Ökonomen korrigieren Wirtschaftsprognose: Kaum Wachstum in diesem Jahr
Führende Wirtschaftsforschungsinstitute legen ihr Frühjahrsgutachten vor. Sie gehen davon aus, dass sich die Konjunktur erst nächstes Jahr erholt.
„Die deutsche Wirtschaft ist angeschlagen“, sagte Stefan Kooths vom Institut für Weltwirtschaft (IfW) Kiel am Mittwoch in Berlin. „Zwar dürfte ab Frühjahr eine Erholung einsetzen, die Dynamik dürfte aber insgesamt nicht allzu hoch ausfallen.“ Die Ökonomen sind im Herbst davon ausgegangen, dass hohe Auftragsbestände in der Industrie stärker tragen als das der Fall war. Die Exporte haben sich schwächer entwickelt als erwartet. Auch habe ein stark erhöhter Krankenstand die Wirtschaft belastet. Für 2025 gehen sie bislang von einem Wachstum von 1,4 Prozent aus.
Für die Lage machen die Ökonomen auch die Bundesregierung verantwortlich. Ihr unklarer Kurs verunsichere Investoren. „Das Problem der Bundesregierung ist vermutlich, dass sie in sich keinen Konsens über die Ausrichtung ihrer Wirtschaftspolitik hat“, sagte Kooths. Damit spielte der Ökonom auf den ständigen Streit in der Ampel über die Wirtschafts- und Finanzpolitik an.
Eines der großen Probleme ist der Fachkräftmangel. Die Anreize für die Zuwanderung von qualifizierten Arbeitskräften müssten besser werden, forderte der Ökonom. Deutschland befinde sich im weltweiten Wettbewerb um Talente. „Ohne deutliche Zuwächse bei der qualifizierten Zuwanderung werden die Probleme noch größer“, sagte er.
Wirtschaft fordert Aufbruchsignal
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) bemühte sich um eine positive Sicht der Dinge. „Die Wirtschaftsforschungsinstitute sehen einer allmählichen Erholung entgegen, die aber nach ihrer Einschätzung erst im kommenden Jahr Fahrt aufnehmen wird“, kommentierte er die Prognose. „Wichtig ist jetzt, dass die Investitionszuversicht der Unternehmen in ganzer Breite neu zu wirken beginnt.“
Nach seiner Auffassung sind die Voraussetzungen dafür gut. Die Energiepreise und Inflation hätten sich beruhigt, die Regierung arbeite am Bürokratieabbau und die Energiewende komme voran. „Ganz wichtig: Die Einkommen der Menschen steigen wieder merklich“, sagte er. Das Wachstumschancengesetz zur Entlastung von Unternehmen, das vor kurzem den Bundesrat passiert hat, könne jetzt wirken. „Und ich habe immer gesagt, das Gesetz war nur ein Anfang. Notwendig sind weitere Wachstumsimpulse, daran arbeiten wir in der Regierung“, sagte er.
Die Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK) ist nicht so optimistisch. Dass die Stimmung in der Wirtschaft weiter schlecht sei, habe Gründe, sagte DIHK-Hauptgeschäftsführer Martin Wansleben: „Die Energiekosten sind noch immer deutlich höher als in anderen Industrieländern.“ Hinzu kämen hohe Bürokratiekosten, der sich verschärfende Fachkräftemangel und geopolitische Unsicherheiten, die den Export belasten.
Wansleben forderte ein „Aufbruchsignal“ für die Wirtschaft, etwa durch die Einführung einer Investitionsprämie für Klimaschutzmaßnahmen oder die komplette Abschaffung des Solidaritätszuschlags, der nur noch für sehr hohe Einkommen erhoben wird. „An konkreten Vorschlägen mangelt es nicht“, sagte er. „Es mangelt an der Umsetzung.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israel, Nan Goldin und die Linke
Politische Spiritualität?
Prozess gegen Letzte Generation
Wie die Hoffnung auf Klimaschutz stirbt
Börsen-Rekordhoch
Der DAX ist nicht alles
Machtkämpfe in Seoul
Südkoreas Präsident ruft Kriegsrecht aus
Nikotinbeutel Snus
Wie ein Pflaster – aber mit Style
Innenminister zur Migrationspolitik
Härter, immer härter