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Kollektive ArbeitSozialismus ohne Klassenkampf

Auf dem Wohnungsmarkt, in der Landwirtschaft, im Netz: überall Kollektive. Wie daran gearbeitet wird, den Kapitalismus zu überwinden.

Markus Poland (links) und Juliette Lahaine (rechts) gründeten eine Solidarische Landwirtschaft Foto: Frank Hormann/Nordlicht

Berlin/Klein Trebbow taz | Ein Innenhof, umsäumt von Backsteinbauten. Man hört Vogelgezwitscher, der Lärm Berlins scheint hier verbannt, dabei donnert die U-Bahn, oberirdisch, nur ein paar Meter entfernt die Schönhauser Allee entlang. Die Bremer Höhe, ein historisches Gebäudeensemble im Bezirk Prenzlauer Berg, ist das, wovon viele Großstädter träumen: sanierter Altbau, idyllisch und doch zentral. Und bezahlbar. Die Kaltmiete pro Quadratmeter liegt unter 6 Euro.

Ulf Heitmann blickt aus seinem Bürofenster in den Innenhof und sagt: „All das würde heute längst einem Immobilienkonzern gehören.“

Heitmann, ein nüchterner Jurist, und ein paar MitstreiterInnen bekamen 1999 Wind davon, dass Berlin den Gebäudekomplex mit ein paar Hundert Wohnungen verkaufen wollte. Sie gründeten eine Genossenschaft und kauften die Bremer Höhe. Hätte damals die Deutsche Wohnen oder ein anderer Konzern zugegriffen – die Wohnungen wären wohl längst Eigentum von Gutverdienern, oder die Mieter müssten ein Vielfaches zahlen.

Im Zentrum der Hauptstadt zu wohnen, zumal in angesagten Vierteln wie Kreuzberg oder Prenzlauer Berg, ist für die Mittelschicht, für LehrerInnen, Angestellte oder Krankenpfleger, kaum mehr möglich. In manchen Quartieren in Berlin-Mitte geben Mieter 48 Prozent ihres Einkommens fürs Wohnen aus. Die soziale Mischung verschwindet. Wer wenig Geld hat, wird an die Peripherie verdrängt.

Wochenendkasten 27./28. Juli 2019

Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk, im praktischen Wochenendabo und rund um die Uhr bei Facebook und Twitter.

Wer in der Bremer Höhe leben will, braucht einen Wohnberechtigungsschein, das heißt, er muss ein geringes Einkommen nachweisen können. Wie lange müsste eine Familie mit zwei Kindern heute warten, um hier eine Wohnung zu bekommen? Heitmann schüttelt den Kopf. „Es wird mal eine Einraumwohnung im Erdgeschoss frei. Ansonsten keine Chance.“

12 Prozent der Wohnungen in Berlin sind genossenschaftlich, zusammen mit den kommunalen Gesellschaften ist ein knappes Drittel der Eigentümer also nicht auf Rendite aus. Ohne Genossenschaften wäre der Wohnungsmarkt in der Hauptstadt noch irrer.

Das Vertrauen in die Marktwirtschaft schwindet

Die Preise sind explodiert, weil Berlin jedes Jahr um knapp 40.000 Menschen wächst: Mehr Nachfrage – die Marktlogik treibt die Mieten in die Höhe. Noch gravierender: Global ist, auch wegen der niedrigen Zinsen, extrem viel Kapital auf der Suche nach Anlagen. „Wir wirken als Mietpreisbremse“, sagt Heitmann. Manchmal, erzählt er, kommen Regierungsdelegationen aus Asien, Israel und Osteuropa in die Bremer Höhe und lassen sich erklären, wie die Genossenschaft funktioniert: ohne Profitstreben. „Minister aus Osteuropa halten Genossenschaften eher für ein Überbleibsel des Kommunismus.“

Das Thema Eigentum, vor 15 Jahren noch etwas für Altlinke, ist wieder aktuell. Rot-Rot-Grün hat in Berlin einen Mietenstopp für fünf Jahre angeordnet. Eine Basisinitiative will per Volksentscheid gleich alle großen Wohnungsbaugesellschaften enteignen.

Ist der Kapitalismus nicht in der Lage, das elementare Bedürfnis nach Wohnen zu befriedigen? Brauchen wir nicht ohnehin längst ein anderes Wirtschaftssystem?

Eine Allensbach-Umfrage vom Januar 2019 ergab, dass das Vertrauen in die Marktwirtschaft schwindet. Auch im Digitalen scheinen die Märkte nicht zu funktionieren: Datenkonzerne wie Google und Facebook sind faktisch konkurrenzlos. In der Landwirtschaft hinterlässt die Ideologie des Immer-mehr kaputte Böden und Tiere.

Ulf Heitman ist Mitgründer der Wohnungs­baugenossen­schaft Bremer Höhe in Berlin Foto: Dagmar Morath

Ulf Heitmann ist skeptisch, was Enteignung auf dem Wohnungsmarkt betrifft. Sie wäre zu teuer. Allein die Deutsche Wohnen zu entschädigen würde bis zu 36 Milliarden Euro kosten. Auch der generelle Mietenstopp überzeugt ihn nicht. Beim Treffen Mitte Juni liegen in seinem Büro ein paar Hundert Briefe – Mieterhöhungsbegehren, die er noch verschicken will, bevor der Mietenstopp gilt. Die Mieten in der Bremer Höhe sollen von 5,50 auf 5,65 Euro steigen – das Geld braucht die Genossenschaft, um die Gebäude in Schuss zu halten.

Der Erfolg des Mietenstopps, der für fünf Jahre gelten soll, wird auch davon abhängen, ob es Rot-Rot-Grün gelingt, Mieten einzufrieren, ohne Genossenschaften ungewollt in den Ruin zu treiben. Das zeigt, wie schwierig es ist, entfesselte Märkte wieder zu bändigen.

Ohne radikale Lösungen geht es nicht

Im Mai hat ein Interview des Juso-Chefs Kevin Kühnert für Aufregung gesorgt. Einige Jahre zuvor wäre Kühnerts Idee, BMW zu verstaatlichen, wohl kaum wahrgenommen worden. Doch seit die Mieten in den Metropolen explodieren, ist auch die Mittelschicht empfänglich für radikalere Ideen.

„Die Debatte über Alternativen zum Kapitalismus wäre ohnehin gekommen“, sagt Annika Klose in einem Café im Berliner Wedding. Auf dem T-Shirt der Berliner Juso-Chefin steht „A strong woman never gives up“.

Klose spricht durchdacht, präzise. Die höhnische Kritik von FDP, CSU und auch Sozialdemokraten wie Peer Steinbrück kümmert sie nicht. „Es ist nicht die Aufgabe einer linken Partei, Konservativen und Marktliberalen zu gefallen“, sagt sie. Klar müsse man begreifen, dass es „negative Erfahrungen mit den Alternativkonzepten zum Kapitalismus“ gibt. Aber mit dem gescheiterten autoritären Sozialismus à la DDR habe man nichts gemein.

