piwik no script img

Linkspartei und AntisemitismusMehr als ein Streit um Worte

Der Zentralrat der Juden wirft der Linkspartei vor, Antisemitismus zu befördern. Dabei ist die Jerusalemer Erklärung alles andere als das.

DemonstrantInnen protestieren gegen die Repression gegen Palästina-­AktivistInnen in München, 2024 Foto: ddp

Berlin taz | Joseph Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden, griff zu harten Worten. Die Linkspartei trage dazu bei, „Antisemitismus zu verschweigen“. Sie sei ignorant gegenüber der „jüdischen Gemeinschaft“ und „in ihrem radikalen Kern getrieben von Israelhass“. Die Linkspartei ist, folgt man dem Zentralrat, ein Sammelbecken von Antisemiten. In das gleiche Horn bliesen der jüdische Verein WerteInitiative, der der Linkspartei vorwarf „israelfeindliche Agitation unter dem Deckmantel der Kritik“ zu befördern. Die Jüdische Studierenden-Union erklärte, die Linkspartei habe sich damit als „Partner für Zusammenarbeit disqualifiziert“.

Anlass für die harschen Reaktionen ist ein Beschluss, den die Linkspartei am Ende ihres Parteitages in Chemnitz fasste. Die GenossInnen kritisieren darin die Antisemitismus-Definition der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA), die einen Schwerpunkt auf „israelbezogenen Antisemitismus“ legt. Die IHRA-Formel, so die Kritik der Linkspartei, diene mittlerweile als „repressives Instrument, um unliebsame Kritik und politischen Protest zu verhindern“.

Die IHRA-Definition ist von vielen Staaten anerkannt. Aber sie ist auch seit Jahren umstritten, weil sie benutzt wird, um drastisch vorgetragene Kritik an der israelischen Politik als antisemitisch zu diffamieren. Dazu, so die vielfach vorgetragene Kritik, trage die IHRA-Definition mit vagen Formulierungen bei. Fakt ist, dass Raumverbote in Deutschland für Organisationen, denen Nähe zu der Israel-Boykott-Bewegung BDS vorgeworfen wurde, mit IHRA-Formel begründet wurden. Auch der Anti-BDS-Beschluss des Bundestages 2019 und die Antisemitismus-Resolution argumentierten zentral mit dem IHRA-Text.

Die Jerusalemer Erklärung (JDA) ist 2020 als Reaktion auf diese Kritik entstanden, verfasst unter anderem von der Historikerin Aleida Assmann, dem jüdischen Holocaust-Forscher Amos Goldberg und Stefanie Schüler-Springorum, Leiterin des Berliner Zentrums für Antisemitismus-Forschung. JDA ist bemüht, Kritik an Israel, Antizionismus und Antisemitismus zu unterscheiden.

Demnach ist es antisemitisch, Israel das Recht abzusprechen, als jüdischer Staat zu existieren. Gleichzeitig versucht die JDA Ideen eines binationalen Staates, in dem Juden und Palästinenser gleiche Rechte hätten, sowie Kritik am Zionismus davon auszunehmen. Schüler-Springorum wollte sich gegenüber der taz nicht äußern und verwies auf einen Text der JDA-AutorInnen, der Dienstag veröffentlicht werden soll.

Ein Unterschied zwischen den Texten ist der Umgang mit BDS. Laut der Jerusalemer Erklärung ist Boykott gegen Israel und BDS, eine weltweite, vielgestaltige, lose verbundene Organisation, nicht „per se“ antisemitisch. Das sehen Anhänger der IHRA-Definition anders.

In der Linkspartei gibt es Kritik an dem Bekenntnis der Partei zu JDA, das gegen den Willen der Parteispitze vom Parteitag beschlossen wurde. Man solle die Definition von Antisemitismus der Wissenschaft überlassen, so Bodo Ramelow, früher Ministerpräsident von Thüringen und jetzt Vizepräsident des Bundestages. „Wer Israel auslöschen und Juden vernichten oder vertreiben will, der ist Antisemit!“, twitterte Ramelow. Das allerdings ist nach beiden Defi­ni­tio­nen zweifellos antisemitisch.

Peter Ullrich, Antisemitismusforscher an der TU Berlin, hält die Verteidigung der „wissenschaftlich fragwürdigen“ IHRA-Formel für eine Art „Sakralisierung.“ Sie würde so vehement geschützt, weil sie als Zeichen „für die seit 20 Jahren wachsende Anerkennung von Antisemitismus und israelbezogenem Antisemitismus“ gesehen wird. Die beiden Definitionen würden „als konträre Symbole für den Streit um Nahost und Antisemitismus“ gebraucht. Dabei würde übersehen, dass die „Antisemitismus-Diagnosen der beiden Definitionen zum großen Teil gleich“ seien. Allerdings sei „die IHRA-Definition sehr leicht politisch instrumentalisierbar“.

