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Nahost-WaffenstillstandNur der Egomane aus Washington konnte Netanjahu stoppen

Kommentar von

Susanne Knaul

Der Krieg im Gazastreifen hätte längst beendet werden können. Es brauchte einen Populisten, um einem anderen den Riegel vorzuschieben.

Tel Aviv, 4. Oktober: Eine Frau mit Trump-Maske nimmt an einer Kundgebung für einen Waffenstillstand und die Freillasung der Geiseln teil Foto: Ohad Zwigenberg/ap

V ielleicht schon am Sonntag, spätestens Anfang kommender Woche sollen die letzten israelischen Geiseln endlich in Freiheit kommen. Freude und Erleichterung bei ihren Angehörigen mischen sich mit der Sorge darüber, in welchem Zustand die Überlebenden sind, und mit der Trauer über die Toten. Ähnlich gemischt ist die Dankbarkeit für den Einsatz von US-Präsident Donald Trump mit dem Vorwurf, warum zum Teufel er nur so lange dafür brauchte, dieses schreckliche Leid und Blutvergießen zu beenden.

Vor den Müttern und Vätern der Israelis, die zwei ganze Jahre in den Händen palästinensischer Terroristen ausharren mussten, liegen bange Stunden. Und vor den PalästinenserInnen, die sich auf den Weg zurück nach Hause machen, nicht wissend, was sie dort erwartet. Wie viel Leid und wie viele Todesopfer hätten den Menschen auf beiden Seiten des Konflikts erspart werden können, wäre Trump nur schon früher zu der Einsicht geraten, dass nichts Gutes dabei herauskommt, wenn er Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu das Schicksal des Nahen Ostens überlässt.

Der Angriff der israelischen Luftwaffe auf führende Hamas-Funktionäre in Katar führte schließlich zum Umdenken. „Jedes Mal, wenn es Fortschritte gibt, bombardiert er irgendwo“, kommentierte Trump im September zu Recht erbost über Netanjahu, von dem er sich persönlich brüskiert fühlte. Kein anderer als Trump konnte einen Einfluss auf den Regierungschef in Jerusalem nehmen.

Die mahnenden Worte, reihenweise Anerkennung Palästinas oder gar Waffenembargos aus aller Welt haben nichts bewirkt. Insofern ist auch die Debatte etwas müßig, ob die Bundesregierung mit weiteren Maßnahmen gegen Israel tatsächlich etwas am Verlauf des Krieges hätte ändern können. Dass Bundeskanzler Friedrich Merz Deutschland nun beim Wiederaufbau des zerbombten Gazastreifens mit in der Pflicht sieht, ist lobenswert.

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Medizinische Hilfe, Zelte, Nahrungsmittel soll Deutschland bezahlen und daran mitwirken, die Wasser- und Energieversorgung rasch wieder herzustellen. Für finanzielle Mittel ist Deutschland gut, aber Reformprozesse der Palästinensischen Autonomiebehörde antreiben, wie Merz es plant? Damit hat sich der Kanzler wohl übernommen. Dieses Vorhaben ist in der Vergangenheit schon schiefgegangen. Kleine Schritte in die richtige Richtung sind angesagt. Das Leid der Menschen zu lindern, soweit es geht.

Und ja: Trump verdient trotz allem Applaus. Besser spät als nie, so einfach ist es. Der US-Präsident reist nach Jerusalem. Diese Gelegenheit, sich noch mal richtig feiern zu lassen, lässt sich der Egomane aus Washington nicht entgehen. Vielleicht hält er sogar eine Rede in der Knesset, wo er mit Standing Ovations rechnen kann. Nur nicht von den Rechtsradikalen in der Koalition, die dann vermutlich vor der Tür warten und überlegen, wie das Abkommen doch noch zum Scheitern gebracht werden kann.

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Redakteurin Meinung
1961 in Berlin geboren und seit 2021 Redakteurin der Meinungsredaktion. Von 1999 bis 2019 taz-Nahostkorrespondentin in Israel und Palästina.
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16 Kommentare

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  • Auch Biden hätte den Krieg schon beenden können. Israel hängt an der Infusionsnadel der USA. Es fehlte der politische Wille. Jetzt hat es also Trumpf gemacht, weil er sich persönlich beleidigt fühlte.

    Sollten sich beide Seiten ausnahmsweise an Vereinbarungen halten, wäre das großartig. Aber ich bin mir nicht sicher...