Klose glaubt: Unangenehme Wahrheiten hörten die Menschen immer noch lieber als die Lüge, dass alles in Ordnung sei. Und eine unangenehme Wahrheit laute eben: Ohne radikale Lösungen geht es nicht.

Klose findet, dass Genossenschaften „Freiräume im Kapitalismus“ schaffen. Aber auch, dass das nicht reicht. Die Jusos arbeiten deshalb an dem „Projekt Sozialismus“, sie suchen nach Ideen, die über die kapitalistische Logik hinausweisen, und erkunden, das ist der Anspruch, wie der demokratische Sozialismus 2019 aussehen könnte.

„Unser Ansatzpunkt ist die Demokratisierung aller Lebensbereiche, allen voran der Wirtschaft“, sagt Klose. Und: „Wir als Gesellschaft sollten demokratisch entscheiden dürfen, wie wir unsere ökologischen Ressourcen einsetzen.“

Annika Klose, Juso-Vorsitzende in Berlin Foto: Wolfgang Borrs

Die Jusos wollen den Kapitalismus überwinden. Ein Hirngespinst? Sollte Kevin Kühnert als SPD-Vorsitzender kandidieren, bekäme das Projekt einen ganz neuen Stellenwert. „Kevin steht voll dahinter“, sagt Klose.

Funktionieren Kollektive in allen Branchen?

Nicht nur innerhalb der Parteien, überall in der Gesellschaft stellt man sich alte Fragen: Wie viel Kollektiv brauchen wir? Wie funktioniert Gemeinsinn in einer individualisierten Gesellschaft? Eine neue Frage kommt hinzu: Bietet die digitale Revolution die Chance, den Kapitalismus durch eine gerechtere Wirtschaftsform zu ersetzen?

Der Soziologe Heinz Bude sagt: „Viele 20- bis 40-Jährigen haben erkannt, dass der Neoliberalismus eine existenzielle Lüge ist.“ Weil er die Illusion schüre, dass der Einzelne allein am stärksten sei. Bude hat kürzlich einen Essay über Solidarität verfasst und meist ein feines Gespür für politische Wetterwechsel. Was, glaubt er, kommt nun?

Wer wenig Geld hat, wird an die Peripherie verdrängt

„Die vergessene Solidarität kehrt als Monster in Form des Rechtspopulismus wieder. Die Idee, eine Schutzgemeinschaft zu bilden und füreinander einzustehen, wird von rechts besser gespielt als von links. Gegen dieses perverse Auftauchen der Solidarität braucht die Linke einen existenziellen anspruchsvollen Begriff von Solidarität.“

Bude glaubt auch: „Es gibt bei den Millennials die Fähigkeit, den Sozialismus zu denken.“ Allerdings einen, der nicht viel mit dem Klassenkampf früherer Zeiten zu tun hat. „Die kompakte Arbeitnehmergesellschaft der Nachkriegszeit hat einer Gesellschaft der empfindsamen Selbstverwirklicher Platz gemacht, die nur noch sehr lose miteinander verbunden sind. Deshalb ist Solidarität nur durch das Nadelöhr des Ichs zu gewinnen.“ Zum Beispiel mit Genossenschaften – dem freiwilligen Zusammenschluss von Einzelnen zum Kollektiv.

Tatsächlich sind Genossenschaften durchaus kraftvolle Alternativen zum – oder genauer im Kapitalismus. Der Bankensektor ist zu einem Drittel in den Händen von Genossenschaften. Sparkassen und Raiffeisenbanken und die Dachorganisation DZ-Bank haben die Finanzcrashs besser überstanden als die private Konkurrenz. Zudem existieren in Deutschland 2 Millionen Genossenschaftswohnungen. Die taz ist eine Genossenschaft. Warum gibt es dieses Modell nicht in allen Branchen?

Sven Giegold, früher Attac-Sprecher und seit Langem grüner EU-Abgeordneter, sagt: „Genossenschaften sind weniger innovativ.“ In Genossenschaften gibt es keine Unternehmer und Arbeitnehmer, keine strikte Trennung von Kapital und Arbeit. Daher schlage das Bedürfnis der Arbeitenden nach Stabilität stärker durch – und das bremse das Gewinnstreben.

Zweifel an den Grundlagen: Eigentum und Markt

Genossenschaften seien deshalb in der Geschichte „in Branchen mit hohem Innovationsbedarf fast immer von der Konkurrenz vom Markt verdrängt worden“. Ausnahmen bestätigen die Regel: Zu der spanischen Megagenossenschaft Mondragón Corporación Cooperativa, bei der 75.000 Beschäftigte arbeiten, gehören auch Maschinenbau und Automobilindustrie.

Auf dem Wohnungsmarkt könne man „genossenschaftlich effektiv wirtschaften“, sagt Giegold, weil in der Branche eben nur eine große Innovation – der Bau – anfalle. Sein Fazit: „Wenn BMW und die anderen Autokonzerne Genossenschaften wären, würden die Elektroautos der Zukunft nicht in Deutschland produziert. Privatkapitalistische Unternehmen, die um die beste Innovation ringen, plus staatliche Rahmensetzung sind das stärkere Modell.“

Vielen denken radikaler und stellen die Grundlagen des Kapitalismus infrage: Eigentum und Markt.

Fast zwei Stunden braucht man für die 100 Kilometer von Berlin nach Klein Trebbow. Der Weg führt durch Dörfer, in denen Tempolimit 30 gilt. Oft fährt man hinter Traktoren. Dann ist da ein See, hingetupft wie ein blaugrauer Fleck auf einem grünen Gemälde. Juliette Lahaine hat hier mit Markus Poland vor anderthalb Jahren eine Solidarische Landwirtschaft gegründet.

Poland hat konventionelle Landwirtschaft studiert und den kleinen Betrieb seines Vaters ausgebaut. Er hielt Rinder, Schweine, Schafe und Hühner, pachtete Land, produzierte Milch, Fleisch, Käse. Und stand dann vor der Entscheidung, vor der so viele Bauern irgendwann stehen: „Ich hätte mich spezialisieren müssen, um am Markt zu bestehen“, sagt er. „Die Vielfalt, die ich an meinem Beruf liebe, hätte ich damit verloren.“ Juliette Lahaine arbeitete anfangs als konventionelle Obstgärtnerin. „Ich habe viel gesehen, was nicht gut ist“, sagt sie und streicht sich mit etwas schmutzigen Händen die Haare aus dem Gesicht. „Viele Menschen haben den Bezug zur Natur verloren. Sie konsumieren Lebensmittel, ohne irgendetwas davon zu verstehen.“

Einmal die Woche ist Verteiltag

Poland lächelt, als hätte er gewusst, dass sie das sagen würde, und fügt hinzu: „Ich wollte nicht so ein Hippie-Ding, das ich mir unter Solidarischer Landwirtschaft vorgestellt habe.“ Manche hätten ihm abgeraten, weil sie glaubten, der Hof würde ohne einen Chef nicht laufen. Poland aber, mit einem guten Ruf und vielen Beziehungen im Dorf, hörte auf Lahaine. Heute sind beide gleichberechtigte Geschäftsführer des Vereins, mit dem sie ihre Solidarische Landwirtschaft betreiben.

