Kommentar Verteilung von Geflüchteten: Nicht gerecht, aber richtig
Wenn EU-Länder freiwillig Gerettete aufnehmen, werden rechte Regierungen sich weiter sperren. Aber im Moment ist das der einzig richtige Weg.
D ie privaten SeenotretterInnen auf dem Mittelmeer hangeln sich von Notlösung zu Notlösung. Jedes Mal, wenn sie ein paar Dutzend Menschen aus dem Wasser gezogen oder von seeuntüchtigen Schlauchbooten geholt haben, sind sie mit der bangen Frage konfrontiert: Wer wird sie aufnehmen? Wie lange wird die Irrfahrt dieses Mal dauern?
Nun ist der EU-Innenkommissar Dimitris Avramopoulos mit einem Vorschlag vorangeprescht, der ein Tabu bricht. Er fordert, dass mit den aufnahmewilligen EU-Staaten ein vorläufiges Verteilungssystem vereinbart wird – bis das europäische Asylsystem, kurz Dublin III, grundsätzlich reformiert wird. Bisher wurde stets darauf bestanden – insbesondere von Ländern wie Deutschland, die überproportional viele Geflüchtete aufgenommen haben –, dass Asylsuchende gleichmäßig auf alle Mitgliedstaaten verteilt werden müssen. Das mag gerecht sein und politisch richtig, doch in der Praxis funktioniert es nicht. Staaten wie Polen oder Ungarn spielen einfach nicht mit, sie halten sich nicht einmal an bereits vereinbarte Quoten. Das Ergebnis: anarchische Verhältnisse und besagte Irrfahrten.
Ein Zusammenschluss der aufnahmewilligen Länder bedeutet einerseits, den Viktor Orbáns der EU nachzugeben und eine gerechte Verteilung vorläufig aufzugeben. Doch angesichts der Alternativen ist es klüger, pragmatisch zu handeln, als auf rein hypothetischen Prinzipien zu bestehen. Dass nur eine kleine Gruppe von EU-Mitgliedern Gerettete aufnimmt, ist auch jetzt schon Realität. Doch bei jedem Schiff wird aufs Neue mühsam verhandelt, weil kein Land alle allein aufnehmen und damit einen Präzedenzfall schaffen will.
Zwei Drittel der Deutschen befürworten laut ARD-Deutschlandtrend die Seenotrettung. Man kann deshalb davon ausgehen, dass die Mehrheit auch eine systematische Verteilung unterstützen wird. Das löst zwar noch nicht das Problem, dass Menschen erst ihr Leben aufs Spiel setzen müssen, um in Europa Asyl zu beantragen. Doch immerhin wären die absurden Forderungen, die Geretteten nach Libyen zurückzuschicken, vorerst vom Tisch.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Spiegel-Kolumnist über Zukunft
„Langfristig ist doch alles super“
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Krieg in der Ukraine
„Weihnachtsgrüße“ aus Moskau