Unterstützung bekommt die Linkspartei für ihren Beschluss von Hadash, einem linkssozialistischen Parteienbündnis in Israel. Der Kampf gegen Antisemitismus, so Hadash, sei „entscheidend“, dürfe aber nicht dazu instrumentalisiert werden, „die nötige linke Kritik an der gewalttätigen Politik Israels stumm zu stellen“.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

47 Kommentare

 / 
  • Ich will auf diese Diskussion überhaupt nicht mehr einsteigen. Die Linkspartei soll sich doch bitte auf innenpolitische Themen konzentrieren, dann ist sie auch für viele Menschen wählbar.

  • Gute Kritiken an der JDA sind u.a.:

    Kinzel, Tanja/Poensgen, Daniel: Zur Jerusalem Declaration on Antisemitism (JDA): Eine kritische Analyse.

    Rensmann, Lars: Die „Jerusalemer Erklärung“. Eine Kritik aus Sicht der Antisemitismusforschung.

    Beides online verfügbar (ich poste die Links nicht, weil das hier erfahrungsgemäß zu Problemen führt).

  • Was ist eigentlich so schwer daran, einen Massenmord von zehntausenden Zivilist:innen zu verurteilen??? Entschuldigung, zu kritisieren?? Ich meine natürlich: zu benennen, also im Sinne von: wenigstens wahrzunehmen?

    Ich verurteile ebenso ausdrücklich die Morde und Verbrechen der Hamas vom 7.10.23.

    • @oricello:

      oder wenigstens nicht zu unterstuetzen?

  • Die Israel-Boykott-Bewegung ist nichts weiter als die Neuintepretation von "Kauft nicht bei Juden".

    Eine Vielzahl jüdischer Verbände straft die Linkspartek ab. Und das hat auch Gründe wie die Übergriffe hier in Deutschland gezeigt haben und die darauf ausbleibende Reaktion.

    Beim Thema Frauenrechte sollte man auf die Stimme der Frauen hören, bei Transrechten Transmenschen und beim Thema Antisemitismus eben der Mehrzahl der jüdischen Verbände. Wenn die Linkspartei dort die Deutungshoheit für sich beansprucht wird in meinen Augen einseitig gegen die Interessen der Betroffenen agiert.

    • @Pawelko:

      Ich kann Ihnen nicht widersprechen, da ich selbst hier in der taz kritisiert habe, dass ich die Beschlussfassung der Linkspartei in dieser Sache - gelinde gesagt - für einen fatalen Fehler halte.



      Van Aken hat auf dem Parteitag ja noch versucht, das Schlimmste zu verhindern, ist damit aber leider nicht durchgedrungen.



      Aus meiner Sicht ist dabei NICHT der Bezug auf die Jerusalemer Erklärung problematisch - ich persönlich halte sie für viel geeigneter als die IHRA-Arbeitsdefinition, um Antisemitismus zu erklären und einzuordnen, möchte dabei aber aus gutem Grund (!) gerne auf der wissenschaftlichen Diskursebene bleiben -, sondern genau DIE Ideologisierung, die man den IHRA-Befürwortern vorwirft, dann aber auf linker Seite selbst betreibt.



      Es ist ja richtig, wenn die Jerusalemer Erklärung (als Reaktion auf die ideologisch-politische Instrumentalisierung der IHRA-Antisemitismusdefinition) auf dieses Problem hinweist - und wir können sowohl hierzulande als auch in den USA recht gut erkennen, in welche Richtung sich der Zug gerade bewegt.



      Mein Appell: das gemeinsame Anliegen, Antisemitismus zu bekämpfen, in den Vordergrund stellen und NICHT die unterschiedlichen Kontextualisierungen.

    • @Pawelko:

      Welche jüdischen Verbände befürworten das Töten von bald hunderttausend palästinensischen Zivilisten?



      Welche jüdischen Verbände befürworten Kriegsverbrechen?



      Warum demonstrieren in Israel die Angehörigen der Geiseln gegen die in Teilen rechtsextreme israelische Regierung?

