Kommentar Rechte Jagd in Chemnitz: Katastrophengebiet der Demokratie

In Chemnitz verfolgt ein gewaltbereiter Mob alles, was nicht seinen kruden Maßstäben entspricht. Die Kanzlerin muss nun Gesicht zeigen.

Karl Marx-Büste in Chemnitz mit Deutschland-Farbe auf den Wangen

Die Kanzlerin sollte sich die Katastrophe im Schatten des Karl-Marx-Monuments vor Ort anschauen Foto: dpa

Angst und Gewalt zu verbreiten, das nehme der Rechtsstaat nicht hin, lässt Bundeskanzlerin Angela Merkel am Montag durch ihren Sprecher ausrichten. Die drängende Frage jedoch, die sich nach den Ereignissen von Chemnitz stellt, lautet: Was bedeutet das konkret?

Ein Mensch ist gestorben, ein Verbrechen wurde begangen. Und in Chemnitz, Deutschland, bahnt sich eine Katastrophe an. Ein gewaltbereiter Mob jagt alles, was nicht seinen kruden Maßstäben entspricht. Was also taugt angesichts dessen die hoheitsvoll vorgetragene Sentenz, derlei habe „in unseren Städten keinen Platz“? Was kann, was soll der Rechtsstaat tun?

Außer der Aufklärung und Ahndung begangener Straftaten wäre eine weitere Antwort auf diese Frage, dass Angela Merkel nach Chemnitz fährt. Dass ihr Innenminister nach Chemnitz reist. Ihre Justizministerin. Dass sie sich vor Ort ein Bild machen, um daraus Schlüsse für ihr politisches Handeln zu ziehen.

Und zwar selbst auf die Gefahr hin, sich im Schatten des Karl-Marx-Monuments in der Chemnitzer Innenstadt von hasserfüllten Sachsen anschreien lassen zu müssen. Mit derlei müssen BerufspolitikerInnen klarkommen; anders als jene, die auf den Listen der Rechten stehen, verfügen sie über Personenschutz.

Politiker müssen in Katastrophengebieten helfen

Die Kanzlerin und ihre MinisterInnen könnten tun, was PolitikerInnen in aufrüttelnden Reden immer mal wieder vom Wahlvolk fordern: Gesicht zeigen. Sie könnten klarstellen, wer tatsächlich die RepräsentantInnen ebenjenes Rechtsstaates sind, den die paramilitärisch agierenden Glatzen gern abgeschafft sähen.

Nämlich nicht die AfD, deren Bundestagsabgeordneter Markus Frohnmaier in hetzerischer Absicht Selbstjustiz als „Bürgerpflicht“ bezeichnet. Sondern vor allem jene in Sachsen, die täglich Tür an Tür mit den selbsternannten wahren Deutschen leben. BürgerInnen, WählerInnen, die sich nicht damit abfinden wollen, dass der Osten des Landes zum Aufmarschgebiet gewaltbereiter Demokratiefeinde wird.

In Katastrophengebiete sollten PolitikerInnen reisen und fragen, wie sie helfen können. Tun sie das nicht, kommen andere

Man darf und man soll fragen, was angemessen ist. Muss Angela Merkel neuerdings zu jeder Kirmeskeilerei eilen, deren die Polizei nicht Herr wird? Nein. Aber zahlreiche Kommunen, ganze Regionen in Ostdeutschland drohen gerade zu einem Katastrophengebiet der Demokratie zu verkommen. Und in Katastrophengebiete sollten PolitikerInnen reisen und fragen, wie sie helfen können. Tun sie das nicht, kommen andere.

Im Jahr 2019 werden in den Bundesländern Sachsen, Thüringen und Brandenburg neue Landtage gewählt. Wem die BürgerInnen zutrauen, ihre Geschicke zu lenken, das entscheidet sich schon jetzt, Tag für Tag.

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1965, ist taz-Parlamentsredakteurin. Sie berichtet vor allem über die Unionsparteien und die Bundeskanzlerin.

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