piwik no script img

Koalitionsverhandlungen vor AbschlussSchafft die Ampel die 1,5 Grad?

Der Koalitionsvertrag kann in der ersten Wochenhälfte fertig sein. Die Verhandlungen seien „brutal anstrengend“, sagt der Grüne Michael Kellner.

Ringen hart ums Klima: Nochnichtkanzler Olaf Scholz, Robert Habeck und Annalena Baerbock Foto: dpa

Berlin taz Das mögliche Ampelbündnis will in dieser Woche einen großen Schritt vorankommen. SPD, Grüne und FDP möchten den Koalitionsvertrag vorstellen, den seit Ende Oktober gut 300 PolitikerInnen aus den drei Parteien verhandelt haben. In der ersten Wochenhälfte könne es so weit sein, heißt es in Verhandlerkreisen.

Eine zentrale Frage für die Grünen wird sein: Bringt die künftige Regierung Deutschland tatsächlich auf den 1,5-Grad-Pfad des Pariser Klimaschutzziels? Das hatten die Vorsitzenden Robert Habeck und Annalena Baerbock vor der Wahl als Bedingung für eine Regierungsbeteiligung genannt.

Die Grünen-Spitze steht unter besonderer Beobachtung: WissenschaftlerInnen, Umweltverbände und Fridays-for-Future-AktivistInnen werden penibel nachrechnen, ob die beschlossenen Maßnahmen reichen. „Ein Koalitionsvertrag sollte nicht nur finanziell auf Machbarkeit überprüft werden, sondern auch auf die Einhaltung der 1,5-Grad-Grenze“, schrieb die Grünen-Bundestagsabgeordnete und Klimaaktivistin Kathrin Henneberger am Sonntag auf Twitter.

Die grüne Parteispitze gab am Samstag auf einem Landesparteitag in Brandenburg ein paar Einblicke in ihr Seelenleben. Bundesgeschäftsführer Michael Kellner sprach von „brutal anstrengenden“ Verhandlungen.

Baerbock: „Hatten die Nase auch mal voll“

Baerbock sagte: „Wir hatten die Nase auch mal richtig voll, weil wir das Gefühl hatten, für den Klimaschutz sind nur die Grünen verantwortlich.“ Sie betonte, dass Klimaneutralität die Leitlinie für jeden Politikbereich sein müsse, nicht nur für ein Umweltressort, sondern auch für die Landwirtschaft, den Verkehr und auch für Wirtschaft und Industrie. „Klar ist, dass Klimaschutz kein einzelnes Kapitel in diesem Koalitionsvertrag sein kann.“

Gerade im ökologischen Bereich geht es in den Verhandlungen hart zur Sache. Auch Samstag und Sonntag saßen die wichtigsten VertreterInnen der drei Parteien zusammen, teils bis zum frühen Morgen. Seit sechs Tagen befasst sich die Hauptverhandlungsgruppe, in der die ChefInnen sitzen, mit allen noch offenen Punkten. Gut drei Tage davon ging es nach taz-Informationen um ökologische Themen. Aus Sicht der Grünen gibt es nach zwischenzeitlichen, von Habeck auch öffentlich geäußerten Zweifeln nun Fortschritte. „Wir haben bereits viel erreicht“, betonte Kellner.

Droht die Gefahr, dass die Koalition am Klimaschutz scheitert? Eher nicht. Klar ist: Die Grünen-Spitze wird kaum für ein Vertragswerk werben können, welches das Pariser Ziel deutlich und für alle erkennbar verfehlt. Das wäre Selbstverleugnung, die die Stabilität der Koalition bedrohen würde. Abgeordnete wie Henneberger müssten dann in der Fraktion mit einem Nein bei der Kanzlerwahl drohen.

Wahrscheinlicher ist ein anderes, offeneres Szenario. Das Ergebnis wird nicht so gut sein, wie es sich Baerbock und Co. wünschen – aber sie werden es als irgendwie gut oder ausreichend verkaufen. Ob der 1,5-Grad-Pfad tatsächlich eingehalten wird oder nicht, ist dann am Ende eine Interpretationsfrage. Entscheidend ist ja nicht nur das Vertragswerk, sondern auch das künftige Regierungshandeln – und das Mitziehen der Wirtschaft.