Das Prinzip: Ein Ökosystem ernährt die umliegende Gemeinschaft. Bei ihnen umfasst sie 30 Kilometer. Poland und Lahaine wirtschaften in drei Zweigen: Fleisch, Molkerei und Gartenbau. Mitglieder sind mindestens ein Jahr dabei, sie zahlen einen monatlichen Beitrag und erhalten dafür einen Ernteanteil. Die „Mitbauern“, wie sie hier genannt werden, können auf dem Hof helfen und mitentscheiden, was der Verein macht. Einmal pro Woche ist Verteiltag, an dem sie ihre Ernte abholen. Das Produktionsrisiko tragen alle gemeinsam. Überschüsse gehen an Restaurants in der Umgebung.

Antikapitalistische Schweine in Klein Trebbow Foto: Frank Hormann/Nordlicht

Auf dem Weg zu den Freilandschweinen sagt Markus Poland: „Ich will, dass die Menschen ihr Essen von Anfang bis Ende in der Hand haben. Nichts wird besser, wenn es erst durch Deutschland oder halb Europa transportiert wird.“

Poland und Lahaine glauben, dass die Umwelt in kleinen Ökosystemen funktioniert, die das große Ganze stabilisieren. Regionale Kreisläufe müssten also gefördert werden, Lebensmittel gehören nicht an die Börse. Kleine und mittelständische Unternehmen oder eben Kooperativen, die ihr Umfeld versorgen und nichts mit dem Weltmarkt zu tun haben – so stellen sie sich Landwirtschaft vor.

Das Grundstück für den Ausbau des Hofs haben sie von der Kulturlandgenossenschaft bekommen. Die kauft Land aus privatwirtschaftlicher und oft spekulativer Nutzung und bringt es an Menschen, die ökologische Landwirtschaft betreiben wollen. Die Solidarische Landwirtschaft Klein Trebbow muss 360.000 Euro über Genossenschaftsanteile anwerben, noch fehlen 90.000. Trotzdem hat sie die 30 Hektar Land schon bekommen.

Kann, was in Klein Trebbow funktioniert, auch global funktionieren? Ist Biolandwirtschaft produktiv genug, um die Menschheit zu ernähren?

Homo oeconomicus oder Homo cooperativius

Eine 2017 unter anderem von der Welternährungsorganisation erstellte Studie ergab: Das kann funktionieren. Ökologische Landwirtschaft wäre 2050 durchaus in der Lage, mehr als 9 Milliarden Menschen zu ernähren. Vorausgesetzt, der Fleischkonsum würde sinken und die Flächen, die jetzt von Tieren genutzt werden, stünden frei.

Die vergessene Solidarität kehrt als Monster wieder

Heinz Bude

„Damit die Menschen anfangen, etwas zu verändern, müssen sie Alternativen kennenlernen“, sagt Juliette Lahaine. Alternativen wie die Solidarische Landwirtschaft.

Der Überbegriff für solche Modelle sind die sogenannten Commons. Im Deutschen gibt es keine korrekte Übersetzung, „Gemeingut“ oder „Allmende“ trift es nicht. Der Grundgedanke: Man entzieht dem Markt Boden, Arbeit, Wissen, aber auch weitere Ressourcen und schafft so ein Wirtschaften, bei dem es nicht nur um Wachstum und Effizienz geht.

In der Welt der Commons handelt nicht der Homo oeconomicus als individueller Nutzenmaximierer, sondern der Homo cooperativius, der Mensch als soziales Beziehungswesen.

Noch befinden sich die Commons im toten Winkel der öffentlichen Wahrnehmung. Wohl weil dieses Wirtschaften sehr kleinteilig und anspruchsvoll sein kann. Und weil das Konzept nicht in plakative Formeln passt. Es darf nicht mit der Sharing-Ökonomie verwechselt werden, die zwar von der Idee des Teilens inspiriert ist, aber, zumindest wenn sie kapitalistisch organisiert ist, das Gegenteil der Commons ist: Alles wird zur Ware, so wie die eigene Wohnung bei Airbnb – ein Triumph des Homo oeconomicus.

Die Grundidee der Commons ist sehr alt – und in harter Realität erprobt. Das haben die Arbeiten der Politikwissenschaftlerin Elinor Ostrom gezeigt, die 2009 als erste Frau den Nobelpreis in Wirtschaftswissenschaften erhielt.

Picknick-Ökonomie

Ostrom analysierte weltweit mehr als 1.000 Beispiele gemeinschaftlicher Nutzung – in der Fischerei, bei der Bewässerung, in Wald- und Weidewirtschaft. Sie widerlegte das Vorurteil der Wirtschaftswissenschaften, dass Gemeingüter wegen der Neigung zur Übernutzung nichts taugen. Ihr Fazit: Weil die Menschen vor Ort selbst am besten wissen, was gut für sie ist, gibt es so viele funktionierende Beispiele. So existiert etwa die venezolanische Kooperative Cecosesola schon seit fast 50 Jahren – ein Netzwerk von etwa 60 Genossenschaften und Basisorganisationen mit 20.000 Mitgliedern. Sie versorgen sich und viele Großstadtbewohner*innen mit Lebensmitteln, betreiben ein Gesundheitszentrum, ein Beerdigungsinstitut und organisieren Kredite.

Schon bevor Ostrom den Nobelpreis erhielt, las die Publizistin Silke Helfrich Ostroms Schriften. Ein Foto, das Helfrichs Elternhaus zeigt, zeigt auch die Grenze zwischen BRD und DDR. Auf der DDR-Seite wuchs Helfrich auf, sie sagt: „Ich kannte immer nur die Gegensätze, Ideologie gewordene Systeme: Kapitalismus versus Sozialismus, Privateigentum versus Volkseigentum. Da muss es doch noch mehr geben, habe ich gedacht.“ Heute ist Helfrich die Commons-Theoretikerin Deutschlands, hat mehrere Bücher geschrieben und ist überzeugt: „Commons verändern uns.“ Wer selbst erfahren habe, „dass es eine Ökonomie gibt, in der nicht alles vom Geldbeutel oder der eigenen Leistungsfähigkeit abhängt“, gewinne Sicherheit.

