Militärhilfe für Putin gegen Ukraine: Nordkoreas Soldaten sollen russische Tarnidentität haben
Nordkoreas Soldaten ziehen für Russland in den Krieg, behauptet Südkoreas Geheimdienst. Damit überschreitet das Kim-Regime für viele eine Linie.
Südkoreas Präsident Yoon Suk Yeol berief am Freitag eine Dringlichkeitssitzung mit Militär-, Sicherheits- und Geheimdienstführern ein. Laut einer schriftlichen Stellungnahme spricht das Präsidentenamt in Seoul von einer „ernsten Sicherheitsbedrohung nicht nur für unser Land, sondern auch für die internationale Gemeinschaft“. Choo Kyung Ho, Fraktionsvorsitzender der regierenden Gungminui-him (People Power Party), sagte am Sonntag: „Wir verurteilen die militärische Zusammenarbeit Nordkoreas mit Russland, die den Weltfrieden gefährdet, aufs Schärfste und fordern Nordkorea auf, seine Truppen unverzüglich aus dem Russland-Ukraine-Krieg abzuziehen.“
Was der südkoreanische Geheimdienst NIS enthüllt hat, ist ebenso detailliert wie besorgniserregend. Demnach werden die nordkoreanischen Truppen nicht nur russische Uniformen, sondern auch mit russischen Falschidentitäten ausgestattet, um ihre Staatsangehörigkeit zu verschleiern. Sie sollen sich als Burjaten ausgeben, eine mongolischen Ethnie in Sibirien.
Der NIS fußt seine Berichte auf Gesichtserkennungssoftware zur Identifizierung von Soldaten, welche man gemeinsam mit dem ukrainischen Geheimdienst eingesetzt habe. Zudem hat er Satellitenfotos veröffentlicht, welche die Anschuldigungen untermauern sollen. Sie zeigen unter anderem die russischen Schiffe in Wladiwostok, welche die Truppen vom nordkoreanischen Hafen Chongjin transportiert haben sollen.
Pjöngjang hofft auf Auslandsdevisen
Gleichzeitig hat die ukrainische Regierung ein Video veröffentlicht, das nordkoreanische Soldaten in einem Ausbildungslager zeigen soll, wo sie in einer Schlange warten und sich ihre Uniformen abholen. Nach ihrer Ankunft in Russland füllen die Nordkoreaner demnach einen Fragebogen aus, in dem sie ihre Größen für Kleidung, Kopfbedeckung und Schuhe angeben. Dem US-Fernsehsender CNN ist es gelungen, an den Fragebogen zu gelangen. Teile davon sind in russischer Sprache verfasst, die Konfektionsgrößen jedoch in Koreanisch.
Finale Beweise für eine direkte Beteiligung Nordkoreas an Russlands Krieg in der Ukraine sind das alles nicht, aber die Ukraine ist schon längst davon überzeugt, dass Nordkorea Russland direkt unterstützt. Man wisse seit 2023 von der Beteiligung nordkoreanischer Militärs am Krieg, schreibt ein Kommentator auf nv.ua. Präsident Wolodymyr Selenskyj sagte auf seiner Pressekonferenz in Brüssel am vergangenen Donnerstag bereits, Russland plane, 10.000 nordkoreanische Soldaten in die Ukraine zu schicken. „Wir reden hier nicht von Söldnern“, sagte Außenminister Andrej Sibiga laut der Nachrichtenagentur Unian bei einem gemeinsamen Briefing mit dem französischen Außenminister. „Es geht um militärische Einheiten Nordkoreas, die an der Seite der Armee des russischen Aggressors gegen die Ukraine kämpfen werden. Wir appellieren an unsere Partner, darauf hart zu reagieren und dies zu verhindern.“
Die beiden Machthaber Kim Jong Un und Wladimir Putin haben ihre militärische Zusammenarbeit in diesem Jahr rasant intensiviert. Erst im Juni unterzeichneten beide eine Vereinbarung über eine allumfassende strategische Zusammenarbeit, die gegenseitigen Beistand für den Fall eines Angriffs durch einen Drittstaat vorsieht. Zudem hat Nordkorea mehrere Millionen Artilleriegranaten an Russland geliefert, ebenso Kurzstreckenraketen und wohl auch technische Ingenieure entsandt.
