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Parteiprogramme für die BundestagswahlDie Groko ist noch nicht gesetzt

Anna Lehmann
Kommentar von Anna Lehmann

Die Grünen bewegen sich auf die Sozialdemokraten zu – und setzen einen Gegenpol zum konservativ-marktgläubigen Lager. Das macht Lust auf Wahlkampf.

Bei der Vorstellung des Wahlprogramms und der Wahlplakate von Bündnis 90/Die Grünen zur bevorstehenden Bundestagswahl Foto: Kay Nietfeld/dpa

D achte jemand, dass der Wahlkampf dröge wird und die Bundestagswahl schon entschieden ist? Jetzt wird's erst richtig spannend. Nun, da fast alle im Bundestag vertretenen Parteien ihre Programme veröffentlicht haben, wird deutlich, dass es einen echten Ideen­wettbewerb in der demokratischen Mitte gibt. Das aktuell wichtigste Thema, die schlechte Wirtschaftslage und wie diese verbessert werden kann, ist gleichzeitig das umstrittenste. Hier deutet sich ein interessanter Lagerwahlkampf an.

Was die Grünen fordern, passt perfekt zum Programm der SPD und steht dem, was Union und FDP (und ganz rechts außen die AfD) wollen, zum Teil diametral entgegen. Mehr noch, Grüne und SPD haben viele Überschneidungen, beispielsweise den sogenannten Deutschlandfonds, den entweder der Grünen-Spitzenkandidat Robert ­Habeck oder die SPD-Fraktionsvize Verena ­Hubertz erfunden haben wollen. In diesem milliardenschweren Fonds soll privates und öffentliches Geld gesammelt werden, um Brücken, Schienen, Schulen zu sanieren.

Beide Parteien sehen zudem die Notwendigkeit, zum Wohle der maroden Infra­struktur die Schuldenbremse zu reformieren. Sie wollen unisono staatliche Investitionsprämien, setzen auf den Ausbau erneuerbarer Energien und fordern gleichlautend einen Mindestlohn von 15 Euro und viel höhere Steuern für Reiche.

Die Union will all das nicht, genauso wenig wie die FDP. Eine Vermögenssteuer lehnen beide Parteien ab, stattdessen sollen Unternehmen und Reiche entlastet und dafür soziale Ausgaben kräftig beschnitten werden. Staatlich gelenkten Klimaschutz lehnt Schwarz-Gelb ab und vertraut lieber auf marktwirtschaftliche Kräfte, vor allem auf den CO2-Preis. Nach dem Motto: Wenn sich die Menschen irgendwann das Benzin nicht mehr leisten können, werden sie ein E-Auto kaufen.

Zwei echte Alternativen

Im Kern wollen die einen den Staat stärken, die anderen den Markt. Zwei Konzepte, die für die Wahl­bür­ge­r:innen eine echte Auswahl bieten. Der Weg zu einer lagerübergreifenden Koalition, wie sie derzeit am wahrscheinlichsten ist, wäre dagegen weit.

Zudem bergen solche lagerübergreifenden Bündnisse Risiken. Entweder sind sie disruptiv wie die Ampel oder sie stagnieren in entscheidenden Fragen wie die letzte Große Koalition beim Klima. Eine Groko oder ein schwarz-grünes Bündnis sind längst nicht gesetzt. Passender und progressiver wäre ein Bündnis aus SPD und Grünen und möglicherweise sogar plus Linkspartei, die in vielem ähnlich tickt.

Ein unrealistischer Weihnachtswunsch? Mal sehen. Sind ja noch 68 Tage bis zur Bundestagswahl.

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Anna Lehmann
Leiterin Parlamentsbüro
Schwerpunkte SPD und Kanzleramt sowie Innenpolitik und Bildung. Leitete bis Februar 2022 gemeinschaftlich das Inlandsressort der taz und kümmerte sich um die Linkspartei. "Zur Elite bitte hier entlang: Kaderschmieden und Eliteschulen von heute" erschien 2016.
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30 Kommentare

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  • Ohne "Markt" ist kein "Staat" zu machen - jeder Euro den der Staat verausgabt muss vom Markt generiert werden.

    • @hkj2314:

      jaa... und was wollen Sie damit ausdrücken?