Commons sind, global betrachtet, weder eine neue Hipster-Idee noch eine alte Hippie-Idee, sondern zentral für die Ernährung der Menschheit. Weltweit bewirtschaften bis zu 2,5 Milliarden Menschen rund 8 Milliarden Hektar Land in gemeinschaftlichen Strukturen – unabhängig von Monsanto und Nestlé. Taugen Commons auch für westliche Metropolen, für hoch arbeitsteilige und extrem produktive Gesellschaften? Oder sind sie dort, wie die Solidarische Landwirtschaft, doch nur Modellversuche, die in Nischen überlebensfähig sind?

Am Tempelhofer Ufer in Berlin-Kreuzberg führen helle Flure in das Büro von Abraham Taherivand. In einem langen Regal schmiegen sich dicke Bücher aneinander – die Encyclopædia Britannica: Die Vergangenheit des globalen Wissens schaut hier gewissermaßen in ihre eigene Zukunft. Taherivand ist Geschäftsführer von Wikimedia Deutschland, einem Verein, der die deutsche Schreibommunity von Wikipedia fördert.

Abraham Taherivand, Geschäftsführer von Wikimedia Deutschland Foto: Dagmar Morath

„Was die Prinzipien angeht, funktionieren wir als Commons“, sagt Taherivand. Denn Wikipedia lebt von dem kollaborativen Zusammentragen von recherchierten und überprüften Informationen, die für alle frei zugänglich sind. Auf Deutsch gibt es mehr als 2 Millionen Artikel.

Wissen wird, anders als eine Flasche Riesling oder ein Kuchen, bei Gebrauch nicht weniger. Je mehr Menschen sich an Wikipedia beteiligen, desto mehr Wissen entsteht, Fehler werden gefunden und korrigiert. Intern funktioniert Wikipedia nach einem einfachen Prinzip: Je aktiver man ist, desto mehr Rechte erhält man. Die Plattform ist, so der Anspruch, transparent. Wer will, kann exakt nachvollziehen, wie und von wem Texte geändert wurden. Dass es Konflikte gibt, gehört dazu. Commons-Expertin Silke Helfrich sagt: „Man darf sich die Commons-Welt nicht vorstellen wie ein Schlaraffenland, sondern wie ein Picknick, zu dem alle etwas beitragen.“

Kapitalismus in der Nische

Zehntausende schreiben und korrigieren Texte auf Wikipedia, ohne damit Geld oder symbolisches Kapital zu verdienen. Es steht noch nicht mal der Name des Autors über dem Text. Das Geben selbst ist der Lohn. Für den EU-Grünen Sven Giegold beweist Wikipedia deshalb die intellektuelle Beschränktheit des Neoliberalismus. Denn der könne schlicht nicht erklären, „warum Menschen etwas tun, wofür sie kein Geld bekommen, obwohl sie dies könnten“. .Als profitorientiertes Unternehmen hätte Wikipedia Schätzungen zufolge einen Jahresumsatz von 3 Milliarden Euro.

Giegold sieht auch das pragmatisch. Man könne das Beispiel Wikipedia nicht verallgemeinern. Für die digitale Infrastruktur, ein schnelles, überall zugängliches Internet, braucht man extrem viel Geld. Das sei „nur mit staatlichen Großinvestitionen oder privatkapitalistischem Anreiz“ machbar. Ein Common wie Wikipedia könne „nie leisten“.

Wie ein Pick­nick, zu dem alle was beitragen

Silke Helfrich

Und doch beflügeln digitale Projekte wie Wikipedia den Traum, dass es mit dem Kapitalismus bald vorbei sein könnte. Auch weil sich digitales Wissen kostenlos reproduzieren lässt, sei es ein Popsong oder ein Betriebssystem. Wo das Angebot unendlich ist, fällt der Preis auf null. Der US- Wirtschaftswissenschaftler Jeremy Rifkin hat 2014 prognostiziert, dass die Zukunft deshalb den digitalen Commons gehören wird und der Kapitalismus nur in Nischen überlebt.

Denn das Internet funktioniert kapitalistisch, es hebelt Marktgesetze aber auch aus. So konkurrieren Konzerne wie Google, Amazon und Facebook nicht wie im Industriekapitalismus auf Märkten mit anderen Unternehmen – sie besitzen vielmehr Märkte. Alternativen zu Monopolen wären auch hier Genossenschaften.

In Datengenossenschaften, so die Idee, gehört die Plattform denen, die die Daten liefern – den Benutzern, uns allen. Ein Vorteil: Die Nutzer*innen können selbst kontrollieren, was mit ihren Daten passiert – und nicht bloß Häkchen bei den AGB machen.

Utopie und Dystopie sind sich ganz nah

Soziologe Heinz Bude sagt: „Der Kampf um die Daten ist die eigentliche Aufgabe eines renovierten Sozialismus.“ Es ist dringlicher, Datenmonopolisten zu entmachten als Wohnungskonzerne oder BMW.

Das neue Interesse an Kollektiven sei, so Bude, ein Lebenszeichen der Gesellschaft. „Wir sind in Deutschland gerade in einer bedrückenden endzeitlichen Stimmung. Alles geht den Bach runter, aber niemand macht etwas. So ist es nicht. Das zeigen die Commons, die Genossenschaften und das neue Denken der Solidarität.“

Wikimedia-Chef Taherivand sagt, Open Content, Open Data oder das freie Betriebssystem Linux seien Beispiele für ein anderes Wirtschaften. „Im Digitalen müssen einige Paradigmen aus dem Industriezeitalter einfach verschwinden.“ Selbst im Umgang mit Patenten ändern sich Grundprinzipien. „Jüngere Hersteller haben auch in der Autobranche längst den Schritt gewagt, ihre Patente zu veröffentlichen“, sagt Taherivand. Auch Elon Musk, Pionier für Elektroautos, hat das beim Tesla so gehandhabt. Geschadet hat es ihm nicht, zu einem antikapitalistisch wirtschaftenden Commoner hat es ihn allerdings auch nicht gemacht.

In der digitalen Ökonomie sind sich Utopie und Dystopie ganz nah: die Alternativen zum ewigen Profitstreben und eine von Konzernen regierte Überwachungsgesellschaft.

Common-Expertin Silke Helfrich sagt: „Wir können nicht zulassen, dass die produktivsten Mittel der Gegenwart, das Wissen und das Digitale, genauso in Besitz genommen werden wie früher Grund und Boden.“

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36 Kommentare

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  • Die Genossenschaft "Bremer Höhe" scheint mir ein guter Weg zu sein, größere Wohnungs- und Bauprojekt gemeinschaftlich durchzuführen und günstig zu unterhalten.

    Was die Genossenschaft "Bremer Höhe" nicht leistet, ist Solidarität für jene zu zeigen, die nicht über ein entsprechendes Vermögen verfügen,. Bereits für eine Mitgliedschaft in der Genossenschaft sind mindestens 5112 € notwendig.

    der ganze Artikel verliert auch kein Wort darüber, wie einkommensschwache Gruppen einbezogen werden. Gibt es da Sonderkonditionen. Wie hoch ist der Anteil H4er?

