Kolumne Flimmern und Rauschen: Rechts – Links – Mitte – Hä?
In vielen Medien heißt es, in Chemnitz hätten sich „Rechte“ und „Linke“ gegenübergestanden. Das ist nicht nur falsch, sondern brandgefährlich
Für die Zeit war es „Der Abend, an dem der Rechtsstaat aufgab“ – Chemnitz am zweiten Abend nach der tödlichen Messerstecherei beim Stadtfest. Wieder hatten vor allem die Rechten mobilisiert, wieder war die Polizei offenbar in ihrer Einschätzung der Lage viel zu optimistisch – und lag damit gründlich schief.
Wenn parallel dazu die Gewerkschaft der Polizei ganz offen vor „Selbstjustiz“ warnt und Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer mit staatsmännischer Miene bei der Pressekonferenz verkündet, die Polizei „müsse jetzt klarmachen, dass der Staat das Gewaltmonopol hat“, könnte die Sorge um den Rechtsstaat durchaus berechtigt sein.
Auch ganz praktisch ist es kein eines demokratischen, aufgeklärten Rechtsstaats würdiger Zustand, dass JournalistInnen und Medienteams nur noch mit Schutzkleidung, Helmen und/oder von privaten Sicherheitskräften begleitet ihre Arbeit machen können. Es wird aber mittlerweile schleichend zur Normalität.
Denn selbst wo es nicht wie unlängst in Dresden noch zusätzlich wegen merkwürdiger Auffassungen über die Rolle der Polizei, unabhängige Berichterstattung zu unterstützen und zu ermöglichen, zu absurden Zuständen kommt – also selbst da, wo die Polizei klare Kannte zeigt und ihren Job macht, reicht es nicht mehr.
Zwei Erkenntnisse
Das ist die eine mehr als bedenkliche Erkenntnis der letzten Tage (die, wenn man ehrlich ist, eigentlich auch schon mindestens zwei Jahre auf dem Buckel hat, seit bei den großen Pegida-Demos massiv MedienvertreterInnen behindert und bedroht wurden).
Die zweite Beobachtung ist ganz anders gelagert und betrifft wiederum viele MedienvertreterInnen selbst: In vielen Berichten über Chemnitz geht es plötzlich wieder um eine Auseinandersetzung von „Rechten“ und „Linken“. Und dies erinnert fatal an das, was – längst nicht nur im Osten Deutschlands – schon früher der gern bemühte Abwehrreflex einer saturierten Gesellschaft auf diesen lästigen Demonstrierpöbel war: Da sind die „Rechten“ und „Linken“, gern mit dem Zusatz „Chaoten“ versehen (interessanterweise in Chemnitz auch wieder mit Schwerpunkt links), mit denen die anständige Mitte nichts zu tun hat beziehungsweise haben will.
Doch in Chemnitz war gerade auf der Seite der Rechten jede Menge dieser Mitte mit unterwegs. Und der Protest dagegen ist nicht (nur) Sache der Linken, sondern der gesamten Zivilgesellschaft – übrigens ausdrücklich inklusive der klassischen, auf die Erhaltung und Bewahrung des Rechtsstaats zielenden konservativen Kräfte.
Wenn in der medialen Berichterstattung in solchen Zusammenhängen simplizistisch von „Rechten“ und „Linken“ die Rede ist, ist das keine Zuspitzung mehr, sondern schlicht falsch. Und in einem Land wie Sachsen, in dem – wie auch in Thüringen und Sachsen-Anhalt – nach einer aktuellen Umfrage von infratest dimap die AfD zweitstärkste politische Partei ist, ist so eine Darstellung brandgefährlich.
Leser*innenkommentare
Arne Babenhauserheide
Der "Große Teil" mit geschlossenem rechten Weltbild sind etwa 5% der Gesellschaft: www.tagesspiegel.d...imat/13732582.html
Das bedeutet dann allerdings: "Befürwortung einer rechtsautoritären Diktatur, Chauvinismus, Ausländerfeindlichkeit, Antisemitismus, Sozialdarwinismus und Verharmlosung des Nationalsozialismus."
Wobei auch das nicht zu verharmlosen ist: 5% bedeutet, dass es in Deutschland 4 Millionen Leute mit geschlossenem rechten Weltbild gibt.
Rolf B.
Wenn es wirklich viele "normale Bürger" gewesen sind, die sich in Chemnitz auf der Seite der rechten Demonstranten und der Nazis eingereiht haben und nicht auf die Seite der Gegendemonstranten, dann sind m.E. viele Fragen offen.
In einer relativ kurzen Nachkriegsepisode stand sogar das Bürgertum einmal nicht überwiegend den Rechten näher.
Es gab durchaus auch aus dem Bürgertum Sympathien für die 68er Bewegung und deren Ideen. Die Wahl Willy Brandts wäre anders nicht zu erklären.
Wie gesagt war das eine kurze Episode. Heute denkt das Bürgertum weitestgehend konservativ und die Parteien bedienen diesen Trend mehr oder weniger gut. Der Begriff der Mitte erleichtert konservatives Denken, das sich selbst oft als linksliberale Mitte veortet.
Je mehr die Gesellschaft nach rechts rückt im Zuge einer knallharten neoliberalen Ausrichtung, desto weiter rücken auch die rechten Ränder nach rechts. Nicht nur die AfD ist neoliberal ausgerichtet.
Vielleicht hätten sich die "normalen Bürger" in Chemnitz einer glaubwürdigen Linken lieber angeschlossen?
Philippe Ressing
Putzig, die Mehrheit der Medienberichte entdeckt jetzt, dass rechtes Denken massiv in der Mitte der Gesellschaft auftritt. Dabei ist allen seit Jahren klar, dass es nicht um einen 'rechten Rand' in Deutschland geht. Seit Jahrzehnten liefern Studien Anhaltspunkte, dass ein großer Teil der Gesellschaft ein mehr oder weniger geschlossenes rechtes Weltbild hat. Wohlgemerkt schon zu BRD-Zeiten und weit vor der Ankunft auch nur eines Flüchtlingsbootes.... Aber anstatt sich damit zu beschäftigen, käuten unsere Journalisten brav das Weimar-Klischee wider: Die Republik sei von Rechts und Links zerstört worden. Dabei saßen die Antidemokraten tief im Staatsapparat, erst sie ermöglichten die 'Machtergreifung' der Nazis 1933.