Kooperation mit US-Konzern: Ukraine setzt auf Atomkraft
Um Versorgungssicherheit zu gewährleisten, will Kiew die Nutzung der Atomenergie ausbauen. Doch das ist nicht der einzige Grund.

In zwei Jahren, so Energoatom, sei man in der Ukraine außerdem so weit, dass man in einem eigenen Werk Brennstäbe mit dem Westinghouse-Brennstoff befüllen könne.
Noch werden 8 der 15 ukrainischen Reaktoren mit russischem Brennstoff betrieben. Doch im März hat sich die Ukraine entschieden, keinen weiteren Brennstoff mehr in Russland zu ordern. Gleichzeitig vereinbarten Energoatom und Westinghouse in einem Memorandum den gemeinsamen Bau von neun Atomreaktoren des Typs AP1000. Das ist mehr als die am 1. September vereinbarten fünf neuen Atomreaktoren.
Die Vereinbarung kommt zu einem Zeitpunkt, zu dem Nachrichten von russischen Angriffen auf ukrainische Atomkraftwerke sowie Beinahe-Unfälle, verursacht durch russische Waffen, die Regel sind. Zuletzt war am Sonntagmorgen nach Angaben von Energoatom ein russischer Flugkörper nur knapp an dem Atomkraftwerk „Südukraine“ vorbeigeflogen. Dazu hat Energoatom ein Video einer Überwachungskamera veröffentlicht, das den Flug dieses Flugkörpers festgehalten hat. Nach Angaben des Anti-Crisis Expert Nuclear Center of Ukraine war dieser Beinahe-Überflug eines ukrainischen AKW durch ein russisches Fluggeschoss bereits der vierte dieser Art seit dem 24. Februar.
AKW als Stützpunkt
Weiter Sorgen macht der ukrainischen Atomwirtschaft das AKW Saporischja, mit sechs Reaktoren das größte AKW Europas. Seit dem 4. März ist es von russischen Truppen besetzt. Und seitdem, so zitiert die Ukrajinska Prawda den Präsidenten von Energoatom, Petro Kotin, arbeite das Personal unter hohem Stress. Hinzu komme, dass die russischen Militärs das AKW als militärischen Stützpunkt nutzten, „wissend, dass die Ukraine nicht auf dieses Objekt, in dem sich sehr viel nukleares Material befindet, schießen wird“. Auch die 6-wöchige russische Besetzung von Tschernobyl hatte deutlich gemacht, wie gefährlich AKWs gerade im Krieg sind.
Mit dem jüngsten Deal mit Westinghouse will die ukrainische Atomwirtschaft nicht nur sicherstellen, dass in dem Land die Lichter nicht ausgehen. Perspektivisch plant man, Strom im großen Stil in die europäischen Nachbarländer zu exportieren.
„In der Zukunft kann die Ukraine ein wichtiger Stromlieferant für Europa werden“, zitiert das Portal expro.com.ua den ukrainischen Energieminister Herman Haluschchenko bei der feierlichen Unterzeichnung. Nun werde die Ukraine in Zusammenarbeit mit Westinghouse weltweit führend in der Atomwirtschaft sein, zitiert expro.com.ua Petro Kotin, den Präsidenten von Energoatom.
Doch es gibt auch Kritik. Auf ihrer Facebook-Seite fragt sich die Atom-Expertin Olga Koscharna, warum es zu diesen Planungen keine gesetzlich vorgeschriebene internationale Ausschreibung gegeben hat. Zudem müssten bei derartigen Großprojekten Umweltfolgeabschätzungen vorgenommen werden. Darüber hinaus müssten Beratungen mit den Anrainerstaaten stattfinden, die staatliche Atomaufsicht müsse um Zustimmung gebeten und das Ganze letztlich vom Parlament abgesegnet werden.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Streit um tote Geiseln in Israel
Alle haben versagt
Comeback der Linkspartei
„Bist du Jan van Aken?“
Soziologische Wahlforschung
Wie schwarz werden die grünen Milieus?
Nach Taten in München und Aschaffenburg
Sicherheit, aber menschlich
CDU-Chef Friedrich Merz
Friedrich der Mittelgroße
Klimaneutral bis 2045?
Grünes Wachstum ist wie Abnehmenwollen durch mehr Essen