Oberbürgermeisterwahl in Sachsen: Ehemaliges NPD-Mitglied will Meißener Rathaus erobern
Im sächsischen Meißen will die AfD einen Neonazi ins Amt hieven. Doch es gibt Widerstand. Am Sonntag wird gewählt.

Da ist zum Beispiel das Tattoo auf seiner linken Schulter: eine Schwarze Sonne. Das Symbol wirkt zwar altertümlich-germanisch, ist aber eine Erfindung esoterischer Kreise der SS unter Heinrich Himmler. Heute ist es vor allem in der Neonazi-Szene verbreitet, etwa als Ersatz für das verbotene Hakenkreuz. Ob Jurisch das weiß? Eine Anfrage der taz lässt er unbeantwortet.
Es gibt Menschen in Meißen, die sind überzeugt davon, dass Jurisch neonazistisches Gedankengut pflegt. Er spiele es nur herunter, weil sich damit keine Wahl gewinnen lässt. In seinem Auftreten, seinen Aussagen und Social-Media-Posts blitze immer wieder durch, wie Jurisch eigentlich denkt. Maria Fagerlund vom Verein „Buntes Meißen“ sagt der taz zum Beispiel: „Jurisch ist ein waschechter Neonazi.“ Zudem sei er autoritär und cholerisch. „Wer nicht seiner Meinung ist, muss Angst haben.“
Doch Tatsache sei auch, erklärt Fagerlund, Jurisch gelte bei vielen als Kumpel-Typ, der zuhört und dessen Bauunternehmen den lokalen Fußballverein sponsert. Dass sich beim Eisbaden die Schwarze Sonne auf seiner Schulter zeigt, störe die nicht. Vergangenes Jahr bei der Stadtratswahl bekam Jurisch unter allen Kandidat:innen am meisten Direktstimmen. Die AfD ging aus der Stadtratswahl 2024 als stärkste Partei hervor und stellt mit 9 Abgeordneten ein Drittel des Rates.
Unterstützung gegen Jurisch aus allen Lagern
Rund 22.900 Meißner:innen dürfen am 7. September abstimmen, wer sie in den nächsten sieben Jahren als Oberbürgermeister vertritt. Die Große Kreisstadt ist international bekannt für das erste europäische Porzellan, die schöne Lage an der Elbe und eine bewegte Geschichte als „Wiege Sachsens“. Der bisherige Oberbürgermeister, Olaf Raschke (parteilos), tritt nicht mehr an. Neben Jurisch kandidieren der FDP-Politiker Martin Bahrmann und der parteilose Markus Renner.
Bahrmann ist seit 2014 Stadtratsmitglied und bewarb sich schon bei der letzten Wahl 2018. Damals bekam er knapp 15 Prozent und damit etwas mehr als der damalige AfD-Kandidat.
Markus Renner ist seit 2016 Bürgermeister in Meißen und als solcher unter anderem verantwortlich für Finanzen, Ordnung oder Tourismus. Im Juni sicherten ihm fast alle anderen der 26 Stadtratsmitglieder zu, seine Kandidatur zu unterstützen, nur die AfD und Mitbewerber Bahrmann fehlten. Von der CDU über die „Bürger für Meißen“, der sich die Grünen angeschlossen haben, bis zur Fraktion SPD/Linke hieß es, der 45-jährige Renner habe die meiste Verwaltungserfahrung und sei der beste Kandidat. Außerdem ist er kein Mann der AfD.
Jurisch bekommt derweil über die Stadtgrenzen hinaus Unterstützung. Prominente AfD-Mitglieder aus der ganzen Bundesrepublik rufen in kurzen Videos zu seiner Wahl auf. Sachsens Landesvorsitzender Jörg Urban und Bundesvorsitzender Tino Chrupalla besuchten Meißen im August. Der AfD ist es offenbar besonders wichtig, dass ihr Kandidat ins Amt kommt.
Das rechtsextreme Compact-Magazin hat ein 15-minütiges Video mit Jurisch veröffentlicht. Dabei drehten sie offenbar ohne Erlaubnis auf dem privaten Weinberg von Alexandra und Georg Prinz zur Lippe und nutzten ohne Genehmigung das Logo der berühmten Porzellan-Manufaktur Meissen. Ehepaar und Unternehmen haben rechtliche Schritte angekündigt. Compact sträubt sich zwar, hat aber zumindest die eingeblendeten Logos mittlerweile unkenntlich gemacht.