Während etwa die Fridays-AktivistInnen, die schon das Grünen-Wahlprogramm für nicht ausreichend hielten, die Kompromisse kritisieren werden, wird die Grünen-Spitze kontern, zumindest entscheidende Hürden aus dem Weg zu räumen. Zumal die Alternativen – rote Groko oder Neuwahlen – dem Klima noch weniger helfen dürften. Im interpretationsoffenen Fall ist ein Ja der Grünen-Basis sehr wahrscheinlich, denn die gesamte Parteiführung würde sich hinter den Vertrag stellen und für Zustimmung werben.

Scholz schaut schon auf Wiederwahl 2025

Der sozialdemokratische Nochnichtkanzler Olaf Scholz mühte sich am Wochenende, gute Stimmung zu verbreiten. Er lobte am Samstag „sehr gute, sehr konstruktive Gespräche, die auch schnell vorankommen“. Außerdem kündigte er an, die Ampel über die Legislaturperiode hinaus verstetigen zu wollen.

Wenn die Regierung zustande komme und im Dezember gewählt werde, „sollten wir antreten, um auch wiedergewählt zu werden“, sagte Scholz. „Wir wollen daraus ja eine längere Geschichte werden lassen, wenn die Bundeskanzlerwahl jetzt stattgefunden hat, und das bedeutet, dass man sich auch miteinander die ganze Zeit so aufführt wie eine Regierung, die das Land gut regiert.“

FDP-Chef Christian Lindner sieht das ähnlich. Er sagte der Süddeutschen Zeitung: „Eine Koalition sollte mit der Absicht antreten, gemeinsam wiedergewählt zu werden.“ Wenn man es anders angehe, führe das zu koalitionsinternem Wettbewerb. „Das schwächt eine Konstellation insgesamt.“ Wenn man die Wahlprogramme als Ausgangspunkt nehme, dann beginne die Ampel offensichtlich als Zweckbündnis. „Daraus kann zukünftig aber mehr entstehen.“

Wenn der Koalitionsvertrag mit den Ministerien für jede Partei vorgestellt ist, steht bei den Grünen eine Urabstimmung an. Die über 120.000 Mitglieder haben das letzte Wort zu dem Vertrag. Die Basisbefragung dauere etwa zehn Tage und werde digital organisiert, heißt es bei den Grünen.

SPD und FDP machen es sich einfacher. Beide Parteien planen Sonderparteitage, die SPD am 4. Dezember, die FDP am 5. Dezember. Olaf Scholz will sich in der Nikolauswoche ab dem 6. Dezember zum Kanzler wählen lassen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

15 Kommentare

 / 
  • Achja, eine Antwort auf eine Frage nach der möglichen 16-Minister-Nominierung fehlt mir noch: wer würde denn nun Vize-Kanzler?

  • In der taz konnte ich den Bericht von Ulrich Schulte als ausgesprochen neutral



    in aller Ruhe aufnehem und mir meine Meinung bilden.

    Aber: Wenn die Grünen sich nicht endlich energisch des gönnerhaften (muss man nicht recht ernst nehmen...) Kindergartentons erwehren, wie heute 23.11., den t-online-Erkenntnissen (zu der wahrscheinlichen Ampel-Einigung auf 16 Ministerien) von Florian Harms bezgl. einer möglichen Nominierung als Superminister eines künftigen "Supersuperministeriums" anstelle des Finanzministertiums betr. Robert Habeck, oder Annalena Baerbock als mgl. Aussenministerin, dann mache ich mir schon Sorgen um die allgemeine Akzeptanz der Partei, deren Ansehen längerfristig durch solch manipulativen Anklang schleichend unterminiert werden könnte. Deren angesehene Führungspersonen und Vorsitzende sind die Beiden bislang immerhin, und zudem ist ihre Partei zweitstärkste Ampelpartei nach der SPD - noch vor der FDP. Im Vergleich zu dem respektvollen Ton gegenüber der "Partei der Profis" FDP, dem neutralen Ton bei der SPD empfand ich im "Grünen-Bereich" die Ausdrucksweise als ausgesprochen abwertend. Ätzend spöttisch!

    Von der taz lernen heißt journalistische Qualität erkennen zu lernen. Dabei habe ich mich noch gar nicht zum Inhalt des Artikels der taz selbst geäußert!

