Lackierte Fingernägel bei Männern: Desillusionierte Symbolpolitik
Manche sehen lackierte Nägel als feministische Praxis. Tragen kann sie jede*r, doch ein Kampf gegen das Patriarchat ist das nicht.
Es war eine turbulente Woche für die Critical-Masculinity-Bubble auf Instagram. Erst gab das Literaturhaus Rostock aus Solidarität mit einer Betroffenen sexualisierter Gewalt die Absage der Lesung von Valentin Moritz und Donat Blum, den beiden Herausgebern des Sammelbands „Oh Boy!“, bekannt. Moritz hat in seinem Text gegen den Willen der Betroffenen über seine Täterschaft geschrieben, von Blum gab es volle Rückendeckung für seinen Kollegen, inklusive sämtlicher Cancel-Culture-Schlagworte. Da kristallisierte sich mal wieder heraus, dass die Mehrheit der cis Typen – egal ob hetero- oder homosexuell – nur so lange profeministisch agieren, wie sie sich damit profilieren und Lob einsacken können.
Die Shitshow wurde am Wochenende mit einem mittlerweile gelöschten Video des Influencers Sebastian Tigges abgerundet. Der Blogger, der sich hauptberuflich als reflektierter Vater und Partner inszeniert, etwa als „The Walking Dad“ mit GoPro-Kamera am Kinderwagen, sprach in einem Video mit seiner Partnerin Marie Nasemann über das Lackieren seiner Fingernägel als feministische Praxis. Diesen Gender-Hack habe er sich natürlich nicht selbst ausgedacht, sondern sich beim Schauspieler Lars Eidinger abgeguckt. Was wie ein Satirevideo anmutet, fasst den Diskurs um kritische Männlichkeit im Kern zusammen: Es ist in erster Linie eine oberflächliche Selbstbeweihräucherung.
Heterosexuelle cis Männer, die sich die Fingernägel lackieren – das Phänomen ist älter als Eidinger und Tigges. Wer sich je in Subkulturen wie Punk, Emo oder manchen linken Räumen aufgehalten hat, hat bereits Bekanntschaft mit lackierten Nägeln oder Make-up an Typen gemacht. Weniger mackerig in ihrem Verhalten hat sie diese vermeintliche Provokation nicht sonderlich gemacht.
Der Sexist mit Nagellack
Im Gegenteil, manche cis Männer betrachten ihre Maniküre als woke Plakette, ein feministisches Siegel, für das sie lediglich ein paar Minuten die Finger stillhalten mussten. Der Sexist mit Nagellack ist regelrecht zum Meme geworden.
Nun machen Trends wie „Menicure“ – Männermaniküre – auch im Mainstream ihre Runden. Wie in den Nullerjahren schon der Begriff „metrosexuell“ es tat, ist es maximal cringe, dass Männer für grundlegende Körperpflege ein eigenes Wort brauchen, um sich nicht irgendwie schwul vorzukommen.
Gleichzeitig kann man davon ausgehen, dass ein solches Auftreten auf dem Land subversiver sein kann als in der Großstadt, wo gegenderte Kleidungsstücke wie Kleider und Röcke, aber eben auch Kosmetikpraxen von allen Geschlechtern getragen werden. So liegt es nicht fern, dass irgendeine homofeindliche Knalltüte cis hetero Männer mit Nagellack abwertend kommentiert oder gar angreift.
Eine trans Freundin von mir erzählte mir mal, dass das Tragen von Nagellack ihr erster Schritt aus der cis Männlichkeit gewesen ist – um die Gewässer auszutesten. Ich halte es deshalb nicht für sinnvoll, fremde Menschen als „Männer mit Nagellack“ zu labeln und sich über sie lustig zu machen, weil man hinter der Person einen Möchtegernfeministen vermutet. Männer, egal ob cis oder trans, mit Nagellack, was soll man schon groß dagegen einwenden? Die Leute sollen tragen, worauf sie Bock haben – wenn vermeintliche queere Ästhetiken sich so in die allgemeinen Sehgewohnheiten einschleichen und queere Personen seltener zur Zielscheibe von Gewalt werden, wäre das ein willkommener Nebeneffekt.
Unangenehm wird es eher, wenn Typen sich durch ein bisschen Nagellack einbilden, irgendetwas gegen das Patriarchat unternommen zu haben. Diese Art von desillusionierter Symbolpolitik gibt es zur Genüge – das reiht sich aber perfekt in den Diskurs um kritische Männlichkeit ein, in der es offensichtlich wichtiger ist, als korrekter Typ wahrgenommen zu werden, als sich Frauen gegenüber korrekt zu verhalten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Christian Lindner
Die libertären Posterboys
Außenministerin zu Besuch in China
Auf unmöglicher Mission in Peking
Prozess gegen Letzte Generation
Wie die Hoffnung auf Klimaschutz stirbt
Olaf Scholz’ erfolglose Ukrainepolitik
Friedenskanzler? Wäre schön gewesen!
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Rücktrittsforderungen gegen Lindner
Der FDP-Chef wünscht sich Disruption