Kommentar Landtagswahl in MV: Entwarnung sieht anders aus
Für eine Große Koalition sollte es in Schwerin reichen. Doch es muss für mehr Toleranz gekämpft werden – auch AfD-Wählern gegenüber.
D ie Versuchung ist groß, nach der Wahl vom Sonntag ein ganzes Bundesland in die rechtsextreme Schublade zu packen. Das wäre falsch. Es ist nicht das ganze Bundesland. Es sind, unabhängig von Flüchtlingen, Terroranschlägen oder wirtschaftlicher Lage, rund zehn Prozent. Dieser braune Bodensatz ist seit vielen Jahren bereit, menschenverachtende, rassistische Parteien zu wählen, ganz gleich, ob sie im Gewand der NPD oder AfD daherkommen. Wenn nun also die Rede davon ist, den Menschen zuzuhören, die die AfD so stark gemacht haben, dann kann es nicht um diese rund zehn Prozent gehen, die über ein in vielen Jahren gefestigtes rechtsextremes Weltbild verfügen.
So entschieden, wie es gilt, die Grenze nach ganz rechts zu ziehen, muss aber der Diskurs mit den anderen 10 Prozent der Wähler stattfinden – jenen, die am Sonntag erstmals AfD gewählt haben, weil sie den Eindruck haben, in diesem Land stimme etwas nicht. Denn auch, wenn es wieder zur Großen Koalition reichen sollte: Entwarnung sieht anders aus. In Mecklenburg-Vorpommern hat ein Countdown bis zur Bundestagswahl begonnen. Es gilt, darum zu ringen, dass unsere Gesellschaft eine offene bleibt.
Dazu gehört die klare Abgrenzung zu rechtsextremen Positionen, zu Rassismus und Homophobie. Diese Offenheit heißt zudem mindestens, dass in einem modernen Land unterschiedliche Kulturen in einer Toleranzgesellschaft neben und miteinander leben können. Nicht jedem fällt es leicht, islamische Verhüllungstraditionen zu akzeptieren, die Präsenz von diversen Religionen oder auch gewissen Formen des Feinripps als Ausdruck soziokultureller Herkunft. Aber tolerieren, das muss schon sein. Das Werben um diese Toleranz ist die dringendste Aufgabe in den kommenden Monaten, und es muss lauter und leidenschaftlicher sein als die Melodie des Hasses.
In Mecklenburg-Vorpommern beklagen viele Menschen, die nun AfD gewählt haben, man habe sie vergessen. Das Geld ginge immer nur zu anderen, Straßen bröckelten, die Jugend sei ohne Perspektive. Es ist die Aufgabe von Politik, die Lebensbedingungen der Menschen zu verbessern. Die Aufmerksamkeit für Probleme vor Ort, das Lösen von Konflikten im Kleinen, das ist neben dem Werben um Toleranz jetzt dringend nötig.
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Die parlamentarische Politik ist dazu allein nicht in der Lage. Es sind Bürgerinitiativen, Kulturzentren und Antifa-Schülergruppen, kurz: die Engagierten, die einen verdammt wichtigen Anteil daran tragen. Die zweite, überragende Lehre von Sonntag ist deshalb diese: Die Frage, wohin dieses Land steuert, ist zu groß, um sie zu delegieren.
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