  • "Im Gazastreifen sind seit dem 7. Oktober 2023 durch Angriffe des israelischen Militärs rund 66.148 Menschen gestorben, rund 168.716 wurden verletzt." (Statista)



    Da Israel total von den USA abhängig ist, hätte Trump das Blutvergießen viel früher beenden können.



    Es bleibt abzuwarten, wie die 20 Punkte des Abkommens durch beide Seiten gefüllt werden. Ich bleibe misstrauisch und glaube nicht, dass es noch meinen Lebzeiten zu einer Lösung kommen wird, die für beide Seiten akzeptabel ist.

  • Man sollte allerdings nicht übersehen, dass diese Einigung eher mit Druck, Drohungen zustande kam. Der Begriff Diplomatie wird nur als Deckmäntelchen darübergelegt. Dennoch: dieses rücksichtslose Morden beider Seiten muss beendet werden, hoffentlich gelingt das. Sehr widerwillig sehe ich ein, dass es offenbar anders kaum möglich wäre.

  • Wir hatten Anfang des Jahres schon einmal die selbe Situation. Damals noch unter Biden. Dann hat Israel einseitig den waffenstillstand gebrochen, weil die Regierung vor der Auflösung stand. Dann gab es unter Trump eine Hungersnot und die Zerstörung von Gaza Stadt. Man kann nur hoffen dieses Mal wirklich die Geiseln freigelassen werden und der Krieg und die Vertreibungsfantasien eingestellt werden, auch im Westjordanland. Nur die USA geben existentielle militärische Unterstützer und haben so ein Druckmittel. Die Frage ist noch was als Opposition zur Hamas in Gaza noch existiert, am besten übernimmt die plo.

  • Deutschland und die EU sollten sich hinsichtlich möglicher Reformprozesse lieber bedeckt halten und sich auf Hilfsmaßnahmen konzentrieren.

    Denn welche Zeitungen man in der arabischen Welt auch aufschlägt, der Tenor ist mit Ausnahme von Saudi Arabien stets der Gleiche.

    Von Ägypten bis Pakistan ist eine amerikanische Monopolisierung in Gaza mit den europäischen Staaten im Schlepptau unerwünscht.

    Sowohl hinsichtlich der Aufsicht, der Friedenstruppen und erst Recht beim Wiederaufbau möchte man zumindest gerne China ins Boot holen, einige arabische Staaten auch noch Russland.

    Von den USA wird lediglich erwartet Israel im Zaum zu halten und sich ansonsten nicht einzumischen. Die Neuordnung in der Region versteht man vor Ort als Angelegenheit der Arabischen Liga und bestenfalls noch der UN.

    Einhellig ist den Medien auch zu entnehmen, dass am Ende dieses Prozesses nur ein Staat Palästina stehen kann, dessen Grenzen noch definiert werden müssen.

    Wäre klug vom Westen sich diesmal nach den arabischen Staaten zu richten und nicht Trumps und Kutchers Geschäftsinteressen in der Region zu unterstützen.

    • @Sam Spade:

      Das ist ja toll was die Arabische Liga sich wuenscht, auch was Pakistan denkt ist bestimmt hoch interessant. Mehr aber auch nicht, oder hab ich den erfolgreichen Blitzkrieg der Arabischen Liga gegen Israel verpasst? Und in welcher Welt wird der Westen (die EU?) die Arabische Liga den USA und Israel vorziehen? Die EU wird das sicher nicht tun, weil es Deutschland nicht tun wird. Darauf verlassen sich doch die meisten wenn sie aus Angst vor heimischen Ausschreitungen grosse Reden gegen Israel halten.

      Die Geschaeftsinteressen von Trump sind der beste Garant fuer eine US-amerikanische Geo/Aussenpolitik mit weniger Toten. Politischer Einfluss durch Geschaefte statt Krieg. War auch mal Deutschlands Philosophie bevor wir in der Ampelzeit zum moralischen Zeigefinger zwecks Zielgruppenbespassung wechselten.

  • Israel ist auch von militärischer Unterstützung der in der Region stationierten US-Truppen verantwortlich und auch von Waffenlieferungen aus den USA, danach von Waffenlieferungen aus Europa. Wenn irgendein US-Präsident einem israelischen Premierminister in der Öffentlichkeit glaubhaft erklärt, dass jetzt Schluss mit lustig ist und man die Unterstützung sofort einstellt muss der reagieren sonst steht er im Hemd da und die lieben Nachbarautokratien wittern Morgenluft.

  • Das ist m.E. ein abgekartes Spiel zwischen diesen beiden "Populisten". (wieso dieser milde Begrif?) Es läuft gerade so, wie sie beide es wollen. Sie ziehen eine Schau ab und durch. Wer dieses Trugbild glauben mag ...



