Ampel kurz vor Fertigstellung: Anarchie? Nie!

Zum Glück ist das Vakuum in Deutschlands Che­f*in­nen­eta­ge bald vorbei. Denn eine Regierung wollen und brauchen wir.

Narrenschuhe zwischen schwarzen Männerschuhen und Anzughosen

Ein Hofnarr quetscht sich in jeder Regierung dazwischen Foto: Thomas Trutschel/photothek/imago

Wir bekommen jetzt wahrscheinlich eine Regierung. Egal ob man die jetzt toll oder eher so na ja findet: Wir kriegen eine Regierung. Ohne eine Regierung ist kein Staat zu machen. Kann man sich überhaupt Länder, Gesellschaften, Gemeinschaften oder einfach Menschen vorstellen, die keine Regierung haben? Der Mensch ist ein Wesen, das eine Regierung braucht. Sonst ist er ein Wilder, und die sind, wenn es keine Menschenfresser sind, vielleicht manchmal edel, aber auch zum Aussterben verdammt.

Schauen sie sich Winnetou an. Das war ein edler Wilder und außerdem ein Roter. Und sehen Sie, was aus ihm geworden ist. Und dann gibt es auch noch Anarchisten. Aber die gehören eh alle erschossen. Da sind sich Volk und Regierung meistens einig. Überhaupt weiß man nicht, vor welchem Zustand man mehr Angst haben sollte. Vor dem, wo sich Volk und Regierung gegenseitig bekriegen, oder vor dem, wo sie sich so was von einig sind.

Das Volk und die Regierung schützen sich gegenseitig vor allem anderen. Diesen Zustand nennt man normal. Das Meiste, was Volk und Regierung verbindet, ist der Abscheu vor allem, was nicht normal ist. Der Mensch braucht eine Regierung. Sonst fällt ihm alles Mögliche ein. Oder vielleicht auch gar nichts mehr. Aber die Regierung braucht auch ein Volk und einen Staat, sonst macht das Regieren keinen Spaß. Eine Regierung will natürlich ein Volk, das ihr passt, und ein Volk will eine Regierung, die ihm passt.

Das ist eine schwierige Beziehung, weil eine Regierung und ein Volk, die müssen sich gegenseitig lieben und gleichzeitig voreinander Angst haben, sonst wird das nichts. Das Volk muss an eine Regierung glauben, und eine Regierung muss an das Volk glauben. Nicht, dass man sich gegenseitig super finden müsste, nein, glauben muss man, dass die Gegenseite überhaupt existiert.

Regierungen wechseln – das Volk nicht

Stellen Sie sich vor, ein Volk merkt, dass es eigentlich gar keine Regierung hat, sondern bloß ein paar Hanseln und Greteln, die Regierung spielen, oder stellen sie sich vor, eine Regierung merkt, dass es eigentlich gar kein Volk gibt, sondern bloß Leute! Es ist schwierig. Daher gibt es seit der griechischen Antike schlaue Leute, die den Regierungen die Kunst des richtigen Regierens beibringen. Und es gibt Polizisten, Geheimdienstler, Soldaten und Verwalter. Und immer gibt es auch so was wie Hof- und andere Narren.

Das sind Leute, die unangenehme Wahrheiten über das Volk oder über die Regierung sagen. Man weiß nicht, was gefährlicher ist: unangenehme Wahrheiten über die Regierung oder über das Volk. Bei jeder Regierung gibt es drei Fragen: Ob es eine „rechtmäßige“ Regierung ist. Ob es eine starke Regierung ist. Ob es eine gute Regierung ist. Über die Rechtmäßigkeit bestimmt das Gesetz, also sagen wir eine Erbfolge oder eine Wahl.

Über die Stärke bestimmt der entschlossene Einsatz von Regierungsmitteln und das Geld, das mit ihnen aus dem Volk für die Regierung zu holen ist. Und ob eine Regierung gut oder schlecht ist, darüber bestimmt jede*r, der/die sich traut, oder spätestens die Geschichte beziehungsweise Leute, die sie schreiben. Natürlich gibt es Regierungen, die von vornherein nicht funktionieren. Das ist weniger skandalös, als wenn es ein Volk gibt, das von vornherein nicht funktioniert.

Keine Ordnung ohne Regierung

Gut, dass man eine Regierung leichter auswechseln kann als ein Volk. Regieren heißt Macht ausüben, Ordnungen errichten, eine Ökonomie ermöglichen, die zugleich das Volk ernährt und eine der besagten Ordnungen aufrechterhält, die Grenzen des Staates „sichern“, und irgendwas mit Zukunft machen, bauen, planen, ordnen, richten, verhindern, Verträge schließen, Menschen einladen oder umbringen, Fortschritt generieren und nicht zuletzt: das Prinzip Regierung erhalten.

Regieren ist ein System, in dem Gewalt zu Macht, Macht zu Ordnung, Ordnung zu Gesetz, Gesetz zu Common Sense geworden ist – in dialektischer Aufhebung, was bedeutet, dass selbst im Common Sense die ursprüngliche Gewalt in drei Formen enthalten ist: als praktischer Teil des Regierens, als Potenzial, mit dem noch stets gedroht werden kann, und als symbolische Feier bis in die Sprache hinein.

Mit dem Prinzip Regierung haben wir erst „komplexe Gesellschaften“ ermöglicht. Aber eben auch ein Wesen erschaffen, das ohne das Prinzip Regieren nicht leben kann. Was gibt es indes Erbarmungswürdigeres auf dieser Welt als ein Wesen, das eine Regierung braucht? Dem eine Scheiß­regierung immer noch lieber ist als gar keine Regierung? Und das, wenn es schon einmal rebelliert, fast immer nicht weniger, sondern mehr Regierung verlangt, am liebsten gleich die totale Regierung?

Im 16. Jahrhundert ist der Gedanke aufgekommen, dass jeder Mensch sich überhaupt erst einmal selbst regieren muss. Und dann müssen die Männer die Frauen regieren und die Reichen die Armen, die Fürsten die Untertanen, das Kapital die Arbeit und die weißen Männer den Rest der Welt und so weiter. Eine Staatsregierung versteht sich insofern von selbst, als sie es ja mit lauter Regierten, Regierenden und Miniregierungen zu tun hat.

Die Regierenden sind nur die Mittler zwischen denen, die sich selbst und ihre Mitmenschen regieren und von ihnen regiert werden, und den Superregierungen, für die zum Beispiel die Götter (und ein bisschen die Göttinnen) zuständig sind, oder die Geschichte, das Schicksal, das Gesetz, irgendwas, was größer ist als der Mensch. Stellen wir uns für einen Moment lang einen Menschen vor, der sich unter einen Baum setzt und sagt: Eigentlich mag ich gar nicht regiert werden.

Einen Menschen, der sich impfen lässt, eine Maske trägt und sich die Hände wäscht, nicht weil es eine Regierung ihm sagt, sondern aus Freundlichkeit und Verantwortung gegenüber den anderen. Es gibt Regierungen, die eine anarchistische Sehnsucht entflammen.

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ist freier Autor und hat über 20 Bücher zum Thema Film veröffentlicht. Zuletzt erschien von ihm „Corona­kontrolle. Oder nach der Krise ist vor der Katastrophe“ bei bahoe books.

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