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Alternativen zum BruttoinlandsproduktWie misst man Wohlstand?

Mehr Wirtschaftsleistung bedeutet mitnichten ein besseres Leben. Warum es an der Zeit für Alternativen zum BIP ist – und welche Möglichkeiten es gibt.

Geld, Bildung, Gesundheit, Glück, Bildung, Umwelt: Wohlstand hat viele Dimensionen Illustration: taz

Jedes Jahr in den Urlaub fliegen? Sich eine tolle neue Couch leisten, einen neuen Laptop? Ja, für viele Menschen ist das Wohlstand. Es ist ein Wohlstandsverständnis, das angesichts von Inflation und ins Stocken geratenen Lieferketten immer mehr unter Druck gerät. Und durch eine Erkenntnis, die sich nur langsam durchsetzt: Unser Leben, das Leben aller Menschen auf diesem Planeten, wird nicht mehr lange so weitergehen können, wenn ein Teil der Welt weiter an diesem Verständnis von konsumzentriertem Wohlstand festhält.

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Dabei ist es so praktisch: Wertschöpfung, Investitionen, Einkommen – das lässt sich gut messen. Simplizität wiederum lässt sich einfach kommunizieren und darstellen. Perfekt für eine Kurve, die immer ein Stückchen weiter klettert und signalisiert: Alles ist gut. Kein Wunder also, dass der am weitesten verbreitete Index für die Wohlstandsmessung das Bruttoinlandsprodukt ist. Simpel, klar, vergleichbar. Jenseits davon beginnt die Komplexität. Das zeigen die Grafiken auf dieser Seite. Die Faustregel: Je mehr Faktoren und je weniger greifbar diese auf statistisch erhebbare Größen heruntergebrochen werden können, desto mehr Erklärung braucht ein Wohlstandsindikator.

Der Gedanke daran, dass die Wohlstandskurve nach unten gehen könnte, weckt Ängste. Ängste vor Verzicht. Ängste vor einem Abstieg. Wenn viele Menschen Angst haben, bald auf der Verliererseite zu stehen, kann das für eine Gesellschaft zum Problem werden. Ebenso aber, wenn die Politik es nicht schafft, zukunftsweisende Lösungen aufzuzeigen, sondern selbst noch an einem überholten Wohlstandsverständnis festhält.

Es kann also nicht nur darum gehen, auf Wohlstand zu verzichten. Stattdessen könnten zwei Fragen weiterhelfen: Welche Bedürfnisse befriedigen wir eigentlich mit dem neuen Smartphone, der Immobilie, dem Auto? Und wie können diese anders, nämlich klima-, ressourcen- und gesellschaftsverträglicher befriedigt werden? Kommunikation, soziale Absicherung, Genuss, Mobilität, Unterhaltung, Teilhabe – all das geht auch mit einem deutlich geringeren ökologischen Fußabdruck. Die bereits entwickelten Wohlstandsindizes, die auf die Umwelt schauen, die Aspekte wie Gesundheitsversorgung einbeziehen oder Bildung, Work-Life-Balance oder Luftverschmutzung, sind wahrscheinlich noch nicht die endgültige Lösung. Aber sie sind ein erster Schritt auf einem Weg, der noch viel zu langsam beschritten wird.

wochentaz

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Messmethoden im Überblick

Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) misst den Wert aller im Inland hergestellten Waren und Dienstleistungen, die keine Vorprodukte für andere Waren oder Dienstleistungen sind, sondern Endprodukte. Seit Ende des Zweiten Weltkriegs ist das BIP zu dem zentralen Wohl­stands­indikator geworden: Steigt das BIP, spricht man von Wirtschaftswachstum. Das BIP wird jeweils jährlich und vierteljährlich berechnet.

Infografik: Infotext

Der Human Development Index (HDI) misst und kombiniert drei Dimensionen. Erstens: Lebenserwartung. Zweitens: Bildung anhand der durchschnittlichen Anzahl der Schuljahre von über 25-Jährigen und der zu erwartenden Schuljahreszahl bei Schul­an­fän­ger:in­nen. Drittens: das Bruttonationaleinkommen pro Kopf.

Infografik: Infotext

Der Planetary pressures-adjusted Human Development Index (PHDI) ergänzt den Human Development Index (HDI) um eine ökologische Komponente: die Kohlendioxidemissionen und den ökologischen Fußabdruck pro Kopf. Die daraus errechneten Werte werden von dem HDI abgezogen – in einem Land, in dem es keine Belastung für den Planeten gibt, wären also beide Werte gleich. Aufgrund der identischen Platzierung mehrerer Länder müssen hier 11 Nationen abgebildet werden.

Infografik: Infotext

Der Better Life Index (BLI) ist kein absolutes Ranking. Stattdessen können Nut­ze­r:in­nen 11 Indikatoren so gewichten, wie sie sie selbst am wichtigsten finden. Die Indikatoren sind Arbeit, Bildung, Einkommen, Gesundheit, Lebenszufriedenheit, Mitwirkung an demokratischen Prozessen, Sicherheit, sozialer Zusammenhalt, Umwelt, Wohnen und Work-Life-Balance. Gewichtet man alle Indikatoren gleich, ergibt sich das hier abgebildete Ranking. Deutschland landet auf Platz 13.

