Nach Merz' Tabubruch im Bundestag: Wie kann man die CDU retten?
Die Demos gegen CDU-Chef Merz laufen unter dem Motto „Aufstand der Anständigen“. Das ist unanständig, weil es eine unnötige Polarisierung vorantreibt.
![Michel Friedmann spricht auf der Aufstand der Anstädigen Kundgebung Michel Friedmann spricht auf der Aufstand der Anstädigen Kundgebung](https://taz.de/picture/7517196/14/37613063-1.jpeg)
W enn Vereine, Eltern, Hausgemeinschaften oder auch Redaktionen Sitzungen haben, dann weiß man nie, auf welches Thema sich die Leute stürzen werden. Aber man weiß genau, dass die großen Fragen der Elefant im Raum sind, der verlässlich ignoriert wird. So scheint es mir auch vor dieser Bundestagswahl zu sein, da die zentralen Zukunftsfragen ausgeklammert werden: politische und ökonomische Investitionen in Europa und damit zusammenhängend in eine postfossil funktionierende Wirtschaft, Verteidigungsfähigkeit, Digitalinfrastruktur und die desaströsen Kollateralschäden der alternden Gesellschaft.
Auch Medien und Mediengesellschaft lassen sich liebend gern ablenken und fördern so – die einen absichtlich, die anderen arglos – die wachsende Bereitschaft zur Zerfleischung.
Nun will ich nicht sagen, dass die Lage nicht scheiße wäre. Es ist gut, dass am vergangenen Wochenende Hunderttausende für die liberal-emanzipatorischen Errungenschaften und den Rechtsstaat demonstrierten. Es ist indes falsch, wenn das unter dem Label „Aufstand der Anständigen“ läuft.
Es sind die anderen, die einen Aufstand machen, und zwar gegen das, was die Demos verteidigen wollen. Und sich selbst „die Anständigen“ zu nennen, das halte ich für unanständig. Es zielt auf maximale moralische Deklassierung anderer und zahlt damit auf die Ziele der Populisten ein, mit Erzeugung von Wut eine Polarisierung voranzutreiben. Man braucht sich nicht mit Habermas auskennen, um zu wissen, dass wir in einer gemeinsamen Welt leben müssen.
Es braucht die CDU
Wir können und wollen ja eben Andersdenkende nicht deportieren. Also gibt es vier Möglichkeiten: Wir überzeugen die anderen mit unseren Argumenten oder sie überzeugen uns (beides unwahrscheinlich), wir leben verfeindet, aber nicht im Krieg nebeneinander her, wir schlagen uns die Schädel ein, oder wir finden doch immer wieder Mehrheiten für Kompromisse auf Basis der gemeinsamen Gesellschaft.
Ich halte die vierte Möglichkeit für erstrebenswert, aber dazu braucht es die CDU. Ohne eine starke und gemäßigte Mitte-Rechts-Partei keine gesellschaftliche Mehrheit für die liberale Demokratie. Nun werden Leute rufen, dass an der Union im Moment gar nichts gemäßigt ist. Sagen wir so: Offenbar hat Donald Trump auf unterschiedliche Arten Einfluss, und eine davon ist die Sehnsucht, auf zivilisierende Institutionen und gesellschaftliche Kompromisse zu scheißen und einfach autoritär sein Zeug durchzuziehen.
Es ist inzwischen klar, dass Friedrich Merz mit seinem Zustrombegrenzungszeugs den starken Max geben wollte, aber damit zum Schoßhund der AfD wurde. Noch unklar ist, ob er dadurch dauerhaft an Zustimmung verliert und am Ende jemand anders aus der Union Kanzler wird. Das hängt wohl vom Wahlergebnis ab und wie dann die Gewichte sind in dem fundamentalen Identitätsstreit der orientierungslosen Partei, der sich in Grünen-Hass und AfD-Anrobben ausdrückt.
Dieser Identitätsstreit wiederum ist Folge und Teil des Hegemonie-Streits in der Gesellschaft, der – verkürzt gesagt – darin besteht, dass das, was den einen an gesellschaftspolitischem Fortschritt immer noch zu wenig ist, einer wachsenden Gruppe mittlerweile zu viel ist.
Letzteres kann man nicht einfach ignorieren oder mit absoluter Moral bannen wollen, wie das etwa die Grüne Jugend notorisch versucht. Wer selbst keine absolute Mehrheit hat, der darf auch nicht durchwalzen wollen wie Merz, sondern muss anderstickenden demokratischen Parteien parlamentarische Kompromissvorschläge machen, so wie Robert Habeck das praktiziert.
Das ist keine Schwäche, das ist die Tugend, die es jetzt braucht. Zuvorderst in der CDU.
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