  • Deutschlandfond?



    Nannte man Neuschulden im hohen Milliardenbereich als SPD und Grüne bisher nicht "Sondervermögen"? Also wieder nur neue Schulden, verpackt in einem neuen Namen.



    Aber so kommt es eh nicht, denn die CDU wird der Taktgeber nach der neuen Wahl und kann sich seinen Partner aussuchen.

    • @Hans Dampf:

      Um mal in der BWL zu bleiben (etwas, was auf den Staat nicht zutrifft), eine Firma, die keinen Kredit aufnimmt, um in die Produktion zu investieren, sondern nur vom Ersparten zehrt und das Alte weiter produziert, wird bald pleite sein.



      In diesem Fall ist es in der BWL wie in der Makroökonomik einmal dasselbe Ergebnis. Schulden sind Teil des notwendigen Prozesses.

  • Die Hoffnung stirbt zuletzt!



    Ich kann den Artikel so unterschreiben.

  • " Passender und progressiver wäre ein Bündnis aus SPD und Grünen und möglicherweise sogar plus Linkspartei, die in vielem ähnlich tickt."



    Tja, diese Möglichkeit gab schon einmal. Die SPD hat dies aber aus "staatstragenden" Gründen vermasselt.



    Ich hoffe trotzdem darauf.



    Nur: wen wählen? LINKE wg. 5% oder SPD ?

    • @LeKikerikrit:

      Wer SPD oder Grüne wählt, wählt evtl. mittelbar Merz zum Kanzler. Will man das?



      Bleibt nur noch die Linke, und da bin ich wegen der Grundmandatsklausel ganz optimistisch, dass die Stimme nicht verschenkt ist. Und wenn, dann hab' ich wenigstens nicht Merz mitgewählt.

      • @TheDigit:

        Die Wette auf die Silberlocken :-)



        Ich denke, da machen viele, auch verprellte, LINKE mit. Wenn sie so fühlen, wie ich für die SPD. Tja, die Erststimme in BAWÜ kann nur ein Trostpflaster sein, wählt man nicht den CDU-Kandidaten. Auf'm Land.

  • Ein "Deutschlandfonds" ist nur eine Umgehung der Schuldenbremse und scheitert spätestens am BVerfG. Es handelt sich um einen ganz normale Staatsanleihe, da der Staat für Einlagen und Zinsen haftet. Da das Fondsvermögen zur Sanierung genutzt werden soll, baut der Fonds halt kein eigenes Fondsvermögen auf.

    Schall und Rauch für die Wählerverdummung.

    • @DiMa:

      na, dann wird das nichts mit der Rezessionsbekämpfung.



      Die ganzen Demokratieappelle können wird dann auch gleich lassen, wenn ein Merz im Sozialen kürzt, um die Ukraine zu stützen, ist klar, wer politisch profitiert. Demokratiegerede hin oder her.

    • @DiMa:

      Wie wahr.

  • "Im Kern wollen die einen den Staat stärken, die anderen den Markt.": Wenn wir jetzt "Staat" durch "Wohlfahrtsstaat" ersetzen und "Markt" durch "Wirtschaft", kommen wir der Sache näher.



    (Rot-Grün allein in Verantwortung dürfte die wirtschaftliche Talfahrt ziemlich beschleunigen. Auch dort gibt es "Kipppunkte")



    Die Ampel hatte unter reger Beteiligung von Rot und Grün Zeit, Dinge zu tun. Drei Jahre gingen ins Land. Jetzt haben wir eine marode oder alarmierte Wirtschaft (die Infrastruktur wurde vorher schon vernachlässigt), hohe Energiepreise dank ganz schlecht gemachter Energiewende und, noch schlimmer, ein weit stärker als 2021 gespaltenes Land.



    Und das alles soll mit Rot-Grün(-Pink) besser werden?



    Wahlprogramme sind gut als Grundlage für den Wahl-o-mat. Nach der Wahl muss man sich finden, und wie es aussieht, werden sich CDU und die anderen (Rot, Grün) einigen müssen. Man kann nur hoffen, dass aus jedem Programm das Beste einfließt.

  • Ist das hier der Versuch Gegensätze aufzubauen, wo keine sind?