      "Eine Umfrage unter amerikanischen Jüdinnen und Juden ergab 2021, dass fast 40 Prozent der Befragten unter 40 Jahren der Aussage zustimmen, Israel sei ein Apartheid-Staat. 30 Prozent der jüngeren Befragten sagten schon damals, Israel begehe einen Völkermord an den Palästinensern." taz.de/Juedinnen-u...-den-USA/!6039827/

      Sie Reden von Unterstützung für eine rechtsextreme Regierung, die gar nicht vorhanden ist.

      • @Rudolf Fissner:

        Sie Reden von Unterstützung für eine rechtsextreme Regierung, die gar nicht vorhanden ist.

        Interessant. Zeigen Sie mir doch bitte die Passage in der ich das schreibe

    • @Pawelko:

      Wer sind den die Vielzahl / Mehrzahl jüdischer Verbände? Ich finde im Netz nur von zweien Äußerungen dazu. Dem Zentralverband und der Werteinitiative. Beide Stramm auf israelischen Regierungskurs. Die sind sich ansonsten untereinander sich nicht grün. Die Werteinitiative ist dem Zentralverband zu antimuslimisch.

    • @Pawelko:

      Hm... Weder haben "die Frauen" eine einzige gemeinsame Stimme, noch "die Transmenschen", und welche Position "die Mehrzahl der jüdischen Verbände" (hier waren Sie in ihrer Formulierung plötzlich angenehm differenziert) vertritt, geht aus diesem Artikel nicht hervor. Ich weiß nicht, ob das bereits erfasst wurde?

      Die Linkspartei hat ja keine eigene Antisemitismus-Definition verfasst, sondern entschieden, sich an einer von zwei bestehenden Definitionen zu orientieren, die scheinbar auch von anerkannten (auch jüdischen) Wissenschaftler*innen verfasst wurde.

      • @J. H.:

        Ich beziehe mich auf diesen Beitrag "Ein Unterschied zwischen den Texten ist der Umgang mit BDS"

        Und BDS ist für mich eindeutig antisemitisch.

    • @Pawelko:

      Das ist eine verrückte Aussage und das wissen sie. Dieser rhetorische Versuch das Hufeisenprinzip zu untermauern ist sehr unehrlich von ihnen.

      Die Boykottbewegung boykottiert vorallem Unternehmen wie coca cola die eine Fabrik im besetzten Westjordanland haben. Das ist ganz klare Ausbeutung einer unterdrückten Bevölkerung im Sinne des profits.

      Hören sie auf auf dem israelischen Auge blind zu sein. Ein Staat kann nicht behaupten das Sinnbild eine religion zu sein. Genauso ist kritik an diesem Staat und ein boykott dieses Staates nicht antisemitisch. Der jüdische glauben ist kein Monolith, wie soll dann ein Staat behaupten er würde alle Juden repräsentieren.

      Sie sollten ernsthaft über so kategorische aussagen wie diese nachdenken.

      Israel Sicherheitskabinett ist weder demokratisch legitimiert noch moralisch. Netanyahu und viele seiner minister und Soldaten sind bereits angeklagt wegen Kriegsverbrechen. Die Aussagen netanyahus der letzten Wochen sich nicht aus dem Gaza streifen jemals zurückzuziehen und die Palästinenser zu vertreiben ist ein klarer Bruch des Völkerrechts. Wenn wir nicht anfangen Israel zur Verantwortung zu ziehen werden noch mehr unschuldige Menschen sterben.

      • @Onjeb Jalowy:

        "Wenn wir nicht anfangen Israel zur Verantwortung zu ziehen werden noch mehr unschuldige Menschen sterben."

        Aber das ist doch der Punkt. Menschen sterben. Ist das Massaker vom 7. Oktober schon vergessen?

        Wie soll sich Israel wehren? Wie hilft es Lahav Shapira der hier von einem "Pro-Palästina-Anhänger" ins Krankenhaus geprügelt wurde?

        In dem Artikel geht es um die kritische Haltung mancher Linker gegenüber Juden und dem Staat Israel. Hier ist fast jede Woche ein Protest für Palästina bei dem vielfach Straftaten begangen werden. Und wir diskutieren wie wir weiter "harsche Kritik" an Israel äußern dürfen?

  • "Demnach ist es antisemitisch, Israel das Recht abzusprechen, als jüdischer Staat zu existieren. Gleichzeitig versucht die JDA Ideen eines binationalen Staates, in dem Juden und Palästinenser gleiche Rechte hätten, sowie Kritik am Zionismus davon auszunehmen."