    Ein gutes günstiges Leben in Gemeinschaften ist noch kein Garant dafür, dass wirkliche Solidarität mit Armen gelebt wird.

    • @Rudolf Fissner:

      Die Genossenschaftsanteile werden von den Jobcentern als solche anerkannt. Zudem können die Genossenschaftsanteile auch von anderen (solidarisch) übernommen werden. Und was die Miethöhen angeht: Wo finden Sie niedrigere Mieten als solche in Berlin?



      Ich vermute stark, dass sie mit Menschen, die von ALG II leben oder aufstocken nicht allzu viel zu tun haben.

      Hier die aktuellen "angemessenen Kosten der Unterkunft" für Berlin:



      www.berlin.de/jobc...inal_flyer_kdu.pdf

      www.berlin.de/jobc...artikel.394407.php

      Da kommen Sie mit unter 6,00 EUR dicke mit rein.

      Sie können übrigens, um Ihre Solidarität mit "Armen" zu leben, in fast jeder Genossenschaft solidarische und/oder investierende Anteile (ohne Stimmrecht) zeichnen. Zudem ist es auch möglich private Kleindarlehen (niedrig oder nicht verzinst) zur Verfügung zu stellen.

      • @Hanne:

        Was Sie beschreiben bedeutet, dass der Staat einspringt als solidarischer Faktor. Und eben nicht die Genossenschaften .

        Und natürlich kann ich auch persönlich einspringen. Aber auch dass ist wieder kein Wunder inhärentes Merkmal der Genossenschaft.

        Solche Genossenschaften haben ganz kapitalistisch das Ziel den persönlichen Gewinn zu optimieren und so wenig Geld wie möglich an andere fließen z lassen.



        Dies und das Fehlen von institutioneller Solidarität mit Armen (also nicht den Staat bezahlen lassen) zeigen auf, dass solche Genossenschaften mit Sozialismus nur wenig zu tun haben.

        • @Rudolf Fissner:

          Na, das ist auch eine Sicht, wenn mir nicht ganz verständlich aggressive, abwehrende.

          Btw: Wo sollen diese genossenschaftlichen Institutionen das Geld zum solidarischen Verschenken denn her nehmen? Solidarisch können die Menschen je nach Kollektiv auch in Form einer Genossenschaft untereinander sein, aber nicht institutionell.

          Genossenschaften sind Zusammenschlüsse zum Nutzen ihrer Mitglieder. Meinen Sie das mit "persönlichem Gewinn"?

          • @Hanne:

            Ich wehre nicht den Genossenschaftsgedanken ab, ich stoße mich nur daran, diesen solidarisch hochzujubeln.

            Woher nehmen?

            Zum einen gibt es Konzepte wie einkommensabhängige Mieten, wo Vielverdiener Wenigverdiener mittragen. Das kann es institutionell verankert werden.

            Zum anderen verdient man in den Großstädten locker mal 10.00 Euronen mehr als in Mecklenburg-Vorpommern. Bei Mieten wie in Mecklenburg-Vorpommern ist da ein spürbarer Gap, den man mal realisieren sollte.

            • @Rudolf Fissner:

              Vielverdiener wohnen in D selten in Genossenschaften, sondern haben aus diversen Gründen Wohneigentum.

              Und was nutzt einer Berliner Genossenschaft das Einkommen von Mietern in MeckPomm bzw. umgekehrt?

              Mal abgesehen, dass in Großstädten mitnichten alle mehr verdienen als anderswo. Krankenpfleger, Hausmeister, Lehrer und Erzieher bekommen in der Stadt mehr Geld?!

              Meine Vermutung stärkt sich immer mehr, dass Sie nicht wirklich wissen, wovon Sie sprechen, wenn Sie von Einkommen und Vermögen anderer schreiben. Meist sind das Menschen, die selbst aktuell oder vor 20 Jahren ein gutes Auskommen und heute Rente haben, aber keine Ahnung vom Arbeitsmarkt seit 2005.

              • @Hanne:

                Lesens noch mal. „Bei Mieten wie in“ und so ... also nicht „Mieter in“. Dann klappts vielleicht ...

                521 Wohnungen und keinen Pfennig übrig für ein bisschen Solidarität? Sie Stellen meine Kritik an die dortige hochgejubelte Solidarität um ein Vielfaches in den Schatten.

                Die Solidarität (keine einkommensabhängigen Mieten) nach außen bleibt dort beim Staat hängen. Das können Sie auch mit ihrem persönlichen Angrenze nicht aus der Welt schaffen.

                Das kann man auch als völlig OK ansehen, die Mieter zahlen ja Steuern, genau auch für diesen Zweck (oder auch das nicht ? :-D



                Man sollte aber dann nicht mit gemeinsamen Geld sparen als solidarische Heilsleistung hausieren gehen.

                • @Rudolf Fissner:

                  Jede/r Konsument/in zahlt tagtäglich Steuern und das nicht zu wenig, i.d.R. 19% (bzw. 7%) bei jedem Einkauf. Die Armen anteilig von ihrem Einkommen mehr als die Reicheren, die ihr Geld , was sie nicht zum täglichen Überleben und Luxus brauchen, irgendwie irgendwo steuermindernd "einbringen" können.

                  Ich verstehe Ihr Konzept von Solidarität nicht. Bedeutet es, die ärmeren sollen sich selbst untereinander helfen und die mit großem Auskommen in Ruhe Steuern sparen und konsumieren lassen?

                  Ein Sozialstaat sollte nunmal auch via Steuern ein solidarischer Staat sein.

                  • @Hanne:

                    Eine Wohnungsgenossenschaft ist never als Ganzes "die Armen".

                    Dies bedeutet, dass eine Wohnungsgenossenschaft sich wie jede andere Wohnunggenossenschaft sozial verhalten muss. Das gilt besonder für jene, denen das Edellabel "Sozialismus" zugesprochen wird.

                    Nur für sich selber klug Geld sparen fällt nicht in diese Kategorie.

  • "Wer in der Bremer Höhe leben will, braucht einen Wohnberechtigungsschein, das heißt, er muss ein geringes Einkommen nachweisen können. "

    ... und er muss Geld für 10 Pflichtanteile in Höhe von insgesamt 5.112,90 € (bei Wohnungen bis 92 qm bzw. das Doppelte bei größeren Wohnungen) plus 100,- € Eintrittsgeld übrig haben. www.bremer-hoehe.d...ft:_:35.html?sub=1

    • @Rudolf Fissner:

      Wissen Sie eigentlich wie der freie, neoliberale Wohnungsmarkt läuft? Und wissen Sie wie Genossenschaften funktionieren und wirtschaften?

