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Nach Lindners Vorstoß zum KohleausstiegDeutschland plant zu kurz

Susanne Schwarz
Kommentar von Susanne Schwarz

Die Bundesregierung wollte den Kohleausstieg „idealerweise“ auf 2030 vorziehen. Dafür fehlen noch etliche Maßnahmen – und eine realistische Planung.

Bundesfinanzminister Christian Lindner Foto: Kay Nietfeld/dpa

E r zündelt wieder. Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) will „die Träume von einem Ausstieg aus dem Kohlestrom 2030 beenden“, solange nicht klar sei, dass Energie verfügbar und bezahlbar ist. Das hat er dem Kölner Stadtanzeiger in einem Interview gesagt. Im Koalitionsvertrag nimmt sich die Regierung aber genau das vor: den Kohleausstieg nicht erst 2038, wie es das Kohleausstiegsgesetz bisher vorschreibt, sondern „idealerweise“ schon bis zum Ende dieses Jahrzehnts.

Natürlich ist der Ausstieg keine einfache Aufgabe. Deutschland verbraucht viel Strom. Der Bedarf wird in Zukunft sogar noch steigen, wenn zum Beispiel immer mehr Autos elektrisch statt mit Benzin und Diesel laufen sollen.

Die Bundesregierung werkelt gerade an einer Kraftwerksstrategie. Die soll sicherstellen, dass das Stromnetz 2030 jederzeit stabil läuft. Mindestens 80 Prozent des in Deutschland verbrauchten Stroms sollen dann aus erneuerbaren Energien stammen. Dazu müssen noch sehr viele Windräder und Solaranlagen gebaut werden. Den Rest müssen andere Kraftwerke liefern, etwa Gaskraftwerke.

Tatsächlich deutet sich an, dass Deutschland bisher nicht mit genug Kapazität plant. Zu diesem Schluss ist kürzlich etwa das Science Media Center gekommen, das mit Zahlen aus Robert Habecks Wirtschaftsministerium zur geplanten Kraftwerksstrategie eigene Berechnungen angestellt hat. Ob es noch eine Lücke gibt und wie groß sie ist, hängt aber auch davon ab, wie sich der Verbrauch 2030 gestaltet. Schafft es Deutschland zum Beispiel, dass Ver­brau­che­r:in­nen Strom besonders dann nutzen, wenn er gerade reichlich verfügbar ist? Ein Selbstläufer ist das alles nicht.

Aber: Deutschland muss seine Treibhausgasemissionen senken. Das ist keine Geschmacks-, sondern eine Überlebensfrage. Dafür kann der Kohleausstieg nicht erst 2038 kommen. Es ist die Aufgabe der Bundesregierung, das zu gestalten – statt nötige Vorhaben wieder aufzukündigen.

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Susanne Schwarz
Leiterin wirtschaft+umwelt
Jahrgang 1991, leitet das Ressort Wirtschaft + Umwelt und schreibt dort vor allem über die Klimakrise. Hat ansonsten das Online-Magazin klimareporter° mitgegründet.
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19 Kommentare

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  • Das das nicht klappt hat man bereits im Koalitionsvertrag mit dem Wörtchen „idealerweise“ festgeschrieben 🤪

  • "Deutschland muss seine Treibhausgasemissionen senken. Das ist keine Geschmacks-, sondern eine Überlebensfrage."

    Nein, es ist keine Überlebensfrage. Deutschlands Anteil an den weltweiten Emissionen ist dafür viel zu klein. Und wenn unsere Art des Klimaschutzes Wohlstandsverlust bringt, wird es auch niemand nachahmen (viele andere bauen momentan fleißig neue Kohlekraftwerke) und es ist doppelt irrelevant.

  • Die Energiewende ist maßgeblich bestimmt durch Technikinnovation. Um die Schwankungen bei der Ernte von Wind- und Sonnenenergie auszugleichen benötigt es elektrische Massenspeicher (im städtischen Quartierspeicher). Das war bislang nicht möglich, da Akkus bisher aus Lithium und anderen kritisch verfügbaren Rohstoffen gebaut wurden. Seit diesem Jahr sind jedoch die erste Natrium-Ionen Akkus in D- auf dem Markt, die ohne kritische Rohstoffe auskommen und deren Verfügbarkeit sehr hoch ist. Das ist für die Energiewende Strom der Durchbruch. Zusätzlich zur Gewinnung von Wasserstoff für die Heizperiode im Winter oder als Ausgangsenergieträger für die Luftfahrt.



