Kommentar Proteste in Frankreich: Macron, hör die Signale!
Die Franzosen erhofften sich viel von Macron und wurden enttäuscht. Der Präsident nahm die gewaltsame Eskalation mutwillig in Kauf.
N ichts kann die mutwillige Gewalt und schweren Verwüstungen im Namen einer Volksbewegung, die nach ihren gelben Westen benannt ist, rechtfertigen. Dennoch ist die Wut der Menschen in ganz Frankreich ebenso legitim wie verständlich. Im Grunde ist es erstaunlich, dass sie so lange stillgehalten haben, denn schon lange fühlen sich viele von der snobistischen Elite in ihrem Pariser Elfenbeinturm schlicht nicht gehört und nicht gesehen.
Seit Jahren war bekannt, dass erhebliche Teile der Bevölkerung nicht mehr teilhaben an Wohlstand und Globalisierung; die Opfer des unaufhaltsamen Niedergangs der französischen Industrie, die Bewohner in den Außenquartieren der Banlieue, die Jungen, die trotz Diplomen kein berufliches Auskommen finden, und dann vor allem jene in den ländlichen Regionen.
Sie machen in der Summe die Mehrheit der französischen Bevölkerung aus. Manche von ihnen hatten sich von Macron enorm viel erhofft und sind nun erst recht wütend – auch über sich, weil sie ihm geglaubt und ihn gewählt hatten.
Diese seit Langem angestaute Wut einfach zu ignorieren, wie dies die Staatsspitze tut, zeugt entweder von Dilettantismus oder aber gefährlicher Arroganz. Macron hat sich jedenfalls geirrt, wenn er dachte, er könne die Klagen der Zukurzgekommenen aussitzen wie einen Bahnstreik.
Macron liebt eigentlich die verbale Konfrontation
Er hat damit die jetzige Eskalation mutwillig in Kauf genommen und sich und seine Machtposition aufs Spiel gesetzt. Macron hat bei seiner Wahl davon profitiert, dass die traditionellen Parteien jede Glaubwürdigkeit verloren hatten. Er hat selber mit seiner personalisierten Machtausübung dazu beigetragen, dass die repräsentativen Organisationen und Institutionen weiter an Einfluss eingebüßt haben.
Macron, so heißt es, liebt die Politik „mano a mano“ – die verbale Konfrontation mit Kritikern. Jetzt steht er aber seinem Volk gegenüber – den „widerspenstigen Galliern“, wie er unlängst spottete.
Das hat den Konflikt in eine vorrevolutionäre Krise verwandelt. In den Reihen der Demonstranten, aber auch unter den über das Chaos in Paris entsetzten Bourgeois stellt man schon Vergleiche mit dem Sturm der Bastille 1789 oder dem Mai ’68 an.
Wie soll das enden? Mit einer wirklichen Revolution und der symbolischen „Guillotine“ einer Kapitulation oder eines Rücktritts des Präsidenten? Grund zu langer Schadenfreude hätten die wenigsten. Dass sich ausgerechnet der einzige Staatschef, der sich voller Zuversicht für die politische Zukunft Europas engagieren wollte, in der Innenpolitik in dieser Art diskreditiert, ist kaum Grund zu viel Optimismus.
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