  • Das einzig 'positive' an diesem 'Koalitionsvertrag' wird sein: Das Parteiensystem -wie es sich entwickelt hat- ist komplett undemokratisch, wenn selbst die angepasste grüne Partei ihre Wahlkampfversprechen zugunsten der Selbstversorgung ihrer Funktionäre nicht einhält: Auch die Ausrede ist die gleiche wie bei den dahinsiechenden Altparteien: Der Wähler hat es so gewollt. Der Lerneffekt dabei für die dumme Wählerschaft: Das Wahlsystem taugt nicht mehr, wir brauchen Alternativen, die Parteienfilz verhindern und neue demokratische Wege ermöglichen. Wir müssen drei Katastrophen bewältigen: Pandemie, Klima und Überwindung dieser Parteienwirtschaft. Danke Robert, Deine Mauscheleien haben es an den Tag gebracht ! Wir brauchen Euch nicht, Eure Vorstandsgehälter passen nicht zu einer alternativen Partei.

  • "Schafft die Ampel die 1,5 Grad?"



    Natürlich nicht. Wie soll das einem Land mit wenig mehr als 1% der Weltbevölkerung gelingen?

    • @Nairam:

      Die Schlagzeile ist wohl dahingehend zu verstehen, ob das Land mit ~1% der Weltbevölkerung aber ~2% der globalen Emissionen es schafft diese auf ein klimaverträgliches Maß abzusenken und damit einen gerechten Anteil an der Rettung des Weltklimas leistet.

  • "Zumal die Alternativen – rote Groko oder Neuwahlen – dem Klima noch weniger helfen dürften." Es gibt weitere Alternativen, die auch schon in der TAZ vorgestellt wurden. Nach dem für den Klimaschutz ungeschickte Wahlergebnis würde ich eine Minderheitsregierung aus SPD und Grünen bevorzugen. Damit hätten auch Abgeordnete der anderen Fraktionen Chancen sich ohne Fraktionszwang für den Klimaschutz zu stimmen. Wir könnten dann eindeutig sehen, welche Abgeordneten sich immer noch gegen Klimaschutz mit 1,5° Ziel aussprechen.

  • 0G
    05653 (Profil gelöscht)

    Was mich zuerst mal stört, ist dieser unwissenschaftliche Drang zu absoluten Werten und unumstößlichen Trends wie an der Börse oder in der Mode. Die gibt es in der Natur nicht, wobei ich hier ganz dreist das Universum dem Oberbegriff der Natur unterordne. Man spricht ja beispielsweise auch von Naturgesetzen.

    Der Natur unterworfenene Gesetze sind auch die kurzfristigen Klimazyklen auf dem Planeten, sofern sich 15 bis 50 jährige Zyklen unter dem Oberbegriff Klima fassen lassen. Mit diesen Zyklen können Klimabesorgte allerdings nichts anfangen. Ein kalter Winter ist für sie ein verlorener Winter, so tagesaktuell ist das Thema. Heute ist ja schon jedes Wetterextrem ein Klimaereignis.

    Jedenfalls steht für die nächsten Jahre in der Abschwungphase der nordostatlatischen Oszillation bei steigender Sonnenaktivität, sofern die



    seriöse Wissenschaft korrekte Ergebnisse geliefert hat, in den nächsten Jahren eine etwas kältere Dekade an.



    Die NASA hat tatsächlich vor einer kleinen Eiszeit gewarnt.

    Das sind die guten Nachrichten für die Politik, die auch ohne großen Tatendrang ein erfolgreiches Klimamanagement für sich reklamieren und damit Wahlen gewinnen wird, falls Klima in vier Jahren überhaupt ein Thema ist.

    Also sollten diese Hintergründe auch mal veröffentlicht werden, gerade jetzt, wo die Wissenschaft eine Hochzeit erlebt. Dann werden auch vom Wetter enttäuschte, aktivist*innnenische Klimaretter*innen sich damit abfinden, dass es auch mal wieder kälter wird - sogar in Warmphasen.

    • @05653 (Profil gelöscht):

      Das ist Fake news!!

      Das ganze Wettervorhersagegefasel ist bekannt,seit Jahren bekomme nicht nur ich auf mein Smartphone ueber Googlenews ueber Drittquelle n so Langzeitprognosen.



      War immer falsch.ausser fuer letzten Sommer ,da war es hierzulande nicht ganz so heiß, weltweit wurde aber wieder der Temperatur anstieg im schnitt getopt!



