Krieg in der Ukraine: Aufgeben ist keine Option
Nach über drei Wochen Krieg fordern einige die Ukraine dazu auf, sich zu ergeben, damit das Leid ein Ende hat. Dabei würde das Leiden weitergehen.
I n den ersten Tagen des russischen Angriffs auf die Ukraine war die Empörung in Deutschland groß. Im Bundestag rief Kanzler Olaf Scholz eine sicherheitspolitische Zeitenwende aus. Solidarität mit der Ukraine wurde bekundet. Bei Ukrainer:innen ist die Sorge groß, dass diese Solidarität politisch und auch gesellschaftlich nicht lange anhalten wird. Wird man die Ukraine irgendwann aufgeben, weil man selbst, den Krieg vom Sofa aus beobachtend, müde davon geworden ist?
Es erschüttert mich, wie nach über drei Wochen Krieg, in denen Bomben auf europäische Städte fallen, Millionen Menschen ihr Zuhause verlieren, viele noch immer ohne Strom, Wasser und ausreichend Essen von russischen Streitkräften eingekesselt sind und Zivilist:innen kaltblütig erschossen werden, manche in alte Muster zurückverfallen.
Bei Scholz zum Beispiel klingt es mittlerweile so, als habe Deutschland bereits alles getan, um die Ukraine zu unterstützen. Ein Waffenstillstand könne nur mit Diplomatie erreicht werden, sagte er kürzlich. Als hätte Dialog mit Russland in der Vergangenheit Erfolge erzielt und Putin sich in den letzten Wochen als vertrauenswürdiger Diktator entpuppt.
Entführungen und Folter
Vermeintliche Experten ukrainisch-russischer Beziehungen fordern schon mal eine prorussiche Regierung in der Ukraine, um den Krieg schnellstmöglich zu beenden. Oder um es mit den Worten von Richard David Precht zu sagen: „Natürlich hat die Ukraine ein Recht auf Verteidigung. Aber auch die Pflicht zur Klugheit, einzusehen, wann man sich ergeben muss.“
Putin will die Ukraine, ihre Menschen, ihre Freiheit zerstören. Und in Deutschland wird ernsthaft darüber debattiert, ob die Ukraine nicht aufgeben sollte. Das Ende militärischer Auseinandersetzungen würde vielleicht kurzzeitig Leid verhindern. Der Terror aber würde weitergehen. Bereits jetzt gibt es Berichte von Entführungen in den von Russland kontrollierten Teilen der Ukraine.
Sie geben einen Ausblick darauf, was unter russischer Kontrolle noch folgen könnte. Iwan Fedorow, Bürgermeister von Melitopol, wurde vergangene Woche von russischen Soldaten verschleppt. Es existiert ein Überwachungsvideo, das zeigt, wie Fedorow mit einem Sack auf dem Kopf abgeführt wird. Mittlerweile ist er wieder frei. In einem Interview mit Zeit Online spricht Fedorow von stundenlangen Verhören, die er über sich ergehen lassen musste. Aus den anderen Zellen habe er gehört, wie Leute gefoltert wurden, erzählt er. Schon zuvor soll der Bürgermeister der Stadt Dniprorudne entführt worden sein. Am Mittwoch hieß es außerdem, dass russische Militärs den Bürgermeister der Hafenstadt Skadowsk und dessen Stellvertreter entführt haben sollen.
Europa schaute jahrelang weg
Aktivist:innen, Journalist:innen, Freiwillige werden schon jetzt Opfer von Verfolgung und Willkür durch russische Kräfte. Es sind Fälle, wie sie seit Jahren aus den Separatistengebieten im Osten des Landes bekannt sind. Europa schaute jahrelang lieber weg. Gesetzlosigkeit, willkürliche Festnahmen, Folter und Gewalt. Das blüht der Ukraine unter russischer Herrschaft.
In seinem Buch „Heller Weg: Geschichte eines Konzentrationslagers im Donbass 2017–2019“ beschreibt der ukrainische Journalist Stanislav Aseyev, der im besetzten Donezk verhaftet und wegen „Extremismus“ sowie „Spionage“ zu 15 Jahren Haft verurteilt wurde, seine Zeit in der sogenannten Isoljazija, der Isolation, einem Geheim- und Foltergefängnis. Seine Beschreibungen sind eigentlich nicht aushaltbar. Und genau deshalb ist es so wichtig, dass die Welt sie liest.
Ich empfehle dieses Buch allen, die daran festhalten, dass die Ukraine aufgeben muss. Es sollte auch denjenigen in der Politik eine Warnung sein, die wieder Diplomatie beschwören, anstatt alle Mittel zur Unterstützung der Ukraine auszuschöpfen. Nur ein Europa, das sich wehrhaft hinter die Ukraine stellt, kann Putin Angst machen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht
Verkauf von E-Autos
Die Antriebswende braucht mehr Schwung
Die HTS in Syrien
Vom Islamismus zur führenden Rebellengruppe
Warnstreiks bei VW
Der Vorstand ist schuld