    - Nicht eine Kilowattstunde darf mehr abgeregelt werden! -



    Um den Ausbau von Architektur-PV zu beschleunigen, kann man die Stromsteuer die auch auf ArchitekturPV erhoben wird, den Erzeugern zuschlagen. Für einen begrenzten Zeitraum von 10 Jahren. Danach kann man die Steuer wieder einführen, zur Finanzierung der öffentlichen Haushalte. Aktuell sind die Selbstkosten für Dach-PV höher als die Einspeiseerträge. Agrarsolar ist zwar hochrentabel, aber PV gehört aufs Dach.

  • Den Lindner einfach mal rumquatschen lassen.... und einfach so arbeiten bei der Planung und Umsetzung, dass das funktioniert mit dem Ausstieg?



    Lindnerschnappreflexe rückfahren, konstruktives 'Doing' hochfahren! Merci.

  • Es ist für keine Regierung der Welt einfach ihren Job zu machen, wenn eine destruktive Opposition mit im Kabinett sitzt, die zudem auf Krawall aus ist.Es war ein großer Fehler von SPD und Grünen sich auf eine Koalition mit Populisten enzulassen. Diese Lobbytruppe aka FDP hat nur ein einziges Interesse: ihr eigenes.

    • @Perkele:

      "Der Kaiser hat keine Kleider"

      Wenn wir verfügbaren UND bezahlbaren Strom hätten, dann bräuchten wir doch keinen Industriestrompreis, den RH so gerne möchte.

      Das macht doch alles keinen Sinn und ist nur wishful thinking.

      • @GregTheCrack:

        Klar, RH ist schuld. Das ist eine ziemlich einfache Lösung....

  • Klimaschädliche Subventionen endlich abschaffen! Dieses Geld kann Positives bewirken!

  • Lindner? Plan?

    Sie machen Witze.

  • Anstatt das Mantra zu verbreiten "CO2 einsparen aber trotzdem mehr Energie verbrauchen" sollte man vielleicht wieder auf den Trichter kommen Energie einzusparen, das Potential ist riesig, das ist allgemein bekannt.....hat doch am Anfang des Ukraine Kriegs, als alle Angst vor Gasknappheit und vorm bösen kalten Winter hatten auch geklappt, warum man das nicht beibehalten hat, sondern kurz danach alles wieder auf "normal" geschaltet wurde ist mir ein Rätsel, absolut dämlich

    • @PartyChampignons:

      Die vermeintlichen Energieeinsparungen waren vor allem durch den milden Winter bedingt. Die deutsche Industrie ist im internationalen Vergleich bereits sehr stromsparend unterwegs - schon allein aufgrund der höheren Industriestrompreise. Sicher muss man die Nachfrageseite flexibler machen - z.B. durch wechselnde Stromtarife oder die Möglichkeit selbst erzeugten Strom bis zum Arbeitsplatz in das eigene Elektroauto zu leiten. Letztendlich sind diese Maßnahmen zwar sinnvoll, aber Kleinigkeiten im Verhältnis zum deutschen Primärenergiebedarf. Die Foristen Gerald Müller oder auch Lesnmachtdumm haben dazu bereits wesentliches geschrieben. Die Grünen verkaufen Ihnen gegenwärtig eine Illusion um sich politisch zu halten. Ob die FDP sich dazu äußert spielt letztendlich keine Rolle - der Kohleausstieg 2030 wird leider nicht stattfinden.

  • Nachdem die Sektorenziele für den Verkehr abgeschafft worden sind, muss zum Ausgleich in anderen Sektoren umso mehr erreicht werden. Z.B. durch den Kohleausstieg.

    • @meerwind7:

      Geht aber nicht. Die Chance haben wir uns verbaut, weil wir zuerst aus Atom ausgestiegen sind.

      Und selbst wenn wir genug Gaskraftwerke als Ersatz fuer die Kohleverstromung bauen, aendert sich an der Klimabelastung praktisch nichts, da das Verstromen von Fracking-LNG in etwa so schaedlich fuer das Klima ist wie die Kohleverstromung, vor allem wenn man Methan mit einbezieht.