    Nein, das sagt die JDA so eben nicht. Leitlinie 12 stellt explizit klar, dass die Verfasser die Forderung nach einer Staatsform ("in welcher Form auch immer"), für "nicht per se antisemitisch" halten, sofern die anvisierte Staatsform dem "Gleichheitsgrundsatz" gerecht wird. Das ist auch ziemlich nebulös, aber die Aussage, dass Israels Recht "als jüdischer Staat zu existieren" geschützt würde, ist unzutreffend.



    Allerdings schränkt Stefan Reinecke die eben formulierte Bedingung im nachfolgenden Satz sogleich selbst ein, denn die Forderung nach einem binationalen Staat kann ja durchaus gegen Israels Charakter als jüdischer Staat gerichtet sein.



    Zudem wird Peter Ullrich zitiert, es bleibt aber unerwähnt, dass dieser selbst Ko-Autor der JDA ist. Ullrich ist also entgegen dem durch den Artikel erweckten Eindruck kein unparteiischer Kommentator.

    • @Taugenichts:

      Also akzeptieren wir heute einfach, dass Israel sagt es will eine religiöser Einheitsstaat sein?

      Seit wann akzeptieren wir, dass Staaten einer Religion ihrer Bürger mehr Wichtigkeit zuordnet?

      Korrekterweise wird sowas immer wieder kritisiert, wenn Staat und Religion in einem Land nicht getrennt sind wird das ausnahmslos immer zu Marginalisierung und Diskriminierung führen.

      Die JDA definition sagt damit schlicht, dass Israel ein Existenzrecht hat solange diese existenz nicht unausweichlich daran gebunden ist Juden und nicht-juden vor dem Gesetz anders zu behandeln. Nicht mehr und nicht weniger.

      • @Onjeb Jalowy:

        Israel sagt nicht einfach, dass es ein "religiöser Einheitsstaat" sein will. Nicht-jüdischen Israelis stehen alle Türen offen, anders als in den meisten Ländern mit muslimischer Bevölkerungsmehrheit. Die rechtliche Gewährleistung der jüdischen Bevölkerungsmehrheit soll sicherstellen, dass es einen Staat auf der Welt gibt, der konsequent für den Schutz jüdischen Lebens eintritt.



        Es gibt zwei Staaten mit hinduistischer Bevölkerungsmehrheit, gleich eine Handvoll Staaten mit buddhistischer Bevölkerungsmehrheit, und Christen und Muslime können sich vor Optionen kaum retten. Aber ausgerechnet bei Juden, also der einen Gruppe, die in der Geschichte die meiste Repression ertragen musste, ist dieser Status höchst umstritten.



        Denn es stimmt ja nicht, was Sie behaupten: die Trennung von Staat und Kirche, die in vielen Ländern nicht oder nur unzureichend vollzogen ist, wird in dieser Intensität nur beim jüdischen Staat moniert. Auch hier wieder das gleiche singling out, obwohl Israels Status als jüdischer Staat ex negativo mit der Judenverfolgung eine Rechtfertigung besitzt, die kein anderer Nationalstaat vorweisen kann.

        • @Taugenichts:

          Danke.

  • Die Jerusalem-Definition erschließt sich mir deutlich mehr. Sie ist zielführender, präziser und verallgemeinerbarer.

    Auch die Letzten sollten langsam verstanden haben, dass wir mit unserer Energie gegen Antisemitismus kämpfen sollten, nicht für Netanyahus Haut. Der nämlich will die fatale Verwechslung von Jude, Israeli und Bibi.

    • @Janix:

      So ganz einfach kommen wir aus der Sachs nun auch nicht heraus: denn Bibi IST Jude und Israeli - diese Rechtsextremisten und religiösen Fanatiker sind keine Marsmännchen, die irgendwie vom Himmel gefallen sind, um die unbescholtene israelische Bevölkerung zu terrorisieren - analog zu der Diskussion, dass das bei der Hamas in Gaza natürlich auch nicht der Fall ist.



      Letztlich kommen wir also um eine ideologiekritische Analyse nicht nur dessen, was von manchen Foristen hier gerne Islamo-Faschismus genannt wird, wie auch des Zionismus (von seinen Anfängen bis dahin, wie er sich heute präsentiert) nicht umhin.



      DAS ist aus meiner Sicht eigentlich Aufgabe einer emanzipatorischen Linken, nicht einseitige Parteinahme in die eine oder andere Richtung.

  • Nein nicht die Linkspartei trägt eine eigene Definition vor. Sondern wie in dem Artikel erläutert, beruft sie sich auf die „Jerusalemer Erklärung „, die versucht zwischen antisemitismus und Kritik an israelischer Politik zu unterscheiden.



