preissteigerungen und die konfliktreiche neue Zeit könnten der Partei auch nutzen. Mein Problem ist, dass mir die anderen Parteien von der Problemanalyse nicht ausreichen. Gerade SPD und Grüne erscheinen mir wie aus einer Wellness-Oase, da ist alles nett und artig, aber für Armut und bestimmte andere Themen ist niemand zuständig. Da hat die Linke durchaus Chancen dagegen zuhalten.

  • Sie redet immer nur vom "oben nach unten verteilen", nicht aber wo "oben" anfängt.

    Leider wird in diesem Land umgekehrt verteilt. Leider.

    • @Rasmuss:

      Träumerle ... wir haben hier ein semi-sozialistisches System, in dem 20 % die Kosten für 80 % mittragen.

      • @Erwin Schiebulski:

        Das könnte man schnell ändern mit anderen Stundenlöhnen.

        • @Rudolf Fissner:

          Wer soll das bezahlen, wer hat so viel Geld ....

  • Radfahrer, Veganer, Sprachschender,

  • Finde die Partei sagt sehr genau was sie will und wo sie steht. Hört man nur mal Dietmar Bartsch unter der Adresse: www.zdf.de/nachric...etContentType=news



    zu, dann weiß man auch, warum sie nicht soviele Wähler mehr hat. Im Augenblick kümmern die Leute sich ums knapp werdende Geld und denken, dass reiche Parteien sie reicher machen.

    • @linni:

      Dank Gysi und seinem Einsatz um das SED-Vermögen dürfte die Linke die reichste Partei in der Bundesrepublik sein

  • Was mich an der Linke am meisten stört: Sie redet immer nur über das Geld verteilen, nie aber wo das ganze Geld seriös herkommen soll.



    Sie redet immer nur vom "oben nach unten verteilen", nicht aber wo "oben" anfängt.



    Und so kommt es, dass jeder mit einem guten Einkommen die Linke meidet wie der Teufel das Weihwasser und jeder ganz unten eh nicht daran glaubt, dass die Linke was für sie tut.



    "Leistung muss sich wieder lohnen" wäre auch für die Linke der richtige Ansatz. Dass eine Friseuse nur knapp über H4+Nebenbezüge liegt ist schon mal ein ganz großer Fehler.



    Dass der Spitzensteuersatz von 42% schon bei 58.000 Jahresgehalt angesetzt wird ist der andere große Fehler.

    Aber sie lernen es wohl eh nicht und so ist deren Untergang unausweichlich.