Nach Affäre um antisemitisches Flugblatt: Aiwanger lässt sich Leviten lesen

Schlagabtausch im Bayerischen Landtag zur Causa Aiwanger: Die Opposition wollte in einer Sondersitzung Antworten, die Regierung ihre Ruhe.

Aiwanger vor einem Gemälde

Es aiwangert im Landtag: Vize-Ministerpräsident Hubert Aiwanger (FW) beim dröhnendem Schweigen Foto: Sven Hoppe/Pool/dpa

MÜNCHEN taz | „Herr Aiwanger, was verstehen Sie unter Reue und Demut?“, beginnt Ludwig Hartmann am Donnerstag seine Rede in der Sondersitzung des Bayerischen Landtags. Eine Rede, die dann fast ausschließlich aus Fragen besteht. Wie Aiwanger das Vertrauen der jüdischen Gemeinden zurückgewinnen wolle, will der Fraktionschef der Grünen von dem stellvertretenden bayerischen Ministerpräsidenten wissen. Oder wie dessen viele Erinnerungslücken in der Flugblattaffäre mit seiner Behauptung zusammenpassten, die Vorkommnisse in seiner Schulzeit seien ein einschneidendes Erlebnis gewesen, das wichtige gedankliche Prozesse angestoßen habe.

Es gab Fragen über Fragen: Warum habe er nicht sofort seinen Bruder als den eigentlichen Verfasser des Flugblatts genannt? Warum habe er zweimal eine Freien-Wähler-Abgeordnete zu dem Lehrer seiner ehemaligen Schule geschickt, der offenbar noch im Besitz des Flugblatts war?

Es ist die Sitzung des Zwischenausschusses des Landtags, eines Gremiums von 51 Abgeordneten, das nur in Ausnahmefällen kurz vor der Landtagswahl zusammentritt, wenn der Landtag seine Arbeit schon abgeschlossen hat. Der Plenarsaal wird gerade saniert, deshalb findet die Sitzung nebenan im Senatssaal statt. Die Klimaanlage funktioniert nicht, weshalb der Ausschussvorsitzende Thomas Kreuzer gleich zu Beginn ankündigt, es werde heiß werden. Also auch klimatisch gesehen.

Auch an Ministerpräsident Markus Söder hat Hartmann Fragen: Ob er sich wohl mit seiner Entscheidung fühle, ob er Machterhalt über Haltung gestellt habe, ob er Aiwangers Äußerungen in diversen Bierzelten als Reue betrachte?

Beharrliches Schweigen

Es sind die Fragen, die nicht nur Hartmann spätestens seit letztem Sonntag beschäftigen, als Söder verkündete, Aiwanger allen Vorwürfen zum Trotz im Amt zu belassen. Fragen, zu denen sich Söder und sein Stellvertreter beharrlich in Schweigen hüllen.

Natürlich hätte Aiwanger am Donnerstag noch einmal die Gelegenheit gehabt, das Wort zu ergreifen und die Öffentlichkeit mit einer ausführlichen Stellungnahme zu den Vorwürfen gegen ihn zu überraschen, vielleicht sogar in glaubhaften Worten Reue zu zeigen. Aber er tut es nicht. Stattdessen lehnt die Landtagsmehrheit von CSU und Freien Wählern die Anträge aus der Opposition ab, dass sich Aiwanger wie auch Söder in der Debatte den Fragen des Parlaments stellen sollten.

Die Geschäftsführung sehe das aus guten Gründen nicht vor, argumentierte Tobias Reiß, Parlamentarischer Geschäftsführer der CSU-Fraktion, gegen die „kleine Showeinlage, die hier seitens der Opposition geplant wird“. Schließlich habe nicht der Landtag über die Entlassung von Ministern zu entscheiden, sondern der Ministerpräsident. Söder sei Herr dieses Verfahrens. Sein Amtskollege in der Freien-Wähler-Fraktion, Fabian Mehring, sprach sogar von „einer Art Tribunal“, das die Opposition veranstalten wolle. Die offensichtliche Botschaft der Koalition: Es ist alles gesagt, lasst uns zum politischen Alltag übergehen.

Das freilich will die Opposition nicht. SPD-Chef Florian von Brunn bezeichnet Aiwanger als ungeeignet für dieses Amt und wirft ihm vor, seine Entschuldigung selbst relativiert zu haben, indem er sich als Opfer dargestellt habe. „Es geht aber nicht um Sie.“

Der Angesprochene jedoch blickt nicht zum Redner. Während der ganzen Sitzung sitzt er mit durchgedrücktem Rücken da, schaut regungslos nach vorne. Am Ende wird er sich seinen Weg aus dem Saal bahnen, an den Journalisten vorbei, die auch noch Fragen hätten – „kein Statement.“

Indes machen die Freien Wähler draußen im Land schon ganz unverhohlen Wahlkampf mit der vermeintlichen „Schmutzkampagne“ gegen ihren Vorsitzenden. Und den jüngsten Umfragen zufolge sind es zumindest nicht sie, die – an Wählerstimmen gemessen – als Verlierer aus der Affäre gehen dürften. Laut einer aktuellen Civey-Umfrage bleibt die Partei stabil bei 12 Prozent. Die Christsozialen dagegen kommen nur noch auf 36 Prozent und würden damit sogar ihr desaströses Wahlergebnis von 2018 unterbieten.

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