    Man kann sich den Wahlkampf auch spannend reden.



    Die drei Parteien können jederzeit in jeder Konstellation miteinander regieren, weil sie sich nur um Nuancen voneinander unterscheiden.



    Die Basis ist bei allen gleich, die Vermögenden nicht weiter belasten und dem Normalverdiener alle neuen Lasten aufbrummen.



    Beim Durchnittsverdiener kommen von den Zahlungen des Arbeitgebers nur knapp 54% beim Arbeitnehmer an, und auf das, was nach der Miete noch übrig ist, zahlt man nochmal mindestens 7%, meistens aber 19% (und oft noch mehr) Steuern....

    • @Altunddesillusioniert:

      Ich denke es sind weniger als 54% Netto bei der Durchschnittsverdienenden.



      Da die "Arbeitgeberinnenanteile" ja eigtl. auch zum Bruttolohn gezählt werden müssten.



      Aber an diese Augenwischerei haben sich ja schon alle gewöhnt.



      Klar ist, Arbeiter und Angestellte finanzieren die Yachten und Auslandskonten der Reichen mit.



      Immer schön €DU wählen...



      Gut für die "Wirtschaft".

      • @So,so:

        Das ist schon so gerechnet, mit Arbeitgeberanteil.



        Ohne den wären es 63%, und das ist ja, was sich jeder anschaut.....für die Beibehaltung dieser Aufteilung gibt es schon gute Gründe ;)

  • Die Grünen bewegen sich auf die Sozialdemokraten zu – und setzen einen Gegenpol zum konservativ-marktgläubigen Lager. Das macht Lust auf Wahlkampf.

    Sorry bei allem Optimismus, wer aber glaubt, das es für R-G, oder G-R reicht, lebt in seiner eigenen Welt.



    Es geht nach dem 23. nur noch darum mit wem die CDU zusammen regiert.

    • @Whatever1984:

      Abwarten.



      Es könnte auch heißen, wer machts noch mit der CDU.



      Dass das CxU-Wahlprogramm populistischer Klamauk ist, ist doch offensichtlich.



      So blöd ist das Wahlvolk jenseits der 12% AfDler nun auch wieder nicht.

  • noch zu Punkt 1:



    Die weitere Erosion der Staatseinnahmen muss aufgehalten und umgekehrt werden.



    Im Moment basieren diese immer mehr fast nur auf der direkten (Einkommenst.) und indirekten (Mwst.) Besteuerung der normalen Arbeiterinnen und Angestellten.



    "Reiche" und multinationale Steuerdiebstahlfirmen beteiligen sich immer weniger an der Finanzierung der Gesellschaft. Profit shifting, Nichtbesteuerung von Immobilienoligarchen, Selbstbesteuerung ("intellectual property fees"), Abschreibungs-Tsunami runter bis auf Nullgewinne erzeugen schreiende Steuerungerechtigkeit (taxjustice.net/) in D und der EU und global.



    Das dt. Steuersystem ist ein undurchsichtiger Dschungel- praktisch für Reiche (mit Steuerberaterindustrie!) die gewollt fast nie steuerlich überprüft werden- siehe Bundesrechnungshof (www.bundesrechnung...blicationFile&v=2) und nicht reformierbar.



    Im Endeffekt ist dies Sozialhilfe für Reiche.



    Auch da traut sich NIEMAND ran.



    (Auch wenn dies regelmässig auf spd Plakaten steht.)

    Und gegen die BILD (Punkt 2) wird sich daran nichts ändern.

    • @So,so:

      "Das dt. Steuersystem ist ein undurchsichtiger Dschungel- praktisch für Reiche (mit Steuerberaterindustrie!)" ...



      Hier müssen Sie aber konsequenter bleiben.



      Wie oben: "Steuerdiebstahlfirmen" an statt "Steuerberaterindustrie".



      Sonst OK :-)



      Im übrigen bin ich der Meinung, dass das Finanzministerium in die Lage versetzt werden muss, wirklich die Besten der Besten anzuheuern. Deren übertarifliche Bezahlung wird sich um ein (wie-)Vielfaches auszahlen. Kontrolleure über Parkzeiten sind ein gutes Beispiel.