      Das sind zwar nötige Pflichtbeträge, aber nicht mit anderen Kosten auf dem Wohnungsmarkt vergleichbar, zumal man dafür ein Wohnrecht bis zum Lebensende erhält. Kein Weiterverkauf, keine Kündigung wegen Eigenbedarfs, Mitsprache beim Wirtschaftsplan samt Sanierungsumfang und auch stimmnerechtigt bei Vorstands- und Aufsichtsratwahlen.

      Und wenn Sie ausziehen sollten, bekommen Sie alle Genossenschaftsanteile wieder, lediglich die 100,00 EUR Eintrittsgeld haben Sie dann nicht wieder. Dafür wurde Ihre Mitgliedschaft verwaltet.

      • @Hanne:

        ???

        Warum werden Sie verärgert, wenn ich einen Satz des Artikels korrigiere, der falsch war?

        Es stimmte einfach nicht, dass allein nur Mieten zahlen und ein Wohnberechtigungsschein ausreicht!

    • @Rudolf Fissner:

      „Wissen wird, anders als eine Flasche Riesling oder ein Kuchen, bei Gebrauch nicht weniger. Je mehr Menschen sich an Wikipedia beteiligen, desto mehr Wissen entsteht“

      Es gehen andere Portale ein weil sie von Wikipedia verdrängt und aufgesogen werden.



      Es gehen Enzyklopädieen ein weil sich deren Bearbeitung nicht mehr lohnt.



      Der Hauptsponsor Google zeigt Wikipediatexte an erster Stelle.

      Wissen wird eindeutig weniger, weniger vielfältig. Nur das Fass Wikipedia mit seine alles ersäufenden und selig machenden Einheitsenzyklopädie wird fetter und fetter.

      • @Rudolf Fissner:

        „Weltweit bewirtschaften bis zu 2,5 Milliarden Menschen rund 8 Milliarden Hektar Land in gemeinschaftlichen Strukturen“

        Das dürfte dann ja abzüglich der Kinder und Alten die Hälfte der arbeitsfähigen Bevölkerung sein.



        Aktuell sind es 2%

        Was soll das werden? Agrarsozialismus? Pflichtarbeit auf dem Felde? Bananenverbot?

        • @Rudolf Fissner:

          Das ist sicher missverständlich formuliert und müsste vermutlich heißen: "Weltweit sind bis zu 2,5 Mrd Menschen von 8 Mrd h gemeinschaftlich bewirtschaftendem Land abhängig." Oder "weltweit nutzen 2,5 Mrd Menschen ... "; sowas in der Art.

  • "12 Prozent der Wohnungen in Berlin sind genossenschaftlich, zusammen mit den kommunalen Gesellschaften ist ein knappes Drittel der Eigentümer also nicht auf Rendite aus."

    Für die kommunalen Wohnungsbaugesellschaften ist das in dieser allgemeinen Form falsch.

    Es war in Berlin der vergangene rot-rote Senat, der die städtischen Wohnungsbaugesellschaften aufforderte, Renditen zu erwirtschaften.

    Und das taten sie.

    Und auch die jetzigen Zukäufe, zu der aktuelle Senat sie auffordert, werden nicht nur über Senatszuschüsse finanziert. Es sind die Renditen des bestehenden Wohnungseigentums, die die kommunalen Wohnungsbaugesellschaften zum Zukauf nutzen.

    Ob keine Renditen erwirtschaftet werden, ist nur davon abhängig, was die Kommune will.

    Und wenn die Kassen leer sind, wollen sie sehr wohl Renditen.

    Bitte nicht an Mythen stricken.

    • @rero:

      Es geht beim Wohnungsbau- und erhalt um die Höhe der Rendite. Genossenschaften sind da aufgrund des GenG schon Grenzen gesetzt und beim ehemaligen gemeinnützigen Wohnungsbau, der seit ein paar Jahren wieder von diversen Fachleuten vorgeschlagen wird, die sog. neue Wohngemeinnützigkeit, mit begrenzten Renditen (max. 4%?). Immoblieninvestoren arbeiten derzeit mit Renditen bis 10%.

      wiki.rechtaufstadt...Ctzigkeit_RAS_2016



      www.berliner-miete...freiung-091722.htm



      www.deutschlandfun...:article_id=428720

      Siehe auch Beitrag von A. Holm auf dem Armutskongress 2019 der Parität.

  • Ein sehr enthusiastischer interessanter und inspirierender Artikel von Hanna Voss und Stefan Reinecke, um wieviel größer wäre die Wirkung, wenn ihn auch jeder Mensch verstehen könnte, der keine Möglichkeiten hatte ein Hochschulstudium abzuschließen.

    Im 21. Jahrhundert bringen uns Parolen wie "Sozialismus ohne Klassenkampf" kein Stück in die Nähe der Lösungen unserer Probleme in der Umwelt-, Sozial-, Arbeit-, Kultur- und Bildungspolitik weiter.

    Auf unserem Europäischen Kontinent leben 747 Millionen Europäer in 50 Nationen, die allein schon aus den historischen Erfahrungen wohl keine Lust mehr auf Sozialismus haben.

    Es erscheint mir auch müßig an der vermeintlichen Überwindung des Kapitalismus zu arbeiten, dieses Glanzstück der Selbstzerstörung vollbringt der Kapitalismus mit seinen ihm eigenen Krisen schon selber.

    Der Aufbau einer Sozialwirtschaft der Mitarbeiter/innen Unternehmen im Sinne einer Sozialökonomie auf unserem Europäischen Kontinent erfordert zunächst einmal, einen öffentlichen gesamteuropäischen Debattenraum, die Überwindung der Ressentiments auch gegenüber dem Kapitalismus und eine Überprüfung des eigenen denken und handeln.

    Die Entwicklung von Solidarismus und Altruismus in unseren europäischen Gesellschaften bedarf der politischen Rechtssicherheit zum Beispiel durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Den Haag ebenso der Unterstützung durch die öffentlich rechtlichen wie der privaten Medien, die bereits seit Jahrzehnten mit ihren Reportagen und Dokumentationen in ihren Mediatheken und Archiven, die notwendigen Vorarbeiten geleistet haben, danke dafür.

    Ein Europäischer Kontinent mit zwei Wirtschaftssystemen aus Sozialwirtschaften und Kapitalwirtschaften erfordert von der Europäischen Politik Einsicht und die gleiche finanzielle, politische und menschliche Förderung der Sozialwirtschaft um längerfristig den sozialen Frieden zu sichern und der totalen Abhängigkeit der Sozialkassen von den Steuern der Kapitalwirtschaft zu entgehen.

  • Der Artikel ist ziemlich gut und beschreibt das Thema mit der nötigen Komplexität.