Pistolen, Patronen und Südstaaten-Kriegsflagge
Der Wahlkampf zeigt sich auch bei Jurisch auf Social Media. Dort postet er Fotos von sich, lächelnd am Infostand, beim Plakate hängen oder beim Vereinsbesuch.
Früher waren die Fotos noch etwas anders. Eine Trump-Kappe, Jurisch in Uniform des Schützenvereins, Pistolen und Patronen, seine Harley-Davidson mit historischem Gewehr. Jurisch mit Sonnenbrille und vermummt mit der Kriegsflagge der Südstaaten. Die ist auch als „Konföderiertenflagge“ bekannt und steht in den USA vor allem für Sklaverei und Rassismus. Jurisch schrieb dazu: „Keinen Millimeter nach links“.
Vergangenes Jahr gefiel Jurisch ein Post bei Facebook, in dem es hieß, in den „guten alten Zeiten“, hätten „5 Mann in Springerstiefel“ gereicht, um die Ausländer in Ostdeutschland in der Spur zu halten. Jurisch kommentierte: „Wir holen uns unser Land zurück!“
Der Post und Jurischs Kommentar stehen auch auf einem anonymen Flyer, der seit Tagen in Meißner Briefkästen landet. Jurisch sei „weder menschlich noch fachlich geeignet, und Menschen in Meißen zu vertreten“. Um das zu untermauern, enthält der Flyer Posts und Fotos, die Jurisch online veröffentlicht hat. Auf einem Bild trägt Jurisch ein scheinbar blutbesudeltes T-Shirt mit der Aufschrift „Problem gelöst“.
NPD-Vergangenheit? Jugendsünde.
Als Jurisch vergangenen Donnerstag beim Wahlforum der Sächsischen Zeitungauf seine Zeit in der NPD angesprochen wurde, reagierte er genervt. Er wiederhole sich, aber das mit der NPD, das sei eine „Jugendsünde“ gewesen. Er war damals fast dreißig. Ausgetreten sei er dann wegen zwei Punkten: Zum einen die Hetze gegen Israel und zum anderen „der sozialistische Kurs“ in der NPD. Das habe zu ihm als Unternehmer nicht gepasst.
Nach seinem Austritt aus der NPD war Jurisch über Jahre Chef eines Vereins zur „germanischen Brauchtumspflege“ mit Namen „Schwarze Sonne Meißen“. Jurisch selbst sagte dem MDR kürzlich, der Verein habe keine politischen Ziele verfolgt. Der Verfassungsschutz in Sachsen hatte die Schwarze Sonne allerdings im Blick. 2006 wurde der Verein aufgelöst.
Das Wahlforum am Donnerstag verfolgte vor Ort auch Daniel Bahrmann. Er ist Stadtratsmitglied der SPD, Fotograf und hat nur zufällig den gleichen Nachnamen wie der FDP-Kandidat. Die lauten Sprüche von Jurisch, glaubt Bahrmann von der SPD, das sei im Meißner Wahlkampf kein Nachteil. „Ich fürchte, viele finden das gut.“
Aber was ist mit Aktionen wie dem Flyer über die Posts von Jurisch, ändert das etwas? Bahrmann halte es für wichtig, dass Bürger:innen solche Informationen haben und wissen, wer zur Wahl steht. Vielleicht rege das zum Nachdenken an. Aber er vermute, so ein Flyer führe eher zu reflexhafter Solidarisierung.
Die Kompetenz der Kandidaten spiele für Jurischs Unterstützer:innen weniger eine Rolle, meint Bahrmann. „Es gibt da so einen Spruch: Die AfD könnte einen Stein blau anstreichen und aufstellen, der würde auch gewählt“, sagt er. Entscheidend sei, „denen da oben“ eins auszuwischen. „Dabei sägen sie am eigenen Ast.“
Maria Fagerlund vom Verein „Buntes Meißen“ sagt, sie sehe der Wahl am Sonntag mit gemischten Gefühlen entgegen. „Dem Oberbürgermeister muss ehrlich an einer lebenswerten Stadt für alle gelegen sein“, findet sie. Jurisch hat bereits klargemacht, wenn er gewinnt, haben es Demokratieprojekte wie „Buntes Meißen“ schwerer. Fagerlund hofft, dass es nicht so weit kommt.
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