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Koalitionsstreit über PestizidzulassungFDP gegen Özdemir bei Glyphosat

Die FDP spricht sich dafür aus, das umstrittene Pestizid weitere 10 Jahre zuzulassen. Damit setzt sie auf Konfrontation mit Agrarminister Özdemir.

Cem Oezdemir erntet Zwiebeln auf einem Feld in Uetze Foto: Kuegeler/photothek/imago

Berlin taz | Anders als Bundesagrarminister Cem Özdemir (Grüne) stimmt die FDP dem Vorschlag der EU-Kommission zur Neuzulassung des umstrittenen Pestizids Glyphosat zu. „Die Empfehlung der EU-Kommission, Glyphosat für weitere zehn Jahre zuzulassen, begrüße ich ausdrücklich“, teilte der agrarpolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Gero Hocker, der taz mit.

Die Kommission folge mit ihrem Vorschlag der wissenschaftlichen Bewertung durch die EU-Behörde für Lebensmittelsicherheit (Efsa). „Wer politische Entscheidungen auf Grundlage wissenschaftlicher Fakten trifft, für den ist die Wiederzulassung auf EU-Ebene alternativlos“, so Hocker. Glyphosat sei eines der „am besten erforschten Pflanzenschutzmittel“.

Glyphosat ist der weltweit meistverkaufte Pestizidwirkstoff. Die Internationale Krebsforschungsagentur der Weltgesundheitsorganisation WHO bewertete ihn 2015 als „wahrscheinlich krebserregend“ – mit Glyphosat gefütterte Ratten und Mäuse hatten Tumoren entwickelt. In den USA verurteilten daraufhin mehrere Gerichte einen der Hersteller, die deutsche Bayer AG, zu hohen Schadenersatzzahlungen an KlägerInnen, die ihre Krebserkrankung auf das Mittel zurückführen. Bayer beruft sich dagegen auf verschiedene Zulassungsbehörden, die Glyphosat als sicher einstufen. Das Gift tötet so gut wie alle nicht gentechnisch veränderten Pflanzen und damit auch Nahrung für Vögel und Insekten. Deshalb gilt es Umweltschützern als Gefahr für die Artenvielfalt.

Landwirtschaftsminister Cem Özdemir sagte am Mittwoch, nachdem die EU-Kommission ihren Vorschlag veröffentlicht hatte: „Solange nicht ausgeschlossen werden kann, dass Glyphosat der Biodiversität schadet, sollte die Genehmigung in der EU auslaufen“.

Koalitionsvertrag sieht Verbot vor

Die Efsa hatte zwar keine nach EU-Recht „kritischen“ Probleme für die Umwelt festgestellt. Aber das lag vor allem daran, dass ihr genügend Daten und eine innerhalb der EU abgestimmte Methodik fehlten. Die Behörde kritisierte, dass die Pestizidhersteller keine systematische Literaturzusammenstellung zum Thema geliefert hätten. Aus diesen Gründen seien „keine eindeutigen Schlussfolgerungen“ dazu möglich, wie der Unkrautvernichter sich auf die Artenvielfalt auswirkt.

Die Ampelparteien haben in ihrem Koalitionsvertrag vereinbart: „Wir nehmen Glyphosat bis 2023 vom Markt.“ Wenn sich die Ampelkoalition nun nicht einigen kann, muss sich Deutschland bei der Abstimmung der EU-Staaten über den Vorschlag der Kommission Mitte Oktober enthalten. Das könnte sich am Ende wie eine Zustimmung auswirken. Die aktuelle Zulassung läuft am 15. Dezember aus.

Sollte Glyphosat verboten werden, hätte das massive Auswirkungen auf die Landwirtschaft. Denn es wird laut Umweltbundesamt auf rund 40 Prozent der Felder hierzulande gespritzt, etwa um Beikräuter zu bekämpfen. Ohne Glyphosat müssten viele konventionelle Bauern sich den Produktionsmethoden der Bio-Landwirtschaft annähern.