Infografik: Infotext

Der Happy Planet Index (HPI) bewertet Länder danach, wie gut sie ihren Be­woh­ne­r:in­nen ein langes, glückliches Leben im Rahmen der planetaren Ressourcen ermöglichen. Der HPI ist ein bewusster Gegenentwurf zum BIP, das auf Wachstum setzt. Grob lässt sich die Formel folgendermaßen zusammenfassen: Lebenserwartung multipliziert mit empfundenen Wohlergehen, geteilt durch den ökologischen Fußabdruck. Deutschland liegt beim HPI auf Platz 29.

Infografik: Infotext

Im Gegensatz zu vielen anderen Indizes, die Ländervergleiche ermöglichen, funktioniert das Recoupling Dashboard länderspezifisch. Recoupling heißt Rückkopplung, der Index arbeitet mit vier Indikatoren: soziale Solidarität, Handlungsfähigkeit einzelner Menschen, materieller Wohlstand und Zustand der Umwelt. Das Recoupling Dashboard soll damit für das jeweilige Land die Wechselbeziehungen zwischen wirtschaftlichem Wohlstand, sozialem Wohlstand und ökologischer Nachhaltigkeit veranschaulichen.

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9 Kommentare

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  • BIP hätte man pro Kopf angeben müssen, auf die Bevölkerung gerechnet stehe sonst auch bei den anderen Indizes auf Platz 1.



    Ansonsten stimme ich voll zu, wir müssen uns ein anderes Ziel als möglichst viel Konsum geben. Bisher ist die einzige andere Alternative Religion aber das ist ja wie man an genügend Beispielen auch keine besonders positive Sache.



    Vorschläge?

  • Warum eigentlich immer im Hamsterrad der vielen "so und so und so" könnte oder sollte es sein? Was Wissenschaftler alles sagen, wenn der Tag lang ist, daß wird ziemlich uninteressant, wenn sich die Politik eine jeweils passende Gruppe von "Experten" ausguckt, die sich einen Dreck um Vernunft und Wahrheit schert und lediglich das propagiert, was den jeweiligen feuchten Träumen der Machthaber entspricht.

    Vom Prinzip her sind die Antworten auf die gestellte Frage doch ganz einfach: Wohlstand ist, wenn es auch den Schwächsten im Lande gut geht.

    Wenn genau das stetig sabotiert wird, dann ist die Wohlstandsfrage die falsche Frage, sondern es muß die Frage aufgeworfen werden, wie man es hinbekommt, daß der Staat ein der Menschenwürde genügender Rechtsstaat werden kann. Doch betrachtet man die schier unendlichen Gesetztesverklausulierungen, die Rechtsverhinderungen sind, aber als Verbesserungen verkauft werden, dann offenbart sich sogar, was die Bibel mit den Begriffen Hölle und ewige Verdammnis wirklich gemeint hat.

  • Schön, daß mal auch inne TAZ zu lesen und nicht in wissenschaftlichen Aufsätzen im Science oder Bild der Wissenschaft.



    Ich denke, es gehört für jeden nicht viel Fantasie dazu sein eigenes Dasein individuell auf Glück und Zufriedenheit zu prüfen. Ich glaube daher auch, dass die Politik insgesamt, insbesondere die Parteien rechts der SPD mit den üblichen Wohlstandsverlustängsten bald nicht mehr Punkten können. Da müssen andere Akzente her, zumal in einer alternden Bevölkerung. Will man einem 85 Jährigen ernsthaft eine Wohlstandswachstumsstory verkaufen?

  • Das ist schon lange mein Thema, für uns und unsere Welt und allen Menschen.

    Friede und gutes Miteinander überall und weltweit, wäre ein Ziel; als Anfang z.B. mit einer UN mit gleichen Rechten und Pflichten für alle Länder.

    Für uns z.B. mit einer humanitären sozialen Marktwirtschaft; bei der der Mensch unter wirtschaftlich vertretbaren Gesichtspunkten die oberste Priorität bekommt - alles andere danach ausgerichtet, ging's uns allen besser, und wir könnten Geld sparen.

    Als große sinnvolle Um-Baustelle betrachte ich : unser Gesundheitswesen, unsere Außenpolitik, besseres Miteinander in unserer Gesellschaft, z.B. mehr für Menschen mit Problemen sorgen, für Kinder, Erwachsene, Alte, Kranke, usw. - dadurch könnten wir besser miteinander Leben und müssten weniger kämpfen.

  • Ein verlässlicher Indikator: Der Korruptionsindex



    ourworldindata.org/corruption

  • Wohlstand ist wenn ich mich wohl fühle: Bauch voll, warme Stube und Freitag Abend. Mehr brauche ich nicht.

  • 4G
    49732 (Profil gelöscht)

    d.h. man kann eigentlich auch mit Hartz IV gut Leben wenn man nicht nur den BPI ansetzt?

  • Das ist zwar alles komplexer als Tinder, taugt aber nicht für eine multidimensionale Realität.



    Aber so sind die Geisteswissenschaften BWL und VWL nun einmal eingestellt.



    Was nicht in einen Index passt, existiert nicht.

    Eigentlich sind die Umstände hier gut.

  • Interessante Ansicht!