Nach dem Aiwanger-Skandal: Zeit der Monster
Der Konservativismus in Bayern schreddert gerade unsere ökologischen Lebensgrundlagen und das demokratische Fundament. Wir müssen dagegenhalten.
K napp fünf Wochen vor der Landtagswahl schmelzen in Bayern die letzten Gletscher und demokratische Grundfeste im dystopischen Gleichtakt. Beides hängt nicht nur zeitlich und räumlich miteinander zusammen. Ministerpräsident Markus Söder (CSU) will seine Rechtsaußen-Machtkalkulation im Angesicht tonnenschwerer Fragen über Erinnerung, Respekt und deutsche Schuld mit performativer und vor allem konsequenzloser Auf-den-Tisch-Hauerei überschatten. Dabei zieht er die Ökologiefrage immer tiefer in den politischen Rechtsdrift mit hinein. Es ist Zeit, sich dem entgegenzustellen.
Dass der Konservativismus es bisher nicht geschafft hat, einen souveränen Umgang mit einer erstarkenden AfD zu finden, wird immer offensichtlicher. Am vergangenen Wochenende erlebte man einen Markus Söder, der zwar hochengagiert und entschieden eine Distanzierung von den Grünen verkündete – nicht aber die eigentlich gefragte Abgrenzung von einem Vize und dessen unerträglich unernstem Umgang mit dem schweren Vorwurf antisemitischer und menschenverachtender Propaganda.
Es ist ein Muster: je höher die bundesweiten Zustimmungswerte für die AfD, desto weicher der Umgang der Union mit rechts und desto härter der Umgang in Richtung ökologischer Klasse. 2018 kündigte Merz noch an, die AfD halbieren zu wollen, fünf Jahre und eine stark gewachsene Zustimmung für die AfD später bejaht-verneint Merz in klassisch unaufgeräumt-rechtsblinkender Manier eine Zusammenarbeit mit der AfD auf kommunaler Ebene.
Am Montag, beim Polit-Volksfest Gillamoos, erwähnt Friedrich Merz Aiwangers Fehler im Umgang mit seiner Vergangenheit mit keinem Wort; Aiwanger selbst wiederum zelebriert ein Bierzelt weiter allen Ernstes seinen Widerstand gegen seine „Vernichtung“ durch die politischen Gegner. Wen Merz in Bayern stattdessen attackierte: seinen „Hauptfeind“, die Grünen, in minutenlangem Gezeter. Mit rechten Stimmen wird angestoßen, auf ökologische Stimmen prügelt man ein. 100 Kilometer südlich vom Gillamooser Bierzelt sitzen 27 Mitglieder der Letzten Generation in bayerischer Präventivhaft.
geboren 1996, ist Klimaschutzaktivistin bei Fridays for Future.
Gefragt sind nun jene Konservativen, die den menschenfeindlichen Kurs von rechts als Gefahr und nicht länger als Inspiration verstehen und stattdessen eine Linie der demokratischen Integrität und des Anstands vertreten, die auch im Wahlkampf Werte vor Wählerumfragen stellt.
Es stehen aber auch Fragen im Raum, die die Ökologie betreffen: Was sind ihre Antworten auf die wachsende Instrumentalisierung durch rechts? Rechte Kräfte zersetzen in ihrer menschenfeindlichen Ideologie nicht nur demokratische Fundamente, sie zersetzen auch demokratische (Lebens-)Grundlagen – beides gehört zusammen. Stabile Demokratien brauchen ein stabiles globales Klima, das einen ökologischen Rahmen der Sicherheit schafft und nicht Chaos stiftet und Konflikte schürt. Jede Verschärfung der Klimakrise sorgt dafür, dass ein bisschen weniger demokratische Instanzen und ein bisschen mehr die Klimakatastrophen regieren. Jede Katastrophe verengt den demokratischen Raum, bindet Ressourcen und raubt Zeit.
Eine freie und selbstbestimmte Demokratie ist wiederum für die Rechten eine Gefahr. Mit aller Kraft arbeiten sie dagegen an. Und – auf einer anderen Ebene – ist auch die ökologische Krise für sie eine Gefahr, denn ihre Agenda liefert keine Antworten darauf. Die ökologische Krise anzuerkennen, würde heißen, man lässt sich auf die Tatsache globaler Abhängigkeiten ein, lässt zu, dass man Verantwortung für andere und für die eigene Vergangenheit übernimmt – aber all das verweigern die Rechten und damit nicht nur die AfD.
Sie liegen damit in einem globalen Trend: Es ist kein Zufall, dass Trump das Pariser Abkommen aufgekündigt hatte und Bolsonaro praktisch höchstpersönlich mit seiner Hobbysäge durch den Regenwald zog. Der Motor der Klimaleugnung liegt in der politischen Rechten, doch hat er sich mittlerweile tief im konservativen Milieu eingenistet. Die Klimafrage wird dort in denselben Topf geschmissen, in den auch Gerechtigkeits- und Selbstbestimmungsfragen geworfen werden, in der Sprache der Rechten: es ist die Woke-Agenda.
Bayern – Einschnitt für die Ökologie
Hubert Aiwanger nahm zuletzt einen verregneten Juni zum Anlass, um in der Klimakrise weniger „Panik“ zu fordern; an anderer Stelle sprach er von „Klimahysterikern“, die „Geschäftemacherei und Schlagzeilenproduktion“ betreiben würden. Der Konservatismus in Bayern demonstriert, wie man im selben Atemzug schreddert, worauf man steht: die ökologische Lebensgrundlage und das demokratische Fundament. Wer mit Rechten bändelt, lädt auch die Wissenschaftsfeindlichkeit ein und die Verantwortungsleugnung – und stärkt die Unfähigkeit, zum Schutz zukünftiger Generationen echte Lehren zu ziehen.
Die Entwicklungen in Bayern dürften für die Ökologie ein Einschnitt sein. Wenn wir für uns in Anspruch nehmen, durch unsere Forderungen nach Klimagerechtigkeit die Demokratie und alles, was dazugehört, zu schützen, dann sind wir auch aufgefordert zu beweisen, dass wir unseren Einsatz als kategorisch antifaschistisch verstehen. Dass wir uns angesprochen fühlen, wenn die rechte Agenda Minderheiten und Menschenrechte bedroht. Es muss deutlich werden, dass wir planetare Bewohnbarkeit nicht isoliert von demokratischer Emanzipation verstehen.
Es ist die Zeit der Monster, sagte Antonio Gramsci über die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg. Und heute? Die Rechten wollen freie Gesellschaften und ökologische Emanzipation zur großen Gefahr stilisieren. Das wird ihnen so lange gelingen, bis wir eine eigene Geschichte erzählen: von einer Gesellschaft, die Respekt, Würde und Ökologie dort zusammendenkt, zusammen stärkt und zusammen verteidigt, wo sie im Kern längst zusammengehört.
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