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21 Kommentare

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  • Als Fachmann müsste Herr Maurin wissen das auch im BIO-Bereich total Herbizide auf Basis von Pelargonsäure zugelassen sind. Auch diese töten alle Pflanzen ab, also der selbe Effekt wie bei Glyphosat, nur halt unter dem BIO Deckmantel.

  • Der Koalitionsvertrag ist da klar: "Wir nehmen Glyphosat bis Ende 2023 vom Markt". Es liegt also an Özdemir das auto ch umzusetzen. Das da Parteien andere Auffassungen haben muss nicht hinderlich sein, wenn der Vertrag eingehalten wird.

    Herr Özdemir, bitte legen Sie also los!

    • @Rudolf Fissner:

      Genau so ist es, Vertrag ist Vertrag.

      • @Rudi Hamm:

        Eben nd es gibt kein Anzeichen, dass die FDP da ausscheren will.

        Das FDP Gedöns halte ich deshalb vorgeschoben dafür, dass Özdemir es eventuell nicht schafft Glyphosat gegen die Entscheidung der EU vom Markt zu nehmen bzw. keine Mehrheit in der EU dafür zustande bringt.

  • F.D.P. Politik vom Feinsten!

  • Das Zeug wurde ursprünglich als als industrieller Rohrreiniger genutzt und wirkt wie ein Antibiotikum und fördert Antibiotika-Resistenzen . Die USA kämpft schon gegen Superweeds - Glyphosat resistente Unkräuter. Laut IARC sind die Beweise für Genschäden "stark". Die EFSA handelt verantwortungslos im Interesse der Bundesregierung die Bayer schützt.



    Die FDP kotzt mich sowas von an. Aus der ist eine hirnlose, von Gier getriebene Sekte die das Kapital anbetet, geworden. Mit Vernunft und Verantwortung hat das nichts mehr zu tun.

  • Wieder mal ein Thema, wo das Agieren der Ampel im Koalitionsvertrag festgelegt wurde. Und wieder mal ein Thema, wo es die FDP einen Sch**** interessiert, was vereinbart wurde. Wie lange wollen die Grünen sich noch von der FDP auf der Nase herumtanzen lassen?

  • Beim Thema Glyphosat sind die Grünen genauso eingestellt wie Klimaleugner : die Wissenschaft sagt zwar das eine, aber WIR wissen es besser. Da Özdemir ja nur die 10% Bio-Landwirte interessieren wird es einen Deutschen Alleingang zum Verbot von Glyphosat geben, sollen doch die anderen 90% Landwirte schauen wo sie bleiben ...

    • @Günter Witte:

      Schon seltsam das die IARC von der WHO zu komplett anderen Ergebnissen kommt wie die EFSA. Ist die IARC nicht wissenschaftlich? Da währe ich mal ganz vorsichtig mit dem Vergleich mit den Klimaleugnern weil das offensichtlich eher auf sie zutrifft.



      Das Zeug, das als Industrieller Rohrreiniger entwickelt wurde, wie Antibiotika wirkt und laut IARC starke Beweise von Genschädigungen liefert, wollen sie in ihrem Essen? Ich nicht!

      • @Andreas J:

        Die IARC bewertet nur die theoretische Möglichkeit einer Krebserkrankung ohne die Aufnahmemenge zu berücksichtigen.



        Die WHO hat das auch für die normale Anwendungsmenge geprüft und kommt zu dem Schluss dass es gesundheitlich unbedenklich ist (JMPR).



        Vergleich zu den Klimaleugnern passt nicht ganz, aber auch bei Glyphosat ist die überwältigende Mehrheit der Wissenschaft auf der Seite von Glyphosat.

          • @Andreas J:

            Es geht hier um EU Zulassung.



