piwik no script img

Oligarchen in RusslandVulgäre Worte für Putin

Ein geleakter Telefonmitschnitt von zwei russischen Oligarchen offenbart, was diese wirklich vom russischen Angriffskrieg auf die Ukraine denken.

Putin in Kaliningrad am 30.März: In dem Telefongespräch wird der Präsident als „Satan“ bezeichnet Foto: Sputnik/Gavriil Grigorov/Pool via Reuters

Moskau taz | Die Aufnahme ist ein Lehrstück in russischer Vulgärsprache. Jeder Satz ist durchsetzt mit Wörtern wie „verdammt“, „verschissen“, „Lump“, „Drecksack“ und allerlei anderen obszönen Wendungen, die dem sogenannten russischen „Mat“ eigen sind. Russlands Präsident Wladimir Putin sei ein „Satan“, der sich „für alles verantworten“ werde müssen, weil er mit seinem „brudermörderischen Krieg“ in die „Katastrophe“ geführt und „das ganze Volk beerdigt“ habe, werfen sich die Gesprächspartner zu und klingen verzweifelt.

Doch hier unterhalten sich keine verwahrlosten, betrunkenen Männer am Rande einer Garagensiedlung irgendwo tief in der Provinz, hier reden zwei russische Milliardäre: Farchad Achmedow und Jossif Prigoschin (mit seinem berühmt-berüchtigten Namensvetter Jewgeni Prigoschin, dem Chef der brutalen Privatarmee „Wagner“, ist dieser nicht verwandt). Der 67-jährige Achmedow, im sowjetischen Aserbaidschan geboren, hat viel Geld mit Öl und Gas verdient und saß auch im Föderationsrat, dem Oberhaus des russischen Parlaments.

Prigoschin, ein Bergjude aus Machatschkala in Dagestan, hat als Musikproduzent viele russische Schla­ger­mu­si­ke­r*in­nen bekannt gemacht. In der Schweiz und Großbritannien besitzt er Immobilien. Der 53-Jährige hatte sich 2014 für die Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim eingesetzt, auch die russische Invasion der Ukraine hat er nach dem 24. Februar 2022 öffentlich unterstützt.

Nun sprechen die Magnaten über das Desaster, das westliche Sanktionen anrichten, über die Zukunftslosigkeit Russlands, über die Ausweglosigkeit und das Zurückgeworfensein, weil Putin den Krieg in der Ukraine zu verantworten habe und kaum eine Exitstrategie daraus wisse. Sie sagen ähnliche Sätze, die sich liberal Gesinnte in Russland kaum mehr auszusprechen wagen, weil ihnen dadurch sofort ein Strafverfahren drohen würde.

Achmedow und Prigoschin aber sind Männer, die in und mit Putins System reich geworden sind, wenn auch politisch nicht einflussreich. Nach dem Auftauchen des Telefonmitschnitts vor einigen Tagen beeilte sich Prigoschin denn auch zu sagen, dieser sei „Fake“. Nach und nach aber gab er verdruckst zu, man könne im Privaten schließlich das von sich geben, was man denke. Ein Eingeständnis dessen, dass das geleakte Material echt ist. Wer es veröffentlicht hat, ist vorerst nicht bekannt.

„Wofür das alles?“

Das private Gespräch der beiden, das vermutlich im Januar geführt worden ist, gibt einen Einblick in die Stimmungslage russischer Eliten. Es zeigt, wie bewusst ihren Vertretern die derzeitige Lage in Russland ist. Verantwortlich dafür machen sie Putin, der „den Kopf da hineingesteckt hat, wo der Hintern nicht durchpasst“, wie es im Russischen heißt. „22 Jahre … Er hätte das Land aufbauen können. Alles hat er verschissen, verdammt“, sagt Achmedow fluchend.

„Wofür das alles? Angefangen, nicht beendet, verschissen. Wofür also hat der Dreckskerl das gemacht?“, fragt Prigoschin und fährt fort: „Zurückweichen kann er nicht, vorwärts geht’s auch nicht. Es wird also ein Patt, ein Zickenkrieg. Die Kakerlaken im Glas haben schon längst angefangen, sich kaputtzunagen.“ Damit verweist er wohl auf die Grabenkämpfe innerhalb der politischen und wirtschaftlichen Elite, auf angebliche Auseinandersetzungen zwischen Ministerien, staatlichen Ölkonzernen und Sicherheitsstrukturen.

Die Sätze machen deutlich, wie erniedrigt sich beide fühlen, wie ungewiss sie in die Zukunft blicken, zwischen einem Leben unter Sanktionen und einem drohenden Strafverfahren im eigenen Heimatland. Reicht eine solche Stimmung aus, um Putin zu stürzen? Im Gegenteil. Die vermögenden Kreise tragen das System weiter mit. Sie schweigen öffentlich, wahren nach außen ihre Loyalität, sie versuchen, ihre eigene Haut zu retten, die Ukraine ist vielen von ihnen egal.

Sie sind Kon­for­mis­t*in­nen wie so viele Menschen im Land. In der eigenen Küche können sie auch schon einmal schimpfen, können am Telefon alle möglichen Flüche gegen die höchsten Regierungskreise ausstoßen. In die Tat wird die Unzufriedenheit nicht umgesetzt. In der Elite nicht, auch im Volk nicht – sie sind sich in ihrer Ausweglosigkeit gleich. Die Angst würgt ihnen die Luft ab, aber sie trägt das System. Und der Krieg geht weiter.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

22 Kommentare

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Ich glaube nicht, dass sich durch Rochaden unter den Silowiki etwas ändern wird.