    Die Opposition in Israel kann nun die ganz extremistische Rechten ersetzen, um ggf. die Situation zu stabilisieren, falls diese abspringen. Deswegen werden die besonders Extremistischen im Kabinett wenig Impulse verspüren aus der Regierung auszusteigen, Sie werden nicht gerne Macht ind Einfluss schmälern wollen, wenn nun weitere Entscheidungen für Umsetzungen anstehen. Auch weil der Krieg ggf. weiter gehen können muss. - Netanyahu hat beste Chancen an der Macht zu bleiben und/oder rechtlich davon zu kommen, national wie international.

  • Israel will sich ganz aus dem Gazastreifen zurück ziehen. Aber die hamas wil die Wafen nicht niederlegen und sich also nicht auflösen.

    Wenn es dabei bleibt wird Israel wohl weiter kämpfen. Leider.

    www.tagesspiegel.d...-aus-10586281.html



    „Kommt nicht in Frage und ist nicht verhandelbar“: Hamas-Vertreter schließt geforderte Entwaffnung in zweiter Phase des Friedensplans aus

    • @Martin Sauer:

      "Israel will sich ganz aus dem Gazastreifen zurück ziehen."

      Das hat der israelische Regierungschef aber anders dargestellt. Er hat davon geredet, weiter den Gazastreifen zu kontrollieren.



      In dieser Tragödie ist keinem der Akteure zu trauen.

  • Israel ist auf Gedeih und Verderb auf die USA angewiesen. Jeder US-Präsident hätte es in der Hand gehabt, mit der simplen Drohung des Entzugs der Unterstützung Israel Einhalt zu gebieten. Bei aller Freude über den Waffenstillstand (ja, da gibt es nichts zu relativieren!) sollte man aber trotzdem nicht vergessen, was in den übrigen besetzten Gebieten tagtäglich abgeht. Und auch nicht, dass Trump die US-Botschaft völkerrechtswidrig nach Jerusalem verlegte, die völkerrechtswidrige Annexion der Golanhöhen akzeptierte und weiterhin wie alle US-Präsidenten vor ihm zur völkerrechtswidrigen Enteignung und Zersiedelung des Westjordanlandes schweigt.

  • So ist das. Trump war wohl der Einzige, der Netanjahu und (indirekt) der Hamasführung gleichzeitig so glaubhaft auf die Füße treten konnte. Jetzt müsste er nur noch genau so persönlich empört auf Wladimirs Wüterei reagieren, dann könnte es tatsächlich auch in der Ukraine einen Fortschritt zum Waffenstillstand geben.

  • Netanjahu hat es übertrieben, der Angriff auf Katar war der eine zu viel. Am Ende jedes Problem durchs israelische Militär zu lösen ist vielleicht dann doch nicht alles, was ein Ministerpräsident machen kann und soll. Wer Trump auf die Füße tritt sollte keinen langen Hebel in dessen Hand wissen, sonst wird es gefährlich. Hat Netanjahu jetzt erlebt, natürlich gibt es noch 1000 Gründe, warum es am Ende keinen dauerhaften Frieden in Nahost gibt. Aber immerhin: die Waffen schweigen erstmal.

  • Egal, wer den Netanjahu stoppt, Hauptsache er wurde/wird gestoppt. Leider war es ja nicht Frau Bährbock und auch nicht Herr Scholz. So einfach ist das.

  • Clinton hat schon einmal Israel die Grenzen aufgezeigt - das war dann kurz vor dem Lewinsky-Skandal, der auch das stoppte.

    Es braucht keinen Egomanen, einfach nur Rechtsbewusstsein bzw. Wissen, warum ein US-Präsident das im Nahen Osten zeigen sollte, für Einfluss u.a.

    • @Janix:

      ...„Jedes Mal, wenn es Fortschritte gibt, bombardiert er irgendwo“, kommentierte Trump im September zu Recht erbost über Netanjahu, von dem er sich persönlich brüskiert fühlte."



      Allein das zeigt ja die Schwäche dieser Allianz bzw die Machtverhältnisse, wenn erst bei ultimativer Eskalation unter Missachtung des Völkerrechts endlich ein "Machtwort" gesprochen wird.



      Politische Freunde sind eben keine Freunde.



      Im Kreml wird man solche Differenzen schon registriert haben.



      BTW



      Die Rolle der Türkei und Russlands in der aktuellen Gemengelage war offensichtlich nicht der Rede wert.