Meron Mendel über Anerkennung Palästinas: „Ein Staat ist unausweichlich“
Drei weitere europäische Staaten erkennen Palästina offiziell als Staat an. Auch Deutschland sollte ein Zeichen setzen, findet der Historiker Mendel.
taz: Norwegen, Spanien und Irland haben am Dienstag Palästina als Staat anerkannt. Was will das Trio damit bezwecken?
Meron Mendel: Das ist ein symbolischer Schritt, der den Druck auf die israelische Regierung unter Netanjahu erhöhen soll. Er war überfällig, denn nicht erst seit dem 7. Oktober, sondern schon viel länger zeigt die Regierung keinerlei Interesse für einen Friedensprozess.
Der Deutsch-Israeli ist Pädagoge, Historiker und Publizist. Seit 2010 ist er Direktor der Bildungsstätte Anne Frank in Frankfurt und Kassel.
Sie sehen die Anerkennung also als Bestrafung der Netanjahu-Regierung?
Das ist das falsche Framing. In den internationalen Beziehungen geht es darum, Anreize zu schaffen. Die Anerkennung ist ein Versuch, Druck aufzubauen, um einen Waffenstillstand in Gaza zu erreichen, und den aktuellen Tiefpunkt zu nutzen, um einen Friedensprozess zwischen Israel und den Palästinensern in Gang zu setzen.
Nun haben Norwegen, Spanien und Irland allerdings keine Gegenleistung von palästinensischer Seite gefordert. Wäre es nicht politisch klüger, auf einen Prozess hinzuarbeiten, bei dem Staaten wie Saudi-Arabien eine Anerkennung Israels in Aussicht stellen, bei dem sich aber auch die Palästinenser zu ernsthaften Verhandlungen verpflichten?
Mit der Anerkennung gibt man nicht alles aus der Hand. Sie ist eine Reaktion auf Netanjahu, der einen palästinensischen Staat immer verhindern wollte, durch eine Stärkung der Hamas als Gegengewicht zur Palästinensischen Autonomiebehörde (PA). Im Umkehrschluss stärkt man mit der Anerkennung Palästinas als Staat die PA.
Man könnte auch argumentieren, dass die Hamas für ihr Massaker belohnt wird. Ohne den 7. Oktober wäre es nicht zur Anerkennung gekommen.
Nein, das wird sie nicht. Die Hamas ist nicht der Repräsentant des palästinensischen Staates. Palästina wird von der PA repräsentiert. Die Stärkung der PA ist alles andere als eine Belohnung für die Hamas. Ich erinnere an die Bilder von 2006, als Hamas-Terroristen Palästinenser der PA von Hochhäusern schmissen.
Die Hamas hat die Anerkennung allerdings begrüßt.
Sie versucht natürlich, sie als ihre Errungenschaft zu framen. Aber wir können nicht jede internationale Entwicklung an der Frage messen, was die Hamas sagt oder wie sich Netanjahu dazu verhält. Die Frage ist: Wie können wir Anreize schaffen, um kompromissbereite Kräfte auf beiden Seiten zu stärken?
Arabische Staaten haben am Montag gefordert, dass andere EU-Staaten dem Vorbild des Trios folgen. Der saudische Außenminister argumentierte, Israel müsse akzeptieren, dass es ohne palästinensischen Staat nicht existieren kann. Sollte Deutschland Palästina auch anerkennen?
Ich brauche nicht die Saudis, um genau diese Position zu vertreten. Deutschland und die gesamte EU sollten damit ein klares Zeichen setzen, dass Netanjahus Strategie nicht aufgeht und dass ein palästinensischer Staat, der schon in den neunziger Jahren in Aussicht gestellt wurde, unausweichlich ist.
Fordern Sie das nur oder rechnen Sie auch damit?
Wir erleben dieser Tage eine Eskalation in Rafah, und mir scheint, dass die israelische Regierung sich von internationalem Druck nicht beeindrucken lässt. Wenn Netanjahu diese Politik fortsetzt, ist nicht auszuschließen, dass weitere Länder die Anerkennung Palästinas als notwendig betrachten.
Polen, Tschechien, Ungarn, Rumänien und andere haben Palästina vor Jahrzehnten anerkannt. Warum ist Westeuropa zögerlich?
Das hat mit dem Ostblock zu tun. Auch die Sowjetunion hatte Palästina 1988 anerkannt. Während die meisten west- und nordeuropäischen Staaten die US-Linie verfolgten, Palästina erst im Zuge einer Konfliktlösung anzuerkennen, ging man dort davon aus, dass Israelis und Palästinenser ihren Konflikt früher oder später ohnehin beilegen würden.
Bringen sich die Europäer jetzt wieder als Vermittler in Nahost ins Spiel, auch mit Blick auf eine erneute Präsidentschaft Trumps in den USA? In seiner Amtszeit hat er die USA durch eine komplett einseitig proisraelische Position unglaubwürdig gemacht.
Trump würde die Situation noch aussichtsloser machen. Die Rolle der USA als Motor für eine konstruktive Lösung ist fast unersetzlich. Die Europäer schwächt, dass es in der EU sehr unterschiedliche Positionen gibt, von Orbán in Ungarn, der sich als großer Netanjahu-Unterstützer positioniert, bis hin zu Spanien und Irland. Es gibt drei Akteure, die nur im Zusammenspiel die Karre aus dem Dreck ziehen können: die Amerikaner, hoffentlich weiter unter Biden, die EU, die hoffentlich ihre Uneinigkeit ein Stück weit überwindet, und die sunnitischen arabischen Staaten. Nur wenn die drei gemeinsam ein Gegengewicht zu Iran und Russland schaffen, ist ein Ende des Krieges und Bewegung hin zu einer Lösung des Nahostkonflikts vorstellbar.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Ärzteschaft in Deutschland
Die Götter in Weiß und ihre Lobby
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis
Gewalt an Frauen
Ein Femizid ist ein Femizid und bleibt ein Femizid