    In Russland wird niemand Putin stürzen.

  • Ich würde Oligarchen nicht als Elite bezeichnen nur weil sie reich und deswegen einflussreich sind.

  • Die Sanktionen zeigen ja offenbar doch Wirkung…

  • Interessant ist, wer von den bekannten russlandfreundlichen taz-Leser-Kommentator_innen solche Artikel aus irgendeinem Grund absolut nie kommentiert.

    • @Suryo:

      keine Ahnung ob ich da dazugehöre ...

      aber bei aller Häme aus dem Westen und aller Beleidigungen im Telefonat - auch die Oligarchen haben keine Lösung. Es ist ja nicht so, dass sie für einen Rückzug plädieren. Im Gegenteil - sie teilen die Meinung, dass er nicht zurückweichen kann.

      Also wie sieht ihre Lösung für den Konflikt ob dieser neuen Information aus?

      • @Diana Klingelstein:

        Die Lösung: Rette sein Geld wer kann.

        • @Gorch:

          und in Waffenfirmen investieren ...

      • @Diana Klingelstein:

        Der saure Apfel -



        in selbigen hat damals der Vietcong gebissen, als er seine Unabhängigkeit erkämpft hat.



        Nur damals mit Unterstützung der Linken.

      • @Diana Klingelstein:

        Nachgeben.



        Putin das geben, was er will.



        Hat bisher immer funktioniert.



        Siehe Tschetschenien, Georgien, Aleppo, Krim, Donbass (beide 2014)

        • @MeineMeinungX:

          haben Sie auch konstruktive Vorschläge?

  • das wuerde ich ja gerne mal im original anhoeren…

  • Apropos, hat jemand in letzter Zeit etwas von Kadyrow gehört?

  • Aber das waren doch keine Schimpfwörter oder Beleidigungen - es wurde alles lediglich bei Namen genannt. Mir würden die Schimpfwörter an den Woschd sofort einfallen, die er tatsächlich verdient. Die zähle ich hier nicht auf, sonst wird das 100% nicht veröffentlicht...

  • Das sollten alle Deutschen lesen, die glauben, man könne mit Putin reden. Seine eigenen Leute werden es ja wohl besser wissen.

  • 9G
    93042 (Profil gelöscht)

    Tja, man(n) erntet immer was man sät! ...

  • In einem Land, das mit eiserner Hand regiert wird, ist mit einer Revolution nicht zu rechnen.



    Es zeigt sich hier allerdings wieder, dass die Russen und Russinnen keineswegs Alle hinter Putin stehen und seine Politik gutheißen.



    Laut einer Umfrage, deren Ergebnisse vor ein paar Wochen in dieser Zeitung erschienen, war von 20 % Gegnerschaft die Rede. Das sind immerhin 28 Millionen Menschen.

    • @Philippo1000:

      "In einem Land, das mit eiserner Hand regiert wird, ist mit einer Revolution nicht zu rechnen."

      Frankreich 1789, Haiti 1791, Paris 1871, Russland 1917, Deutschland 1918, der arabische Frühling, Iran 2022.



      Alles historische oder zeitgenössische Kontexte, in denen "mit eiserner Hand regiert" wurde und es dennoch zu Revolutionen kam.

  • Das Risiko der Beiden demnächst einen mysteriösen 'Unfall' zu erleiden dürfte mit dem Leak wohl signifikant gestiegen sein.

    • @Ingo Bernable:

      Gegen Redseligkeit verordnet die traditionelle russische Medizin den Naturstoff Blei. Auch frische Luft durch geöffnete Fenster gilt als probates Hausmittel.

    • @Ingo Bernable:

      Richtig. Der Reichtum dieser Oligarchen funktioniert nur mit und basiert auf dem Wohlwollen des "Zaren".

      • @dator:

        Allerdings: Das System Putin funktioniert nur, weil es von den Oligarchen gestützt und finanziert wird. Sollten sich aber die Kriegskosten weiter erhöhen und/oder die Profit-Aussichten weiter verschlechtern, werden die Oligarchen zunehmend von ihm abrücken. Dann ist das System Putin gefährdet. Er wird sich also davor hüten, die Oligarchen zu sehr zu vergraulen.

        • @Pfanni:

          Russlands Wirtschaft funktioniert (mafia)staatskapitalistisch. Das heißt die Oligarchen haben ihre Firmen (ehemalige Staatsbetriebe, oder von Staatsaufträgen abhängige Unternehmen) von den Silowiki zugeteilt bekommen.



          Die Oligarchen dürfen sich persönlich bereichern wenn sie einen Teil nach "oben" weiterreichen.



          Das Abhängigkeitsverhältnis ist daher eher anders herum, als sie es vermuten. Die Oligarchen sind Putins Strohmänner. Sie besitzen wenig eigene "Hausmacht" und können ausgetauscht werden.

          Große Firmen, die sich auf dem freien Markt und unabhängig von Staatsaufträgen, hochgekämpft haben, sind Ausnahmen. Sobald ein Unternehmer wirtschaftlich erfolgreich ist, klopft jemand aus den staatlichen Strukturen (das kann auch der lokale Polizeipräsident oder ein Richter sein) an dessen Tür und meint, dass es besser für die Gesundheit wäre, wenn er sich einen starken Partner sucht oder das Unternehmen gleich ganz überschreibt....das berühmte Angebot dass man nicht ablehnen kann.