Manifest von Wagenknecht und Schwarzer: Die Melodie des 20. Jahrhunderts

Das „Manifest für den Frieden“ hat viele Unterstützer. Unsere Kolumnistin hat Zweifel – und einen Ohrwurm.

Freidensdemonstration

FDJ-Friedensdemonstration in der DDR 1981 Foto: imago

Manche Leute, die ich kenne, haben die DDR noch richtig von Nahem kennengelernt. Sie sind darüber zu aufrechten Antikommunisten geworden und würden sich zum Beispiel niemals Nachdrucke von sowjetischen Motivationsplakaten in die Küche hängen, auch nicht ironisch. Doch bei Hanns Eislers Arbeiterkampfliedern sind sie trotzdem sehr ergriffen.

Haben Sie den „Heimlichen Aufmarsch“ schon einmal gehört – Musik Eisler, Text von Erich Weinert? „Es flüstert von allen Kontinenten / Mobilmachung gegen die Sowjetunion! / Arbeiter, Bauern, nehmt die Gewehre / nehmt die Gewehre zur Hand! / Zerschlagt die faschistischen Räuberheere, / setzt alle Herzen in Brand.“ Auf Youtube gibt es einen großartigen Clip mit dem Rundfunkchor Berlin und dem Ernst-Busch-Chor.

Was ich damit sagen will: Man mag gefestigte demokratische Überzeugungen haben, die Geschichte des 20. Jahrhunderts gut kennen und daraus viele Lehren gezogen haben. Das heißt aber nicht, dass einen die politische Ästhetik anderer Weltvorstellungen komplett kalt lässt, dass in den Haltungen, Formeln und Chören von ideologisch anders gestrickten Leuten nicht doch auch Überzeugungskraft stecken kann.

Die Rollen sind schnell verteilt, „Kriegstreiber“ hier, „Putinfreunde“ dort

In der Beschwörung, dass in der Ukraine nun sofort mit Verhandlungen ein Frieden herbeizuführen sei, ist wahrscheinlich ein Gutteil dieser verwirrenden politischen Ästhetik am Werk. Das Manifest der Politprominenten Sah­ra Wagenknecht und Alice Schwarzer ist für seinen sachlichen Gehalt ausreichend kritisiert worden. Die hohe Zahl an Unterschriften dürfte jedoch auch daher rühren, dass aus dem Archiv der Bilder und Klänge des 20. Jahrhunderts das Kulturgut sehr leicht abrufbar ist, das von der Schönheit des Friedens- und Verhandlungswillens zeugt, vom weichen Wasser, das den Stein bricht. Das Material lagert übrigens direkt neben der Abteilung für Arbeiterkampflieder.

Verhandlungen gibt es längst hinter den Kulissen

Wobei die Wut, mit der diejenigen gegeißelt werden, die nach Verhandlungen rufen, auch nicht immer verständlich ist. Es mag eine Unverschämtheit gegenüber der Ukraine sein, sie jetzt zur Aufgabe aufzufordern, und sinnlos obendrein. Aber woher wissen die Leute, die das kritisieren, nur alle so genau, welcher Regierungschef wann zum Telefon greift? Glaubt hier irgendwer, wir würden sofort erfahren, wenn Verhandlungen begonnen haben? Ist nicht der Gefangenenaustausch diese Woche ein weiterer Hinweis darauf, wie viele Gespräche alldieweil schon laufen?

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Eben das macht doch die Politik um Krieg und Frieden für eine demokratische Öffentlichkeit so schwer erträglich: Dass wir hier nicht von demokratisch und rechtsstaatlich kontrollierten Prozessen reden, über die das entscheidende Personal halbwegs getreulich oder jedenfalls nachvollziehbar gegenüber Bundestag und Presse Auskunft geben muss, und wenn es das nicht tut, wird schon eine schlaue NGO für Aufklärung sorgen. Nein, mit Sicherheit wird die Öffentlichkeit eben erst mit reichlich Verzögerung hören, was bei welchem Telefonat herausgekommen ist und in welchem Salon die Emissäre was verhandelt haben. Leider würde alles andere auch ein Scheitern bedeuten.

Das entzieht der Forderung nach Verhandlungen ebenso wie der brüsken Ablehnung dieser Forderung den politischen Boden und lässt sie wirken wie ein eigentümliches Theaterspiel. Die Rollen sind schnell verteilt, die auszutauschenden Formeln fix gefunden, „Kriegs­treiber“ hier, „Putinfreunde“ dort. Der Abstand zur Bühne der entscheidenden Leute könnte größer nicht sein.

Aber dort bleibt der Vorhang wahrscheinlich noch lange zu.

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Chefredakteurin der taz seit Sommer 2020 - zusammen mit Barbara Junge in einer Doppelspitze. Von 2014 bis 2020 beim Deutschlandfunk in Köln als Politikredakteurin in der Abteilung "Hintergrund". Davor von 1999 bis 2014 in der taz als Chefin vom Dienst, Sozialredakteurin, Parlamentskorrespondentin, Inlandsressortleiterin. Zwischendurch (2010/2011) auch ein Jahr Politikchefin bei der Wochenzeitung „der Freitag“.

Wir alle wollen angesichts dessen, was mit der Ukraine derzeit geschieht, nicht tatenlos zusehen. Doch wie soll mensch von Deutschland aus helfen? Unsere Ukraine-Soli-Liste bietet Ihnen einige Ansätze fürs eigene Aktivwerden.

▶ Die Liste finden Sie unter taz.de/ukrainesoli

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