Berliner Wochenkommentar I: Wieder eine Sau durchs Dorf
Bernd Schmidt, der Intendant des Friedrichstadt-Palasts, mag keine AfD-Wähler unter seinen Besuchern.
Man hat’s nicht leicht als Theatermann oder -frau: Egal ob man Boulevard macht, den Faust oder Tanzshows – heutzutage soll alles immer irgendwie politisch sein, ein Kommentar zur zerstörerischen Kraft des Spätkapitalismus, zum Rechtsruck oder wenigstens zur Flüchtlingssituation. Man hat’s andererseits auch wieder leicht, denn wenn man irgendwas mit „AfD“ sagt, kriegt man auf jeden Fall viel Presse.
So hat sich Bernd Schmidt, der Intendant des Friedrichstadt-Palasts, im Balanceakt zwischen politischem Engagement und Aufmerksamkeitsheischerei versucht. Und ist abgestürzt. Wie am Mittwoch bekannt wurde, hat Schmidt in einem Brief an seine Mitarbeiter verkündet, keine AfD-Wähler unter seinen Besuchern haben zu wollen, auch wenn er dann auf „20 oder 25 Prozent unserer potenziellen Kunden im Osten“ verzichten müsse. Schmidt wörtlich: „Ich will all deren Geld nicht.“
Das klingt erst mal ehrenwert. Immerhin würde sich die Showbude angesichts ihrer Klientel aus (gerne sächsischen) Rentnern sehenden Auges ins eigene Fleisch schneiden. Denn man darf wohl bezweifeln – und das wird Schmidt auch nicht tun (oder doch?) –, dass aufgrund dieser Aktion künftig das linksliberale Bildungsbürgertum dem Palast die Bude einrennt.
Berliner AfD-Chef reagiert beleidigt
Die Reaktion der Rechten kam prompt: Beleidigt riet der Berliner AfD-Chef seinen Anhängern, das Theater künftig zu meiden; er stellte sogar die staatliche Förderung für das Haus infrage. So weit wird es nicht kommen, schließlich sind die Mehrheitsverhältnisse in Berlin Gott sei Dank andere als in Sachsen.
Dennoch muss die Frage erlaubt sein: Wie stellt Bernd Schmidt sich das vor? Stellt er künftig neben die Kartenabreißer einen Gesinnungspolizisten, der jeden Besucher auf Herz und Meinung prüft? Werden „Glatzen“ nicht mehr eingelassen oder Männer in schlechten Anzügen? Was ist mit lila ondulierten Omis oder jungen Frauen mit Arschgeweih?
Vielleicht sollte Herr Schmidt die Sache anders herum angehen: Wie wäre es mit einer Revue-Nummer, in der die Girls mit den langen Beinen einen Nazi in die Tonne treten?
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um Bezahlkarte
Hundegulasch und Auslandsüberweisungen
„Wrapped“-Marketingkampagne von Spotify
Nicht einwickeln lassen!
Privatjet auf Sylt besprüht
Haftstrafen für Letzte Generation – ohne Bewährung
Nach Recherchen zum Klaasohm-Fest
Ab jetzt Party ohne Prügel
Freihandelsabkommen Mercosur
Gegen die Isolation
Verkauf von E-Autos
Die Antriebswende braucht mehr Schwung