      Und sollten sich letztendlich alle an die Regeln halten, ist der Zweck erfüllt.

  • Klar, rotrotgrün wäre (fast) ein Traum.

    Was sollte man dafür wählen, hm?

    Ich habe mich eigentlich schon entschieden.

    Dann gibt es bei den realistischen - lagerübergreifenden - Szenarien schwarzrot, schwarzgrün oder Jamaika zumindest eine linke und werteorientierte Opposition.

  • "Ein unrealistischer Weihnachtswunsch?"

    Wünschen kann man sich alles. Würde aber einer der Kanzlerkandidaten angesichts der Umfragewerte im Augenblick über eine rot/grüne Koalition oder gar ein "Linksbündnis" fantasieren, würde man ihm völlig zu Recht kompletten Realitätsverlust attestieren. Beiden zusammen fehlen über 20%. Scholz ist der aktuell der unbeliebteste Kanzlerkandidat und Rot/Grünwünschen sich aktuell gerade mal 15%. Es ist völlig wumpe, was man sich ins Wahlprogramm schreibt, solange das die Menschen nicht für glaubwürdig umsetzbar halten.

  • Ich denke, die neue Ampel steht auf Schwarz, Rot, Grün



    ⬛🟥🟩



    ...wird auch nicht lange halten...

    • @Willi Müller alias Jupp Schmitz:

      Ich bin da wesentlich optimistischer und tippe auf RGR. Ein zweites Mal wird sich die SPD ein linkes Bündnis zu schmieden, nicht entgehen lassen.

  • Habeck möchte nicht im Beisein von Fr. Weidel zum "Kanzlerduell" antreten.



    Respekt.

    • @Tom Lehner:

      Die Frau ist unerträglich.

    • @Tom Lehner:

      Weidel aber auch nicht. Das wäre auch das sinnloseste Duell, dass man sich vorstellen kann.

  • 2 Punkte:



    1) die Beschreibung der Lager mit "die einen wollen den Staat stärken, die anderen den Markt" trifft es mMn. nicht wirklich.



    €DUfdp= weitere Schwächung des Staates?



    Ja, durch weitere Verschlechterung der Staatseinnahmen (Steuersenkungen) und Luftbuchungen ("Bürgergeld streichen"? eher umbennen in Grundsicherung) da diese Leistungskürzungen verfassungswidrig sind (BVerfG).



    Das ist völlig unrealistisch. Die €DU braucht auch Geld- viel Geld (Bundeswehr?). Das wird eher auf eine unsoziale Mwst.-Erhöhung wie bei Kohl hinauslaufen.



    Aber mehr Martwirtschaft? Die Aufgabe des Bundeskartellamts wäre es Kartelle u verhindern und zu zerschlagen:



    "Einzel"handel? Wöchentliche Spritpreislotterie?



    Es gibt soviele Beispiele wo in Deutschland "der Markt" völlig außerkraft gesetzt ist und die Marktmacht der Oligopole die Preise bestimmen.



    Daran wollen merz und lindner etwas ändern? Das sehe ich nicht.



    Aber auch nicht bei der spd. Da traut sich NIEMAND ran.



    Auch die grüne Utopie eines sozial gestaffelten Klimageldes verspricht maximale Bürokratie: Kanada macht es einfacher &gerechter:



    www.canada.ca/en/d...s-for-2024-25.html

    • @So,so:

      "Ja, durch weitere Verschlechterung der Staatseinnahmen (Steuersenkungen) und Luftbuchungen ("Bürgergeld streichen"? eher umbennen in Grundsicherung) da diese Leistungskürzungen verfassungswidrig sind (BVerfG)."

      Verfassungswidrig ist das keineswegs, sonst wäre bereits Hartz IV Verfassungswidrig gewesen und das war es mitnichten. Zum anderen hat das Verfassungsgericht in einer Randnotiz bereits erwähnt, dass Leistungsverweigerer als Nicht-bedürftig eingestuft werden können, wenn sie Arbeit ablehnen. Dann gelten sie als nicht anspruchsberechtigt.

      So Verfassungswidrig ist das ganze nicht

  • Jetzt muss man das den Menschen NUR NOCH erklärt kriegen - im Kampf gegen eine Armada von Trollen auf TikTok und Co.