Im Gegenzug hofft Pjöngjang nicht nur auf Sicherheitsgarantien aus Moskau, sondern auch auf Auslandsdevisen. Viele Beobachter gehen davon aus, dass Russland auch Militärtechnologie nach Nordkorea liefern könnte. Das schlimmstmögliche Szenario aus der Perspektive der internationalen Staatengemeinschaft wäre sicherlich, wenn Russland das nordkoreanische Atomprogramm unterstützen würde.
Südkorea könnte die Ukraine nun mit Waffen unterstützen
Bislang hielten die meisten Experten dies für unwahrscheinlich. Doch das gilt für viele Dinge, die noch vor wenigen Monaten als nahezu ausgeschlossen galten. Und je stärker Russland in der Ukraine auf Unterstützung von außen angewiesen ist, desto niedriger dürfte die Hemmschwelle sein, auch Nukleartechnologie bereitzustellen. Dementsprechend gefährlich ist die aktuelle Dynamik zwischen Pjöngjang und Moskau.
Bereits die Entsendung nordkoreanischer Soldaten stellt für Seoul die Überschreitung eine roten Linie dar, wie Präsident Yoon bereits mehrfach deklariert hat. Jetzt könnte Südkorea möglicherweise im Gegenzug die Ukraine fortan mit direkten Waffenlieferungen unterstützen.
Bislang hat sich Seoul aus taktischen Erwägungen bei der Unterstützung der Ukraine eher zurückgehalten: So trägt das Land zwar weitgehend die westliche Sanktionspolitik gegen Moskau mit, schickt jedoch direkt keine Waffen nach Kyjiw – nur an Polen und die baltischen Staaten. Ein zu starkes Engagement, das war die Befürchtung, könnte jederzeit zur Folge haben, dass Russland seine Zusammenarbeit mit Nordkorea expandiert. Doch wie es ausschaut, ist das nun bereits eingetreten.
Ob China die Quasimilitärallianz zwischen Russland und Nordkorea gutheißt, ist fraglich. Die meisten Experten haben bisher vermutet, dass Xi Jinping die enge Achse Pjöngjang-Moskau kritisch beäugt, da sie den Einfluss Pekings auf das Kim-Regime mindert. Zudem behauptet China ja nach außen hin, dass es jegliche weitere Eskalation in der „Ukraine-Krise“ ablehnt – und kritisiert insbesondere die USA für ihre Waffenlieferungen.
China ist im Ukrainekrieg keine neutrale Partei
Kritik aus Peking an Nordkoreas direkte Kriegseinmischung blieb aber bislang vollständig aus. Im Gegenteil: Am Sonntag veröffentlichten nordkoreanische Staatsmedien eine Grußbotschaft von Xi Jinping, in der dieser davon sprach, die Beziehungen zwischen den zwei Ländern vorantreiben sowie den „globalen Frieden“ fördern zu wollen. „China und die Demokratische Volksrepublik Korea sind durch dieselben Berge und Flüsse miteinander verbunden, und die traditionelle Freundschaft zwischen den beiden Ländern wird im Laufe der Zeit immer stärker“, heißt es. Der Brief soll am Mittwoch verfasst worden sein.
Entgegen manchen auch in Deutschland gepflegten Hoffnungen ist China alles andere als eine neutrale Partei im Ukrainekrieg. Xi steht fest an der Seite seines „alten Freundes“ Putin. Vom Vakuum, welches westliche Firmen durch ihren Exodus aus Russland hinterlassen haben, profitiert die Volksrepublik massiv – Chinas Exporte nach Russland boomen, Ölimporte aus Russland werden günstiger. China versorgt die Russen auch mit sogenannten „Dual Use“-Gütern, die sowohl zivil als auch militärisch verwendet werden können.
Hinweis: Wir haben den Text mit fortlaufendem Informationsstand aktualisiert und erweitert.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Interner Zwist bei Springer
Musk spaltet die „Welt“
Nach dem Anschlag von Magdeburg
Wenn Warnungen verhallen
Deutsche Konjunkturflaute
Schwarze Nullkommanull
Schäden durch Böller
Versicherer rechnen mit 1.000 Pkw-Bränden zum Jahreswechsel
Aufregung um Star des FC Liverpool
Ene, mene, Ökumene