Merz über Gillamoos und Kreuzberg: Deutschland ist alles

Friedrich Merz’ Versuch, sich im Bierzelt anzubiedern, wird scheitern. Hart trinkende Menschen wehren sich dagegen, unsere Biernation zu spalten.

Junge Leute mit Bierflaschen in den Hosentaschen unterwegs in Berlin Kreuzberg

Junge Leute an der Flasche: Deutschland kann so einfach sein, hier im Kreuzberger Görlitzer Park Foto: Jürgen Held/imago

„Nicht Kreuzberg ist Deutschland, Gillamoos ist Deutschland“, verkündete der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz auf dem Gillamoos, einem 700 Jahre alten Volksfest im niederbayerischen Abensberg. Am letzten Festtag finden hier, ähnlich dem politischen Aschermittwoch, an verschiedenen Orten Kundgebungen der Parteien statt: So wird im „Weißbierstadl“ Hubsi Aiwanger frenetisch bejubelt wie ein Volkstribun, doch um den ewigen Lausbub soll es an dieser Stelle ausnahmsweise nur am Rande gehen.

Befassen wir uns stattdessen lieber mit der Aussage des Merz: Warum soll Gillamoos Deutschland sein und Kreuzberg nicht? Und wer, wo und was ist überhaupt Deutschland?

Womöglich liegt eine Antwort in der Form der Freizeitgestaltung. Während im U-Bahnhof Hallesches Tor Menschen diverser Herkunft Folie rauchen, herrscht im Festzelt zu Gilgamesch, äh, Gillamoos die Monokultur des weißen Trachtenjanker- und Dirndlmenschen. Schon am Vormittag ruhen neben vollen Maßkrügen vernebelte Vierkantschädel auf dem harten Holz der Biertische, die blutunterlaufenen Augen höchstens noch hie und da wie im Todeskampf zuckend unter dem Gebrüll der Weißbierparteitagsreden.

Offenbar ist für Friedrich Merz und Konsorten dieser Anblick der schönere, dieser Ort der bessere, dieser Kontext der erwünschtere, dieses Land das reinere und dessen Drogenkonsum der traditionellere. Denn auch gegen die Cannabisfreigabe wird im Hofbräuzelt gewettert, während davor prachtvolle Autochthone in den Graben reihern.

So viele Gemeinsamkeiten

Doch Kreuzberg muss deshalb nicht beleidigt sein. Denn laut der wie üblich notwendig gewordenen Interpretation von Merz’ Worten, hier durch den CDU-Politiker Helge Braun, gehe es dem Vorsitzenden bei Kreuzberg eigentlich eher um eine symbolische Metapher für den urbanen Raum allgemein, den die Regierungspolitik gegenüber dem ländlichen bevorzuge.

Ein wenig scheint auch die Kenntnis zu fehlen, was Berlin überhaupt ist und wo es herkommt. Von kleinen Reservaten der Freiheit wie Kreuzberg oder Schöneberg abgesehen war das Westberlin der Nachkriegszeit nämlich eine überraschend piefige und provin­zielle Angelegenheit, in der eine korrupte Law-and-Order-Kaste sich im geschlossenen Kreislauf einer Amigowirtschaft à la Bayern (!) mit den großzügigen Zuwendungen des Bundes selbst versorgte.

Der Ostteil der Stadt wiederum schlummerte im Dornröschenschlaf einer unüberwindlichen Einparteienherrschaft, analog zur CSU in Bayern, und allenfalls gedeckt durch das Feigenblatt der gleichgesinnten Blockflöten (hier die Ost-CDU und dort die Freien Wähler). Es gibt so viele Gemeinsamkeiten.

Wie nach der Wiedervereinigung aus diesen beiden Teilen eine einigermaßen weltoffene Metropole entstehen konnte, grenzt angesichts der Umstände an ein Wunder, doch das nur am Rande. Kreuzberg und Gillamoos sind, wie oben aufgezeigt, einander weit ähnlicher, als sowohl Merz und Aiwanger wie auch deren Gegner vielleicht wahrhaben wollen.

Denn hier wie dort ballern sich die Leute zu, um entweder ihr Elend, ihre Langweile oder ihr Glück zu vergessen. Und bestimmt gibt es auch irgendwo am Rand von Abensberg ein buntes Kreuzberghaus, in dem ein Mädchen, ein Äffchen und ein Pferd zusammen anarchische Gedanken schmieden, während wiederum von Kreuzberg bis Neukölln CDU-Politiker wie Kai Wegener und Falko Liecke das Rad der Zeit zurückzudrehen versuchen.

Was Deutschland ist und was es nicht ist, ist also nicht so einfach. Deutschland kann jederzeit hier wie dort zugleich sein, und das ist neben dem Versöhnlichen auch das Erschreckende, je nachdem wer gerade die Oberhand zu gewinnen droht.

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