Migrantische AfD-Anhänger: Ausländer für Deutschland
Die Parteipräferenz von migrantischen Wähler:innen ist unterschiedlich. Auch wenn es widersprüchlich scheint, wählen einige von ihnen die AfD. Ein AfD-Wähler erklärt warum.
![Kaputtes Wahlplakat mit Gesicht von Alice Weidel. Kaputtes Wahlplakat mit Gesicht von Alice Weidel.](https://taz.de/picture/7515538/14/37592164-1.jpeg)
Die größte Migrationsgruppe mit etwa 2,5 bis 3 Millionen Menschen ist türkeistämmig. Diese Gruppe entstand vor allem im Zuge der Arbeitsmigration. Nur etwa eine Million der heute in Deutschland lebenden türkeistämmigen Menschen ist wahlberechtigt.
Harun Aydin ist einer von ihnen. Der gebürtiger Berliner, Mitte 30, möchte seinen richtigen Namen und sein genaues Alter nicht nennen. Harun Aydin wählt die AfD. Auf die Frage, warum, zuckt er mit den Schultern und grinst. Seine Großeltern kamen als Gastarbeiter in den 1970ern nach Kreuzberg und Deutschland wurde zu ihrer neuen Heimat.
Aydin steht am Tresen eines Kreuzberger Spätis – dort arbeitet er. Er räumt gerade Zigaretten in das Regal ein und sagt: „Ich wähle die AfD. Das sage ich jetzt mal ganz offen. Viele sind dann verwundert. Vor allem die mit Migrationshintergrund, die runzeln dann die Stirn“, und er imitiert das Stirnrunzeln. Ob ihm denn klar sei, dass die AfD alle Ausländer abschieben wolle, fragen sie ihn. Für Aydin aber ist das Blödsinn. „Das stimmt einfach nicht. Es geht nicht um Leute wie mich. Wir zahlen unsere Steuern, es geht um die faulen Leute, die vom Staat leben“, erklärt er.
Die Großeltern würden SPD wählen
Und was denkt seine Familie? „Die verstehen meine Argumentationen überhaupt nicht. Meine Großeltern haben große Angst, dass sie aus Deutschland abgeschoben werden. Aber das ist absurd, das wird nicht passieren“, antwortet Aydin. Könnten seine Großeltern wählen, dann würden sie ihre Stimme der SPD geben, erzählt Aydin. Seine Eltern genauso, weshalb zu Hause einfach nicht mehr über die deutsche Politik geredet werde. Aydin sagt: „Ich bin hier geboren, ich bin Deutscher und Deutschland ist meine Heimat.“
Im Jahr 2021 habe er nämlich die SPD gewählt und jetzt bereue er diese Entscheidung. Außerdem, sagt Aydin, schiebe die SPD auch ab: „Ich erinnere an den Spiegel-Titel mit Scholz. Er schiebt doch schon im großen Stil ab. Aber wenn die AfD davon redet, dann weinen alle.“
Am meisten störe es ihn, dass er wegen seines Aussehens auch angefeindet werde und zu den Schlechten zähle. Er möchte nicht mehr, dass „fremde Menschen in meine Heimat strömen“. Als Beispiel nennt er die Syrer:innen, die 2015 nach Deutschland kamen: „Weil die sich nicht benehmen können, werden wir dann in die gleiche muslimische Schublade gesteckt“, sagt er mit einem wütenden Unterton. Er sieht in der AfD eine Partei, die seine Sorgen und Forderungen vertritt.
Integration über Leistung
Laut der im Januar erschienenen Studie „Migration und politische Partizipation in Deutschland“ vom Deutschen Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM) wählen Migrant:innen in Deutschland tendenziell seltener als Personen ohne Migrationshintergrund. Während im Gesamtdurchschnitt etwa 60 Prozent der wahlberechtigten Migrant:innen an Wahlen teilnehmen, liegt die Wahlbeteiligung in bestimmten Gruppen, wie bei den türkeistämmigen Bürgern, teilweise um 10 Prozentpunkte niedriger.
Konkret belegt die Studie, dass rund 8 Prozent der türkeistämmigen Wähler:innen die AfD unterstützen, während etwa 45 Prozent ihre Stimme Parteien wie der SPD oder Bündnis 90/Die Grünen geben. Zudem geben rund 32 Prozent der befragten Migrant:innen an, regelmäßig Diskriminierung zu erfahren, was ihr politisches Engagement zusätzlich beeinflusst.
Integrations- und Migrationsforscher Özgür Özvatan aus Berlin sieht hier folgende Erklärung: „Türkeistämmige haben sich innerhalb der letzten Jahre viel aufgebaut, sie haben sich einen gewissen Status erarbeitet“, also definieren sie ihre Integration über Leistung, genau wie Harun Aydin.
Ein weitaus bekannterer AfD-Wähler als Aydin ist Feroz Khan. Er selbst bezeichnet sich als nichtweißen AfDler, er wohnt in Dresden, ist gebürtiger Frankfurter und seine Eltern kommen aus Pakistan. In den sozialen Medien ist er unter dem Namen „achse:ostwest“ bekannt. Schon allein sein Telegram-Channel hat knapp 28.000 Abonnenten.
Polarisierte Debatte
Er scheint es sich zur Aufgabe gemacht zu haben, für die AfD Wahlkampf zu betreiben: Er reist von Stadt zu Stadt, stellt einen Tisch mit der Aufschrift „Ich wähle die AfD – Change my Mind“ auf und lädt Passant:innen zur offenen Diskussion ein. Doch von einer Diskussion ist in den meisten Videos nichts zu sehen. Die meiste Zeit erzählt (monologisiert) Khan in lautem Ton, wie schlimm die Flüchtlingspolitik im Jahr 2015 war. Die Flüchtlinge seien alle gefährlich. Weitere Themen sind die unkontrollierte Migrationspolitik und die Schließung der Grenzen.
