Kritik oder Nicht-Kritik an Hamas: Die Linkspartei streitet über Israel
Der Bundesvorstand verurteilt das Vorgehen von Israels Militär gegen den „Rückkehrmarsch“ – die Hamas-Raketenangriffe aber nicht.
Bei den von der Hamas unterstützten Protesten in Gaza im Zuge des „Großen Rückkehrmarsches“ waren seit März mehr als 160 Palästinenser getötet worden. Palästinenser hatten dabei auch versucht, die Grenze nach Israel zu durchbrechen. Im selben Zeitraum schossen die Hamas und andere Palästinenser Raketen und Branddrachen auf Israel ab, Israel bombardierte daraufhin den Gazastreifen.
Ein Änderungsantrag der Hamburgerin Christiane Schneider, die Hamas aufzufordern, das Existenzrecht Israels anzuerkennen, fand im Bundesvorstand keine Mehrheit. Kritik kommt nun vor allem aus der Strömung „Emanzipatorische Linke“: Im Antrag fehle, „dass die Raketenangriffe der Hamas verurteilt werden“, heißt es in einem Papier: „Es entsteht der Eindruck, dass der Vorstand der Partei Die Linke nicht willens ist, das Verletzen und Töten von Israelis durch die Raketenangriffe der Hamas zu verurteilen.“
Auch der Musiker Andrej Hermlin, Sohn des DDR-Schriftstellers Stephan Hermlin, wandte sich nach dem Beschluss an den Parteivorstand: „Mein Vater war Jude und Kommunist. Ich bin es ihm schuldig, meine Stimme zu erheben“, schreibt er in einem offenen Brief. In der Erklärung des Vorstands fände sich „kein Wort zum rasenden Hass der Hamas und ihrer Sympathisanten auf Israel und alles Jüdische“. Hermlin droht mit seinem Austritt aus der Partei: „Ich erwarte eine Stellungnahme der Führung unserer Partei. Vom Gehalt eines solchen Bekenntnisses mache ich meinen Verbleib in der Partei abhängig.“
Raketenangriffe der Hamas verschweigen
Der Nahostkonflikt hat die Linkspartei immer wieder gespalten. So nahmen die Bundestagsabgeordneten Annette Groth und Inge Höger 2010 an einem Schiffskonvoi in den Gazastreifen teil, der vom israelischen Militär aufgebracht wurde. 2014 kam es zur sogenannten „Toilettenaffäre“: Nachdem Fraktionschef Gregor Gysi eine Veranstaltung mit zwei antizionistischen Journalisten in Fraktionsräumen untersagt hatte, belagerten Höger und Groth zusammen mit den beiden Journalisten Gysi im Bundestag – einige verfolgten ihn sogar beim Gang zur Toilette.
Erst in den vergangenen beiden Jahren konnte der Konflikt befriedet werden, unter anderem durch eine gemeinsame Reise der neuen Fraktionsvorsitzenden Dietmar Bartsch und Sahra Wagenknecht nach Israel. Dass er jetzt wieder aufbricht, ist auch eine Folge der Verschiebung der Kräfteverhältnisse: Im Zuge der Flüchtlingsdebatte hat sich ein Teil des linksradikalen Spektrums von Wagenknecht entfernt und ist nun im Vorstand ein Bündnis mit den Parteichefs Katja Kipping und Bernd Riexinger eingegangen.
Dazu zählt etwa die Antikapitalistische Linke (AKL). Aus ihren Reihen kommt nun Kritik, der jetzt beschlossene Antrag sei noch zu soft gewesen: Bundesvorstandsmitglied Thies Gleiss hatte laut einem im Internet veröffentlichen Protokoll der AKL in der Vorstandsdebatte für einen noch weiter gehenden Antrag des Arbeitskreises „Gerechter Frieden in Nahost“ plädiert. Er habe dabei „darauf hingewiesen, dass die Gleichsetzung der israelischen Militär- und Polizeieinsätze mit den Widerstandsaktionen der palästinensischen Bevölkerung und militärischen Anschlägen der Hamas nicht hinnehmbar ist“, heißt es im Bericht von der Klausur des Parteivorstands.
Gleiss setzte sich dafür ein, die Raketenangriffe der Hamas in dem Antrag gar nicht zu erwähnen. Die „Gleichsetzung beider Seiten „in dieser zutiefst asymmetrischen Auseinandersetzung“ sei „eine falsche Parteinahme für die israelische Armee und die rechtsradikale Regierung Netanjahus“. Im weitergehenden Antrag des Arbeitskreises „Gerechter Frieden in Nahost“ wurden unter anderem die „kreativen Aktionen“ bei den Demonstrationen gelobt.
Im September geht es weiter: Dann steht ein Treffen des Parteivorstands mit Hermlin an.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Stellenabbau bei Thyssenkrupp
Kommen jetzt die stahlharten Zeiten?