    Danke für den Artikel, der diesen Ansatz einmal sachlich „ohne Schaum vor dem Mund“ darzustellen!

  • Ich teile das statement von Bodo Ramelow. Denn: ich selbst habe nie verstanden, warum es nötig sein sollte, Juden umzubringen bzw. einen demokratischen Staat zu vernichten. Oder mit dem Finger auf „die da“, die „Bösen“ usw. zu zeigen. Aber ich habe irgendwann kapiert, dass hier Psychologie weiterhilft: es geht um einen Affekt. Entweder man hat ihn, oder man hat ihn nicht. Ob es jetzt um Juden geht wie vor allem unter den Nazis oder neuerdings um Israel:: Neue Zeiten verlangen auch neue Begründungen - aber der Antisemitismus bleibt Antisemitismus. Und weil dieser Affekt so unappetitlich ist (Triebabfuhr), will es natürlich niemand gewesen sein, der/die wieder mal gehetzt hat und zum Stigmatisieren, Ausgrenzen, Umbringen…aufgewiegelt hat. Die Zeiten für Juden werden wieder härter - da kann man sich gut hinter watteweichen „Definitionen“ einen Persilschein als Saubermann ausstellen.

    • @chrisbee:

      "Neue Zeiten verlangen auch neue Begründungen - aber der Antisemitismus bleibt Antisemitismus." Das ist natürlich Unsinn. Formen und Kontexte von z.B. Rasseantisemitismus udn religiösem Antijudaismus sind sehr verschieden.

  • Die Linke, ihre JDA und ihr BDS.

    Interview:

    Bildungsstätte Anne Frank: "Inwiefern stufen Sie BDS als antisemitisch ein?

    Alex Feuerherdt: BDS dämonisiert und delegitimiert Israel, misst den jüdischen Staat mit anderen Maßstäben als jedes andere Land dieser Welt und negiert sein Existenzrecht. Die Bewegung erfüllt sämtliche Kriterien aller seriösen Antisemitismusdefinitionen, etwa die der IHRA. Aber nicht nur das: BDS ist auch ein Angriff auf das Judentum. Unabhängig von der Politik der jeweiligen israelischen Regierung fühlt sich eine große Mehrheit auch der Jüdinnen und Juden außerhalb Israels dem jüdischen Staat eng verbunden. Denn er ist ihre Lebensversicherung gegen den grassierenden Antisemitismus außerhalb Israels, ein Ausdruck jüdischer Souveränität – und ein wichtiges, wenn nicht sogar das wichtigste Symbol des zeitgenössischen Judentums. BDS zielt auf das Ende des jüdischen Staates, damit richtet sich die Bewegung auch gegen die große Mehrheit der heute lebenden Jüdinnen und Juden weltweit und gegen eine wesentliche Komponente jüdischer Identität. Das ist antisemitisch."

    www.bs-anne-frank....it-alex-feuerherdt

  • Was steht denn in der IHRA-Definition zu Israel? Folgendes:



    "Erscheinungsformen von Antisemitismus können sich auch gegen den Staat Israel, der dabei als jüdisches Kollektiv verstanden wird, richten. Allerdings kann Kritik an Israel, die mit der an anderen Ländern vergleichbar ist, nicht als antisemitisch betrachtet werden."



    Und: "Das Aberkennen des Rechts des jüdischen Volkes auf Selbstbestimmung, z.B. durch die Behauptung, die Existenz des Staates Israel sei ein rassistisches Unterfangen."



    Und: "Die Anwendung doppelter Standards, indem man von Israel ein Verhalten fordert, das von keinem anderen demokratischen Staat erwartet oder gefordert wird."



    Und: "Das Verwenden von Symbolen und Bildern, die mit traditionellem Antisemitismus in Verbindung stehen (z.B. der Vorwurf des Christusmordes oder die Ritualmordlegende), um Israel oder die Israelis zu beschreiben."



    Und: "Vergleiche der aktuellen israelischen Politik mit der Politik der Nationalsozialisten."



    Quelle: holocaustremembran...ion-antisemitismus



    Nach dieser Definition kann man die israelische Politik kritisieren wie andere Staaten auch. Aber der Linkspartei ist selbst das noch zu wenig.

    • @Budzylein:

      Nein, wenn Sie einer „strengen“ Auslegung der IHRA-Definition folgen, können Sie Israel auf einer politischen Ebene eben NICHT mehr kritisieren, ohne sich dem Verdacht des Antisemitismus auszusetzen.