    Eigentlich würde von einer allgemeinen Commons-Wirtschaft der Großteil der Bevölkerung profitieren. Würde das allen klar werden, dann könnte die Commons-Wirtschaft noch stärker werden. Es wäre ein Modell nötig, bei dem man sofort sieht, wie man vom System profitiert - so ähnlich, wie es jedem klar ist, dass man mit einer "kapitalistischen" Investition Geld verdienen kann (oder auch nicht). Auch müsste wirklich jeder einsteigen können, nicht nur die Menschen von der Mittelschicht aufwärts, die ja z.B. bei Solawis den Großteil ausmachen.

    Zum Innovationsthema: Auch hier sehe ich eher ein Kommunikationsproblem. Neben Wikipedia und Linux wäre z.B. auch Bitcoin als große Innovation auf "Commons"-Basis zu nennen. Bei Bitcoin hat die Aussicht auf Kursgewinne zur Popularität geführt. Wie gesagt, wenn man dieses Modell - etwa: Beitragen für alle, individuell davon profitieren - verallgemeinern könnte, hätte die Commons-Wirtschaft Chancen, zur dominanten Wirtschaftsform zu werden.

  • Danke für den Artikel! Da ist durchaus vielversprechendes dabei. Obgleich für mich die Frage zurückbleibt, für wen Genossenschaften zugänglich sind (Kapital, evtl. Bildung, unterstützendes Netzwerk). Was ich allerdings nicht als Gegenargument hier anführen möchte sondern als Herausforderung sehe und als Hinweis für andere Ansätze wie bspw. Besetzungen.



    Negativ aufgestoßen ist mir die Fotobeschreibung "Antikapitalistische Schweine in Klein Trebbow". Schweine bzw. sogenannte Nutztiere werden im Kapitalismus ausgebeutet wie auch Menschen. Leben, Wohlbefinden, Gesundheit usw. sind im Kapitalismus zweitrangig. Es geht um Profite. Gehaltene/ausgebeutete Schweine dann allerdings als antikapitalistisch zu bezeichnen ist zynisch. Es sollte offensichtlich sein, dass Haltung von Schweinen der Fleischerzeugung dient. Von vorhinein ist ihre Existenz also mit Leid und Tod verbunden. Das widersprüchliche Verhältnis, dem Sorgen in "alternativer Haltung" um die Tiere steht das Töten und das Einsperren (wenn auch nicht in engen Ställen) gegenüber. Ein Blick auf die SoLaWi Trebbow-Seite bestätigt: Die Reflexion des ausbeuterischen Mensch-Tier-Verhältnises bleibt bei der reinen Kritik an der Massentierhaltung stehen. Transportwege, krankmachende Ausbeutungsbedingungen werden kritisiert, das Ignorieren des Interesses am Leben jedoch nicht. Letztlich gibt es auch dort keinen Respekt vor dem tierlichen Individuum, das Schmerzen und generell Gefühle empfindet. Dabei geht es auch anders. Siehe bspw. die SoLaWi Plant.Age.

  • "Ist der Kapitalismus nicht in der Lage, das elementare Bedürfnis nach Wohnen zu befriedigen?"



    Nein, natürlich nicht. Denn ein elementares Bedürfnis ist ... eben elementar. D.h., man hat keine Entscheidungsfreiheit. Will ich wohnen oder nicht? Will ich gesund werden oder nicht? Darum kann man Wohnen kapitalistisch nicht regeln, sofern diese Welt hoffnunglos überbevölkert ist. Wo mehr Menschen hinziehen wollen, als Wohnraum zur Verfügung steht, können sie nach kapitalistischen Prinzipien keinen mehr finden. Und da die Vermieter durch den sich immer höher hangelnden Mietspiegel quasi ein Kartell bilden, das die Preise beliebig nach oben regelt, bekommt man eben Situationen wie inzwischen in vielen Großstädten,aber z.B. auch auf den Nordseeinseln: die dienstleistenden Menschen (wie Polizisten, Krankenschwestern, Bedienstete der Stadtreinigung etc.) können sich dort nicht mal mehr Wohnungen leisten.



    Hier in Frankfurt ist es schon so, dass sogar eigentlich nicht schlechtverdienden Polizisten keine Wohnung mehr finden.

  • Klingt nach einem Super-Projekt. Nur traurig, dass Privatmenschen das tun müssen, was eigentlich Aufgabe des Staates wäre.

    • @Jalella:

      Diese Denke macht das Ganze wieder hinfällig. Der "real existierende Sozialismus" ist doch genau daran gescheitert, dass der Staat sich für allzuständig erklärt hat.

      Solidarität kann man nicht verordnen und auch nicht als Kollektiv spüren - und daher auch nicht staatlich organisieren. Sie muss vom Einzelnen kommen und vom Einzelnen gelebt werden, wenn sie echt sein soll. Und nur dann kann man auf ihrer Basis nachhaltig wirtschaften.

    • @Jalella:

      Mh, ich würde das nicht mal so negativ sehen sondern bspw. fragen, wieso es den Staat bräuchte? Was soll der Staat können, was Menschen, die sich zusammentun, nicht könnten? Wie sieht es grundsätzlich mit Solidarität und Mitbestimmung aus? Mensch kann auch anders herum fragen: warum schafft der Staat solche Verhältnisse nicht? Gibt es - um es vorsichtig auszudrücken - Hinderliches am Staat?

      • @Uranus:

        Der Staat kann jenen eine Wohnung geben, die sich die 10 Pflichtanteile für die Mitgliedschaft an der "Bremer Höhe" in Höhe von insgesamt 5.112,90 Euro ( www.bremer-hoehe.d...ft:_:35.html?sub=1 ) nicht leisten können. Aktuell ist dies auch genau die Aufgabe die der Staat übernimmt.

        Die Genossenschaft "Bremer Höhe" sieht es nicht als ihre Aufgabe an, Solidarität außerhalb des Mitgliederkreises auszuüben.

        • @Rudolf Fissner:

          Sicher müsste für einige Menschen mehr passieren, als das Kaufen von Genoss*innenschaftsanteilen. Besetzen als Alternative können auch nicht alle. Obgleich es da erst kürzlich ein treffendes Gegenbeispiel gab: taz.de/Besetztes-H...in-Koeln/!5613994/



          In diesem Fall räumte der "solidarische" Staat. ;/



          Es bleibt abzuwarten, wie Politik sich tatsächlich verändert. Noch ist nichts umgesetzt (Einfrieren von Mieten, Rückkauf von Wohnungen "im großen Stil").



          Der Staat kann auch "anders" handeln und Bereicherung durchsetzen, wie u.a. die neoliberale Politk gezeigt hat. D A S ist der Standard des bürgerlichen Staates. Solidarität würde ich einen (möglichen) Wandel in der Wohnungpolitik auch nicht nennen. Es geht nicht um Augenhöhe und Beteiligung, sondern allenfalls um Abmilderung von Marginalisierung bzw. auch um das Bedienen der Interessen der Mittelschicht, würde ich meinen. Was immer noch besser als nichts ist, aber eben auch nicht gut aus meiner Sicht.

          • @Uranus:

            Ach Gottchen.

