Kommentar Grüner Heimatbegriff: „Wir“ und „die“
Die großen Parteien versuchen, nationalistische Vokabeln positiv umzudeuten. Dabei hat der Begriff „Heimat“ nichts in der Politik zu suchen.
S chon der Wahlkampf war von Themen und Tonfall der AfD bestimmt, und deren Einzug in den Bundestag hat die Fieberkurve des politischen Diskurses weiter nach oben getrieben. Alle Parteien sehen die Lösung darin, nationalistisches Vokabular zu übernehmen oder positiv umzudeuten. Nicht einmal die Grünen können da widerstehen und haben den Begriff der „Heimat“ für sich entdeckt.
Auf den ersten Blick mag das harmlos erscheinen, ist das Wort doch für viele Menschen positiv belegt. Heimat ist für sie ein Ort, den sie seit ihrer Kindheit kennen, der mit ihrer Biografie so untrennbar und vielschichtig verbunden ist, dass er wie ein Teil von ihnen ist und sie wie ein Teil von ihm. Ein Ort, an dem sie sich sicher fühlen, weil sie so selbstverständlich dorthin gehören, dass niemand ihre Zugehörigkeit infrage stellen kann. Ein Ort, der sie überallhin begleitet, zu dem sie jederzeit zurückkehren können.
Andere hatten nie einen solchen Ort, oder sie haben ihn nicht mehr, weil sie ihn für immer verlassen mussten oder weil er nicht mehr existiert. Für diese Menschen ist das Beste, auf das sie hoffen können, ein Zuhause.
Wird Heimat zu einem politischen Begriff, wird es gefährlich, denn dann wird Heimat etwas, das durch die bedroht ist, die ein Zuhause suchen. Wenn der politische Heimatbegriff von einem konkreten Ort auf ein ganzes Land ausgedehnt wird, entsteht eine Nation, deren Mitgliedschaft durch Abstammung bestimmt ist. Die für niemanden ein Zuhause sein kann, für den sie nicht Heimat ist und die für niemanden Heimat werden kann, für den sie es nicht schon immer war.
ist Professor für die Struktur des heutigen Englisch an der FU Berlin. Er bloggt über Sprache auf www.sprachlog.de.
Wer Heimat zu einem politischen Begriff macht, teilt die Bevölkerung eines Landes auf in die, die dazugehören, und die, die im besten Fall Gäste und im schlimmsten Fall Feinde, aber auf jeden Fall Fremde sind.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Studie Paritätischer Wohlfahrtsverband
Wohnst du noch oder verarmst du schon?
Bis 1,30 Euro pro Kilowattstunde
Dunkelflaute lässt Strompreis explodieren
Leben ohne Smartphone und Computer
Recht auf analoge Teilhabe
Armut in Deutschland
Wohnen wird zum Luxus
Ansage der Außenministerin an Verbündete
Bravo, Baerbock!