Kommunalwahlen in NRW: Den Ernst der Lage nicht begriffen
Die SPD hat ein historisch schlechtes Ergebnis eingefahren. Die Verantwortung dafür liegt nicht nur vor Ort.
E s gibt Wahlergebnisse, die lassen sich nicht schönreden. Die SPD versucht es trotzdem. Die Partei hat bei den Kommunalwahlen an Rhein und Ruhr am Sonntag ein historisch schlechtes Ergebnis eingefahren. Trotzdem behauptet ihr Vorsitzender Norbert Walter-Borjans, eine „erkennbare Trendwende“ zu sehen – weil es bei der Europawahl im vergangenen Jahr ja noch schlechter aussah.
Ein ziemlich billiger Taschenspielertrick: Wenn die SPD einen Ausweg aus ihrer tiefen Krise finden will, sollte sie auf solche Selbstbetrügereien verzichten. Dass niemand aus der Führungsspitze bislang auch nur den Anschein erweckt, nach den tieferen Ursachen des Desasters zu suchen, lässt nichts Gutes erwarten.
Nordrhein-Westfalen war lange Zeit das Kraftzentrum der deutschen Sozialdemokratie. Das Ruhrgebiet galt als ihre uneinnehmbare Bastion; auch in den Großstädten im Rheinland war sie eine starke Macht. Davon ist kaum mehr etwas geblieben. Die SPD hat vielerorts abgewirtschaftet, wirkt leer und verbraucht.
Die Folge: Die CDU ist in weite Ferne davongeschwebt, und die Grünen haben einen grandiosen Wahlerfolg eingefahren – vor allem auf Kosten der SPD. Die Ökoliberalen, die bei der Landtagswahl 2017 noch mit der Fünfprozenthürde kämpften, bewegen sich nun auf Augenhöhe mit den Sozialdemokrat:innen.
Bei allen Besonderheiten von Kommunalwahlen werden die Ergebnisse vom Sonntag dramatische Auswirkungen auf Bundesebene haben. Denn der SPD ist ausgerechnet in ihrem Stammland die lokale Verankerung verlorengegangen, die sie braucht, um bei der kommenden Bundestagswahl ein respektables Ergebnis einzufahren.
Es ist noch nicht so lange her, da wäre es unvorstellbar gewesen, dass die SPD in Aachen, Paderborn oder Mülheim an der Ruhr nur auf dem dritten Platz rangiert. Nur um Haaresbreite blieb ihr dieses Schicksal in Köln erspart – bei großem Rückstand auf die Grünen. In Dortmund, Duisburg oder Oberhausen, wo sie über Jahrzehnte mit absoluten Mehrheiten regierte, kommt die Partei jetzt gerade mal auf knapp über 30 Prozent. In Essen, Bielefeld oder Wuppertal, der Heimat von Friedrich Engels und Johannes Rau, liegt sie sogar darunter. Und in Bonn, Düsseldorf oder Münster schafft die SPD nicht einmal mehr die 20-Prozent-Marke.
Für den Niedergang gibt es in jedem einzelnen Fall vor allem lokale Erklärungen. Aber der Gesamttrend ist zu eindeutig, um die Verantwortung alleine auf die kommunale Ebene zu schieben. Walter-Borjans, Saskia Esken und Kevin Kühnert sollten sich Gedanken darüber machen, ob es wirklich so eine kluge Idee war, Olaf Scholz zum Kanzlerkandidaten gekürt zu haben. Es wird eng für die SPD. Auch wenn sie den Ernst der Lage nicht zu begreifen scheint.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
BGH-Urteil gegen Querdenken-Richter
Richter hat sein Amt für Maskenverbot missbraucht
Stromversorgung im Krieg
Ukraine will Atomkraft um das Dreifache ausbauen