            Es war die Linkspartei, die die Wohnungen verscherbelt hat.

            Wohnungsbesetzungen sind politische Aktionen und keine Lösung für ein Mangel an Sozialwohnungen oder günstigen Wohnungen

            Was aus den besetzten Wohnungen in Berlin geworden ist sieht man ja. „Genossenschaftlich“ saniert, feinste Lage, toller Altbau, große Wohnungen.



            Und null Sozialwohnungen drinne.

            Der Standard und die Pflicht des „bürgerlichen Staats“ ist es Sozialwohnungen bereitzustellen, weil keine Genossenschaft der Welt oder anarchistische Wohlfühlgemeinschaft über den Tellerrand des Kissens im eigenen Sofa solidarisch hinaus agiert.

            • @Rudolf Fissner:

              War Sie das alleine? Ich dachte, da war die SPD Koalitionsführer. ;)



              Auf welche Quelle beziehen Sie sichda, dass es Standard und Pflicht des Staates sei? Was heißt denn da bürgerlich u.a. bzw. was will ich damit sagen? Aktuelle Herrschaftsverhältnisse, von denen aus gesehen gewisse "Standards" im herrschaftlichen Interesse sind. Menschen im Aufstand sind bedingt im herrschaftlichen Interesse. Demokratie kann als Konfliktmilderer/vermittler genutzt werden, um die Verhältnisse legitim und gerecht erscheinen zu lassen und um zu verschleiern, wer wieviel profitiert - würde ich meinen.

              • @Uranus:

                Kennen Sie noch andere Institutionen die Wohngeld bereitstellen?

                Steht die anarchistische Volksfront nach 2000 jährige Beratung kurz vor der Einführung der Unterstützung ihres ersten Wohngeldempfängers.

                Kurz, dass allen der Staat hier in der Pflicht steht, bei Bedarf Wohngeld auszugeben, sollte auch ohne Quelle bekannt sen.

                Die aktuellen Herrschaftsverhältnisse sehen immer noch so aus, dass die gut verdienenden Anarchisten keinen Pfennig Wohngeld rausrücken. :-)

  • "Autoritärer Sozialismus in der DDR"



    "Sozialismus ohne Klassenkampf"

    Ach ja die Liberalen mal wieder...



    #DenkenistGlückssache

  • Kleine nette Dinge, die helfen.

    Nichtsdestotrotz ist eine klare Regulierung der Produktion sowie eine Abschöpfung von Gewinnen durch höhere Einkommenssteuern sowie eine Abschöpfung dr Vermögensinflation durch Vermögens- und Erbschaftssteuern notwendig.

    Klein, klein ist fein, aber kein Weg den globalen Finanzkapitalisums zu bändigen.

  • Mal sehen, wie viele Genossenschaften die nächste - weil aufziehende - Wirtschaftskrise überleben. In Konjunkturphasen ist immer gut reden.

    • @TazTiz:

      Die Wohn- und Baugenossenschaften haben das bisher eigentlich ganz gut überlebt, es gibt einige in der Bundesrepublik, die ihre 100 Jahre auf dem Buckel haben, also auch schon einige schlechte Konjunkturphasen miterlebt haben.

      • @Hanne:

        Weil sich Immobilien (in Deutschland) - sind sie einmal finanziert - von alleine tragen. Für andere Branchen gilt das aber nicht.

  • "Der Erfolg des Mietenstopps, der für fünf Jahre gelten soll, wird auch davon abhängen, ob es Rot-Rot-Grün gelingt, Mieten einzufrieren, ohne Genossenschaften ungewollt in den Ruin zu treiben. Das zeigt, wie schwierig es ist, entfesselte Märkte wieder zu bändigen."

    Sorry, leider muss ich da scharf wiedersprechen.



    Eine Migrationsbegrenzung, das heißt Nachfragebegrenzung oder alternativ eine Angebotserhöhung ist die einzige Möglichkeit bei Zulassens eines freien Marktes.



    Alternativ muss man dem Großkapital Investieren verbieten, aber leider ist dieses sehr involviert in der Politik und wird zB über Steueroptimierungen nicht bestraft.



    [liegt auch an der großen Beteiligung von Banken an der Investierung von Immobilienkredite]

    Zu guter Letzt hängt die gesamte Stadtfinanzierung in erheblichem Maße von dem Verkauf von Grundstücken ab und den Miethöhen.



    Diese gilt es zu korrigieren und niedrigere Mieten entsprechend lohnenswert für Städte zu machen.

    PS: Alle, welche das nicht ansprechen, machen sich mitschuldig an hohen Mieten.

  • Ein guter, lesenswerter Artikel. Danke dafür.

    Es hat in Hamburg einmal eine "Akademie für Gemeinwirtschaft" gegeben. Diese Einrichtung des sogen. 2. Bildungsweges wurde später umbenannt in Hochschule für Wirtschaft und Politik und ging dann in die WISO Fakultät der Uni HH über.



    Diese ursprüngliche Akademie für Gemeinwirtschaft sollte quasi Führungspersonal ausbilden zur Leitung und Gestaltung gemeinwirtschaftlicher Unternehmen und Genossenschaften. Mitte/Ende der 60er Jahre des letzten Jahrhunderts bröckelte es gewaltig im Bereich der Genossenschaften. Ich erinnere hier an die "Neue Heimat" oder an die Konsumgenossenschaften.



    Nach Sven Giegold, einem Anhänger der Marktwirtschaft, müssten die gemeinwirtschaftlichen Unternehmen mangels Innovationskraft ins Schleudern gekommen sein. Dem ist nicht so. Gemeinwirtschaft wurde politisch bekämpft. Zumindest nicht politisch gefördert.



    Die Befunde von Elinor Ostrom zeigen, dass Gemeinwirtschaft durchaus innovativ sein kann. Nichts spricht dagegen. Im Gegenteil. Die deutsche Automobilindustrie hat doch geradezu "bewiesen" dass Innovation und Marktradikalität nicht unbedingt zueinander passen müssen.



    Genossenschaftliches Denken und Handeln ist Sand im Getriebe des Kapitalismus. Deswegen wird Gemeinwirtschaft politisch bekämpft. Selbst Giegold macht das, indem er einfach behauptet, dass sie nicht innovativ wäre. Insofern ist Gemeinwirtschaft ein hoch politische Angelegenheit. Und die Feinde der Gemeinwirtschaft können durchaus auch ein Mäntelchen tragen, das Verständnis signalisiert. Die Politik der EU ist in keiner Weise kompatibel mit Gemeinwirtschaft. Große multinationale Konzerne können sich gut entwickeln, internationale Handelsverträge würden internationale genossenschaftliche Kooperationen unmöglich machen. Dringend erforderlich wäre eine wissenschaftliche Begleitung in Forschung und Lehre, um der Idee der Gemeinwirtschaft Auftrieb zu geben.