      Wenn Sie beispielsweise argumentieren, Israels Besatzungspolitik sei strukturell rassistisch, weil sie im WJL apartheid-ähnliche Ziele verfolge, kann Ihnen das gemäß IHRA dann durchaus als antisemitisch ausgelegt werden.



      Selbstredend können wir darüber diskutieren, ob der gegen Israel gerichtete strukturelle Rassismus-Vorwurf zutreffend oder falsch ist, aber die Bezichtigung als antisemitisch hat in diesem Fall per se keinerlei Substanz - es sei denn, sie wird von einem ausgewiesenen Antisemiten geäußert.



      Das nur als ein Beispiel aus Ihrer IHRA-Zitation.



      Das Problem liegt also in dem unscharfen Auslegungsspielraum der IHRA-Antisemitismus-Arbeitsdefinition, der Bezichtigungen und Fehlinterpretationen Tor und Tür öffnet - als ARBEITSdefinition hingegen hat die IHRA-Erklärung durchaus ihre Berechtigung.



      Genau DARAUF weist die Jerusalem Declaration of Antisemitism (als Reaktion auf die IHRA) auch hin, weshalb ich sie auch als unverzichtbare Ergänzung der IHRA-Definition ansehe.

    • @Budzylein:

      "Nach dieser Definition kann man die israelische Politik kritisieren wie andere Staaten auch." Blöd nur, dass die real existierende Verwendung der IHRA-Definition dem so gar nicht entspricht.

  • "Die IHRA-Formel (...) diene mittlerweile als repressives Instrument, um unliebsame Kritik und politischen Protest zu verhindern“. Davor haben die Verfasser der Definition gewarnt und sich auch schon vielfach dagegen ausgesprochen, dass die Definition über ihren eigentlichen Zweck hinaus, nämlich dem Monitoring ( "as a tool for data collectors"), als Grundlage von Gesetzen oder für politische Entscheidungen zweckenfremdet wird. Es ist eine juristisch nicht bindende Def. ist. Dazu auch Verfassungsblog: "Die Implementation der IHRA-Arbeitsdefinition Antisemitismus ins deutsche Recht –recht. Beurteilung"



    Hier eine Anhörung von Kenneth Stern, einem der Hauptverfasser der Definition, vor dem amerikanischen Kongress wo er klar darlegt wieso die Definition nicht politisch/rechtlich genutzt werden sollte: docs.house.gov/mee...ternK-20171107.pdf



    Und Herr Stern sowie auch etliche jüdische Organisationen warnen seit Jahren davor, dass gerade die Einschränkung der Meinungsfreiheit, der akademischen Freiheit etc. durch einen Missbrauch der IHRA Definition über ihren eigentlichen Zweck hinaus Abneigung, Hass und eben Antisemitismus schürt.

  • Wenn deutsche "Linke" auf einem Parteitag mit hauchdünner Mehrzahl der abgegebenen Stimmen entscheiden was antisemitisch sein soll und was nicht, dann läuft etwas grob falsch.

    Deutungshoheit für was Diskriminierungsformen sind haben eigentlich Betroffene, dies mit auf einem Parteitag anders zu beschließen, ohne Befürwortung der relevanten Akteure, ist Mackertum 200%.

    Welchen Definitionsausschluß hat die Linke für Ableismus, Sexismus und dergleichen mit 48% beschloßen? Keinen.

    Eine andere Frage: Wurden die Namen der von Hamas umgebrachten Geiseln verlesen? Die Attacke auf Lahav Shapira durch den Antisemiten der nun drei Jahre im Knast sitzt und Lehramt an der FU studiert mit Schande belegt?

    • @ToSten23:

      Sie betreiben populistisches Gepulver und Whataboutismus vom Feinsten.



      Die Linke hat nichts definiert, sie hat sich zwischen zwei bekannten Definitionen (an deren Erstellung sehr wohl Betroffene beteiligt waren) für eine Entschieden.



      Was ist denn Ihrer Meinung nach eine Angemessene Mehrheit, damit demokratische Entscheidungen legitim sind?

      • @Freundlicher:

        Für eine entschieden? Wer sich offen gegen einen Entwurf von u.a. Petra Pau zum Verhältnis zu Israel, Juden und Hams ausspricht, der sachlich und neutral gefasst war und das Existenzrecht Israels nicht in Frage stellt, der kann sich gerne für irgendetwas an Antisemitismus-Definition entscheiden, wird sich aber den Antisemitismus-Schuh sogleich anziehen müssen.