Empfohlener externer Inhalt
Während ein Teil der Passant:innen Verständnis zu zeigen versucht, erntet er auch Kritik, dann wird er besonders laut. Von einem Passanten wird Khan gefragt, was AfD-Mitglieder über ihn denken, wenn sie Feroz Khan auf der Straße begegneten. Er antwortet sofort und ohne die Mine zu verziehen: „Kann sein, dass die mich für einen dahergelaufenen Asylanten halten, aber was spielt das für eine Rolle? Es geht nicht mich um mich, nicht um Einzelschicksale.“ Für Khan gehe es um das Allgemeinwohl der Deutschen und außerdem beträfe ihn das alles nicht, er sehe sich selbst nicht in einem Abschiebeflugzeug sitzen.
Khans Aktionen machen deutlich, wie polarisiert die Debatten über Migration und Identität in der Gesellschaft inzwischen geführt werden – ein Befund, der auch in der Studie zu den politischen Partizipationsmustern von Migrant:innen ablesbar ist.
Özgür Özvatan kann die Studie nur bestätigen. Er selbst forscht seit Jahren zu diesem Thema. Im April erscheinen seine Ergebnisse in seinem Buch „Jede Stimme zählt: Von Demokraten unterschätzt, von Populisten umworben: migrantische Deutsche als politische Kraft“, das die Parteipräferenzen der migrantischen Community analysiert.
Höhere Wahlbeteiligung bei Russlanddeutschen
Warum türkeistämmige Menschen wie Harun Aydin der AfD ihre Stimme geben erklärt Özvatan wie folgt: „Der antiarabische Rassismus aus der Türkei wird von der Community hier in Deutschland übersetzt und da ist es nicht verwunderlich, dass Menschen wie Aydin oder Khan in diese Richtung argumentieren“, dies sei nichts Neues.
Özvatan spricht aber von einer weiteren Community, über die man sich eigentlich sorgen müsse: Russlanddeutsche. Die Wahlbeteiligung der Russlanddeutschen liegt im Gegensatz zu den Türkeistämmigen bei 68 Prozent und ist somit deutlich höher. Dies wird häufig mit ihrer langen Integrationsgeschichte in Deutschland und dem hohen Maß an politischer Identifikation mit diesem Land begründet.
Harun Aydin, Verkäufer in einem Späti und AfD-Wähler über AfD-Politiker:innen
Hinsichtlich der Parteipräferenzen offenbart die Studie ein differenziertes Bild. Etwa 25 Prozent der russlanddeutschen Wähler:innen tendieren in stabilen Zeiten zu konservativen Parteien wie der CDU, während rund 18 Prozent ihre Stimme der SPD geben. In Phasen gesellschaftlicher Unsicherheit steigt der Anteil, der sich für rechtspopulistische Parteien, beispielsweise die AfD, entscheidet – hier verzeichnet die Untersuchung in bestimmten Situationen Zustimmungswerte von etwa 10 Prozent. Diese Werte deuten darauf hin, dass das Wahlverhalten innerhalb der russlanddeutschen Community von einem Spannungsfeld zwischen traditioneller konservativer Orientierung und kurzfristiger Reaktion auf aktuelle Krisen geprägt ist.
Özvatan sagt, dass es innerhalb der türkeistämmigen Gruppe, aber auch bei Deutschlandrussen, deutliche Unterschiede in den Parteipräferenzen gebe. Die Studie unterstreicht diese Sichtweise: Türkeistämmige Bürger tendieren deutlich seltener zur AfD und bevorzugen stattdessen demokratische Parteien. Özgür führt weiter aus, dass die Alltagsrealität vieler Migrant:innen – etwa der Mangel an bezahlbarem Wohnraum und die bekannte Diskriminierung auf dem Immobilienmarkt – Ängste schürt, was populistische Parteien ausnutzen.
Andere Parteien „zu feige“
Zurück in Kreuzberg: Harun Aydin hat bald Feierabend, noch eine letzte Zigarette rauchen, bevor er sich „mit den Jungs“ trifft. Auf die Frage, was er an der AfD gut findet, antwortet er: „Sie lügen nicht. Sie sagen ganz klar, was sie machen werden.“ Die anderen Parteien seien zu feige. Er wolle Resultate sehen.
Und ob er die Wahlprogramme gelesen hat? Die müsse er nicht lesen, das Wichtigste wisse er nämlich. Außerdem stünde die Abkürzung AfD nicht nur für Alternative für Deutschland, sondern eben auch für Ausländer für Deutschland. Er lacht und sagt: „Die beziehen uns eben mit ein, die sehen uns.“ Und schon deshalb fühle er sich der Partei zugehörig. „Dabei müssen die sich doch was gedacht haben, oder?“, fragt er, bevor er seine Zigarette wegschnipst und wieder in den Späti verschwindet.
Harun Aydin und Feroz Khan begründen ihre AfD-Nähe mit einem Gefühl der Heimatverbundenheit und Zugehörigkeit. Die Forschung hingegen, wie die von Özgür Özvatan, sieht strukturelle Barrieren und systematische Benachteiligung als Grund. Was auch immer der Grund sein mag: Die AfD hat Khans und Aydins Stimmen im Februar sicher.
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