      Der Klimawandel ist Fakt,der Meeresspiegel steigt,usw.das ist unumkehrbar.



      Gerade wurden wieder Schneebomben/ Massen fuer die naechsten Tage vorhergesagt, dann wieder dementiert usw.Es wird aber wohl schon im Dezember wieder sehr mild ,so ab Scholz' Wahl zum Nikolaus,aeh Kanzlerle..was WetterPrognosen ueber 7 Tage hinaus und auch Ihren Kommentar hier anbetrifft: Spekulation,Kaffesatzleserei,Nostradamusserei,also unseriös.

  • Bei faktenbasierten Prognosen und faktenbasierten Evaluationen im Monitoring der Wirksamkeit von Klimaschutzmaßnahmen bekomme ich als wissenschaftlich orientierter und faktenbasiert denkender Zeitgenosse bei dem Gedanken an Interpretationsspielräume in der Politik PICKEL!

  • Und auch Jamaika ist noch nicht ganz vom Tisch, vor vier Jahren wurde ja schon geübt. Aber das hat nur eine sehr geringe Chance.



    Die weichgespülten Grünen werden sich sagen: Besser falsch regieren als nicht regieren.

  • "Zumal die Alternativen – rote Groko oder Neuwahlen – dem Klima noch weniger helfen dürften"

    Das sind nicht die einzigen Möglichkeiten. Denkbar ist auch eine rote GroKo mit den Grünen als Garant für Klimaschutz.

    Statt einer Ampel mit den Grünen zum greenwashen der neoliberalen FDP-Blockade.

    Denn "im interpretationsoffenen Fall" sollte wan sich mal ansehen, wie die FDP auf die Wissenschaft hört, Kubicki z.B als Querdenker im Rang eines Bundestagsvize, Lindner als Wissenschaftserklärer bei Zamperoni (sowas von daneben)

    'Listen to the science' ist denen sowas von ein Dorn im Auge (an FFF: 'Klima ist was für Profis, Kinder sollten die Schule nicht schwänzen), dass



    die 'Grünen-Basis' auf keinen Fall ja sagen sollte!

    • @ke1ner:

      klitzekleiner Hinweis: Rot-Schwarz ham allein ne Mehrheit, da garantelt Grün garnix.

      • @lesnmachtdumm:

        "Klitzekleiner Hinweis" - ist lieb, danke, hatte ich aber auf dem Schirm.

        Und folgende Überlegung angestellt: für die SPD wäre eine Neuauflage der GroKo pur, auch wenn sie den Kanzler stellt, politischer Selbstmord.

        Scholz hat im Wahlkampf "Klimakanzler" versprochen. Wenn er die Grünen ins Boot holt, zeigt er, dass er das ernst meint, präsentiert einen guten Grund für diese Konstellation: mit der FDP geht es einfach nicht.

        Die Grünen entgingen dem Vorwurf, "den Lindner zu machen", und sie könnten immer damit drohen, diese GroKo+ zu verlassen und so das Gegenteil von Greenwashing leisten.

        Und in diesem Fall auch aus der Opposotion viel bewegen, Bernd Ulrich hat dazu neulich etwas sehr Interessantes in der ZEIT geschrieben:

        >>Das Abkommen von Paris, die Beschlüsse der EU (Fit for 55), der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zum Klima sowie das bestehende Klimaschutzgesetz würden auch eine Regierung ohne Grüne dazu zwingen, einen 1,5-Grad-Pfad zumindest ernstlich anzustreben

      • @lesnmachtdumm:

        Fuer mehr sozial gerechten Umweltschutz waere nur Rotrosagruen gut.



        Minderheitsregierung waere ja auch noch optional.bleibt nur zu hoffen,dass die Grünen basis diesmal nonono sagt.!

        Alle anderen dann moeglichen Koalition en ohne die FDP würden das kleinere Uebel darstellen.

    • @ke1ner:

      Das würde voraussetzen, dass die SPD mehr an Klimaschutz interessiert ist als die FDP, was ich bezweifele. Die FDP teilt das Ziel, will es aber mit wirtschaftlichen Methoden über vor allem Bepreisung erreichen und mit den Einnahmen der Förderung neuer Technologien.



      In der SPD sind sehr viele Menschen noch Interessenvertreter der Kohle- und Auto-Industrie (was durchaus auch seine Berechtigung hat).