    • @ToSten23:

      Könnten Sie bitte erklären wieso Sie in ihrem Logo eine Karte des britischen Mandatsgebiets präsentieren, die aktuell gleich gesetzt werden kann mit den räumlichen Groß-Israel Zielen der israelischen Rechtsextreme?

      monde-diplomatique.de/artikel/!5976469

      • @Rudolf Fissner:

        Die Vorwürfe haben Sie bereits häufiger gemacht, beim ersten Mal waren Sie noch nicht fähig zu lesen, dass dort British Mandate (und übrigens auch andere Mandatsgebiete) aufgezählt sind. Damals haben Sie mir direkt den Faschismusvorwurf gebracht.

        Nach wie vor ist die Grundlage für die Staaten Türkei, Syrien, Libanon, Jordanien, Israel uvm. die Beschlusslage des Völkerbundes, der Einstimmig das Britische Mandat mit 51 Stimmen aus allen Kontinenten der Welt erklärt haben. Dies war nötig geworden, weil das Imperiale Osmanische Reich sich zu oft an die Deutsche Seite in Weltkriegen gestellt hat und danach dessen Koloniale Ambitionen vernichtet worden waren.

        Stattdessen gab es dann die quasi Nationalstaaten.

        Da auch Sie beim ersten mal nicht wussten, was das Britische Mandate war erscheint mir der Bildungsauftrag offensichtlich.

        Es ist jedenfalls nicht gleichzusetzen wie Sie es behaupten und anders als eine Karten. Es ist ein Beweis, dass Israel gewillt ist Frieden zu schließen und Grenzen zu akzeptieren z.B. mit Jordan, die 78% des Mandatsgebietes bekamen, auch wenn Paragraph 25 dafür schlecht geeignet war.

    • @ToSten23:

      Das selbe Argument ließe sich auch gegen die IHRA-Definition machen: Was bildet sich der Staat ein, darüber zu entscheiden, was antisemitisch sein soll und was nicht.

      Übrigens wurde die JDA mit überragender Mehrheit von jüdischen Menschen verfasst. Denen pauschal den Status der relevanten Akteure oder gar der Betroffenheit abzusprechen ist dann was genau? Mackertum 300%?

      Kritik an der vermeintlich geringeren Legitimation der JDA ist durchaus nachvollziehbar. Sie wirkt angesichts Ihrer überbordenden Polemik und des Fehlens jeder inhaltlichen Auseinandersetzung mit der JDA im Vergleich zur IHRA-Definition allerdings sehr konstruiert.

      • @JWW:

        Ja, was bildet sich dieser jüdische Staat Israel eigentlich ein, darüber zu entscheiden, welche "Kritik" seine Existenz in Frage stellt?



        Die JDA wurde (angeblich mit "überragender Mehrheit") von jüdischen Menschen verfasst? Na und?



        Soll ja vorkommen, dass auch verschiedene jüdische Menschen verschiedene Meinungen haben.

    • @ToSten23:

      Eine Verlesung aller palästinensischer Zivilisten die von der IDF getötet wurden wäre dann ebenso angemessen. Würde allerdings alles dann immer seeeeeeeeeeeeeeeeeeehhhhhhhhhhhhhhhhr lange dauern.

      • @torrez:

        Es ist unstrittig, dass die Geiseln freigelassen gehören und diese Opfer von Antisemitismus sind, ebenso wie Lahav Schapira.

        Die Linke will sich doch angeblich dagegen stellen.

        Lahav ist als Student am Campus des Täters Verschmäht worden und es wurde Täter Opfer Umkehr betrieben.

        Sein Bruder hat bereits Kunst Aktionen gegen selektiven Humanismus durchgeführt.

        Die Linke hingegen hat die Geiseln bagatellisiert und ignoriert sowohl die Bibbas Kinder, Hersh (ein linker Aktivist der von Hamas ermordet worden ist), als auch die Opfer der Hamas in Gaza und jene die vor ihr geflüchtet sind.

        Während die Haltung der verschleppten Geiseln den Genozid vom 7. Oktober andauern lassen und damit den Krieg, hatte Israel dem Massenmörder Sinwar einen Hirntumor entfernt, damit sein Leben gerettet und bessere Healthcare gegeben als in den USA oder arabischen Staaten für die Mehrheit der Bevölkerung.

        Der Antrag offenbart, dass es mehr darum geht Palisolidarisch zu sein, als jüdische Opfer wahrzunehmen.

        • @AlHozo Hoto:

          Da muss ich Ihnen zustimmen - es wäre für einen Linken-Parteitag ein LEICHTES gewesen, auch auf die Hamas-Opfer auf israelischer/jüdischer Seite wenigstens hinzuweisen.