      Es ist fuer das Klima also vollkommen egal, ob wir aus der Kohle aussteigen oder nicht, solang wir sie mit Fracking-LNG ersetzen.

  • Lindner zieht die ehrliche Konsequenz aus Habecks Bemühen, einer vermeintlichen „Deindustrialisierung“ entgegenzuwirken und die großen Energieverbraucher des produzierenden Gewerbes in Deutschland zu halten. Wenn wir auch 2030 noch Schmelzflusselektrolyse betreiben, wird das nichts mit dem Energiesparen und der „smarten“ Verbrauchssteuerung, weil dann immer große Last nötig ist.

  • TWh



    Zitat von vor zwei Jahren, aus dem oben verlinkten taz-Artikel von Beate Willms:



    "645 .. 665 (...) auf 685 Terawattstunden steigen werde. Und auch diese Zahl könnte zu niedrig sein. So hat die besonders energieintensive chemische Industrie angekündigt, dass sie bis Mitte der 2030er Jahre zehnmal so viel Strom benötigen werde wie heute, wenn sie ihre Produktionsprozesse elektrifizieren solle – das wären 628 Terawattstunden nur für diesen Sektor." In 10 Jahren, Leute.



    Und, so fragen wir mal obendrauf, was ist mit Gebäudeheizung, Stahlindustrie, Straßentranport, Flugverkehr ... ? Alles bislang noch Verbrenner. Eher realistisch: Vervierfachung des heutigen (~550TWh) Strombedarfs bis ca. 2050, also 2000 TWh, oder so.



    Von derzeit je nach Jahr und Wetter 40 bis 50 Prozent Erneuerstrom auf 80 - klingt machbar, solange NICHT dazugesagt wird, 80 Prozent WOVON. Vom Viiierfachen .... Huhuuu, aufwachen ! (Ja, wir wissen alle: weiterträumen wär schöner.)



    PS: Verbleibende 20 Prozent CO2-Strom 2050 wärn dann allein schon 400TWh. Oder so.

  • "Schafft es Deutschland zum Beispiel, dass Verbraucher Strom besonders dann nutzen, wenn er gerade reichlich verfügbar ist? Ein Selbstläufer ist das alles nicht."

    Nein, ein Selbstlaeufer ist das sicher nicht, ausser man will in Zukunft die Waermepumpe nur im Sommer einschalten, wenns genug Solarenergie gibt.

  • Das ist doch ein alter Hut. Um die Habeck'sche Energiewende yu sichern sind 25 bis 40 GW Gaskraftwerke plus Versorgung mit Gas notwendig. Hatte Scholz schon im November 2021 gesagt, dann aber anscheinend auch das vergessen. Um die Zeiten abzudecken wenn Sonne und Wind kaum was bringen, und um den Stromimport zu verringern, Nur habe ich bisher noch absolut nichts von der Planung, geschweige denn Finanzierung dafür gehört. Ausser dass es keine privatwirtschaftlichen Investitionen geben wird weil der Betrieb dieser Kraftwerke unwirtschaftlich sein wird. Da wird uns vom Wirtschafts- und Klimaminister schlicht was vorgegaukelt. Sieht fast so aus als ob Habeck damit rechnet bei der nächsten Wahl in der Opposition zu landen so dass er jetzt nichts fossiles, unpopuläres und superteures anleiern muss.

  • Es kann doch nicht so schwer sein. Wir können nicht so weiter leben, wie bisher und womöglich noch mehr verbrauchen, wie bisher und glauben, das es schon gut gehen wird. Aber das tun wir. Glaube hilf aber nicht immer.

    • @Matt Gekachelt:

      Das ist eine Generationenaufgabe, auch zeitlich. Wenn man bei der Umsetzung ökonomische Zusammenhänge völlig ausblendet, dann scheitert man eben. Schomal ins Verhältnis gesetzt wieviel das Heizungsgesetzt in Euro kostet und wieviel CO2 man dadurch spart? Das ist nur noch zum Lachen. Und wo ist die Diskussion zum Bevölkerungsanstieg? Passt wohl nicht in Programm. Sie können es nicht - mehr ist dazu nicht zu sagen.