          Und es wäre für freiheitliche, emanzipatorische Sozialisten - versteht sich die Linkspartei so (?) - eigentlich ein MUSS, sich mit den israelischen Linken, Friedensaktivisten und Kibbuzniks zu solidarisieren, die am 7. Oktober zuerst zu Opfern des islamistisch-antisemitischen Hamas-Terrors wurden.



          Hier wurden eindeutig die falschen Signale ausgesandt - und es wird nicht besser, nur weil Parteivordere wie van Aken und Ramelow sich um Schadensbegrenzung bemühen.



          Wo bleibt in dieser Sache übrigens eine Heidi Reichinnek, die doch sonst um kein Wort verlegen ist?

        • @AlHozo Hoto:

          "(...) ignoriert sowohl die Bibbas Kinder, Hersh (...)"

          Mir fehlen in Ihrer Aufzählung Yotam Haim, Samar Fouad Talalka und Alon Shamriz, Geiseln, die von der IDF getötet worden sind.

    • @ToSten23:

      Ohne das jetzt zu werten, aber beide Definitionen wurden doch von jüdischen Mitmenschen erarbeitet. Was ist da das Problem, sich für eine zu entscheiden?

      • @Davin_112:

        Eine wirklich gute Frage. Danke.

      • @Davin_112:

        Seien Sie doch nicht so naiv. Es geht nicht darum, zwischen welcher man sich entscheiden soll. Es geht darum, dass die eine Definition Israel UND Juden in einen Topf wirft und somit jede Kritik legitim und eben kein Antisemitismus sei.

        • @Lars B.:

          Gar nicht so naiv könnte man ich behaupten, dass die andere Definition eben besser dafür geeinigt ist, Kritik an Israel praktisch unmöglich zu machen.

    • @ToSten23:

      Jetzt seien Sie doch nicht so kleinlich, die hatten einfach alle Migraene. Kann doch mal passieren.

    • @ToSten23:

      Und hat sich die Linke jemals mit dem Massaker insbesondere gegen Frauen am 07. 10.2023 befasst?

      NYT: "Screams Without Words’: How Hamas Weaponized Sexual Violence on Oct. 7"



      www.nytimes.com/20...xual-violence.html

      Kein Wunder, dass sie das nicht tut. Die Linke ist halt anderweitig beschäftigt:



      ZEIT: "Ich kenne keine Genossin, die noch nie sexistisch angegangen wurde"



      www.zeit.de/campus...riffe-sarah-dubiel

      • @shantivanille:

        Ja, das hat sie, sogar mehrfach – und einmal zu googeln würde auch genügen, um das herauszufinden. Unterstellungen in den Raum zu raunen, weil ein bisschen war immer hängen bleibt, ist zwar ein altbekanntes Verfahren, aber eben kein guter Stil.

        • @O.F.:

          Da habe ich Ihnen zuliebe ein wenig gegoogelt.

          Und bin bei einem sehr guten taz-Artikel zum Thema Linksliberale und Hamas gelandet. Gastkommentare von Claus Leggewie und Daniel Cohn-Bendit.

          Titel: "Welche Linke?"

          Vorspann: "Die Sympathie linker Intellektueller mit der Hamas hat mit Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit wenig zu tun. Nicht alle lassen sich blenden."

          Auszug: "Das Durchschlagen linken Antisemitismus in der BDS-Bewegung gegen den „Apartheidstaat“ Israel, im in der französischen Linken sehr verbreiteten „Islamo-Gauchisme“, der die Irrtümer des Tiersmondisme fortsetzt und nun zur verdrucksten oder ganz offenen Sympathie mit der Hamas steigert, ist eine moralische Bankrott-Erklärung."

          Wohl wahr. In Frankreich wie in Deutschland.

          taz.de/Linkslibera...ie-Hamas/!5968347/

          • @shantivanille:

            Sie merken vielleicht selbst, dass Sie hier dem Einwand ausweichen: Sie finden ohne Probleme diverse Stellungnahmen der Partei Die Linke (um die es in diesem Artikel ja geht) sowie der politischen Linken insgesamt, in denen der Angriff auf Israel sowie die damit verbundenen Gewalttaten mit aller Deutlichkeit verurteilt werden. Dass Leggewie und Cohn-Bendit das ebenfalls ignorieren, wirft kein gutes Licht auf die beiden und ändert nichts an der Tatsache, dass die linken Sympathien für Hamas weitgehend ein Mythos sind. Unhaltbare Vorwürfe werden nicht wahr, wenn man sie oft genug wiederholt (auch wenn man das im Internet beizeiten anders sieht).