            Das ist mit der Anwendung in den in Ihrem Film gezeigten Ländern nicht vergleichbar. Da liegen Welten dazwischen. Und Reduktion der Landwirtschaft hier führt zu mehr Produktion in anderen Ländern zu wesentlich schlechteren Bedingungen für Menschen und Umwelt

      • @Andreas J:

        'Ist die IARC nicht wissenschaftlich?'

        Was letztlich zählt ist die jeweilige wissenschaftliche Disziplin, in der die betreffende Institution firm ist. Mit der Klassifizierung 'wahrscheinlich krebserregend' im Jahre 2015 hat die IARC zu verstehen gegeben, dass sie vorwiegend in der Stochastik unterwegs ist, wohingegen die EFSA eher die Biochemie, die Lebensmittelsicherheit und die Onkologie beackert. Wissenschaftlich fundierte Methoden und Vorgehensweisen sind bei beiden Einrichtungen etabliert.

  • Die Eintrittswahrscheinlichkeit des im letzten Satz des Artikels vorausgesagten Ereignisses würde ich irgendwo in der Epsilon-Umgebung des Koordinatenursprungs verorten. Meine Erwartung für die Zukunft lässt sich wie folgt in Worte kleiden: 'Ohne Glyphosat würden viele konventionelle Bauern den konventionellen Produktionsmethoden treu bleiben und auf selektive Herbizide umsteigen'. Da das nicht-selektive Herbizid Glyphosat recht gut biologisch abbaubar ist, es kann Regenwasser und Sonneneinstrahlung nicht lange viel entgegensetzen und zersetzt sich, würde ein Ersatz durch einen ganzen Strauss an selektiven Herbiziden der Umwelt einen Bärendienst erweisen.

  • "Die Behörde kritisierte, dass die Pestizidhersteller keine systematische Literaturzusammenstellung zum Thema geliefert hätten. Aus diesen Gründen seien „keine eindeutigen Schlussfolgerungen“ dazu möglich, wie der Unkrautvernichter sich auf die Artenvielfalt auswirkt." Das muss hoffentlich ein Witz sein: Warum wird so eine Frage nicht durch unabhängige Stellen geklärt und der Behörde als Voraussetzung für eine Zulassung vorgelegt. Gilt das Vorsorgeprinzip nicht mehr? Wenn es so läuft, wäre doch jeder Konzern saudumm, mit offenen Karten zu spielen.

  • Wie kommt Herr Maurin darauf, dass ohne Glyphosat alle Bioähnlich arbeiten müssen. Es wird mehr Diesel benötigt, Zwischenfrüchte und Frühjahrsfrüchte werden wieder weniger werden, es werden mehr selektive Herbizide benutzt werden. In der Folge werden nicht viel mehr Unkräuter und Ungräser auf den Flächen sein (auch Biobetriebe wollen Weizen dreschen und nicht Ackerfuchsschwanz), Insekten werden es nicht leichter haben (2 bis 3 mal Grubber ist auch ein schwerer Eingriff). Am spannensden finde ich es, wenn die Bahn den Elektrobrenner für Bewuchs einführt. Das wird ein Insektenvernichter sein. Aber Hauptsache Glyphosat ist krebserregend.



    Ich weiß auch nicht, wie das UBA auf 40% der Flächen kommt. 1/3 bekommt nie Glyphosat (Grünland) und beim Rest kommt es auf die Frucht an, vielleicht 33% von den 66% = also 20%. Na ja, jeder wie er es braucht.

  • Unfassbar wie die FDP auch hier wieder gegen Arten- und Biodiversitätenschutz agiert und als Lobbyist eines Großkonzerns. Mit fatalen Folgen für Flora und Fauna. Und natürlich damit für die Spezies Mensch.

  • Fassen wir mal zusammen: Glyphosat kann unbestritten der Artenvielfalt schaden, zumindest wenn es nicht sehr sorgsam eingesetzt wird, und es ist hinreichend wahrscheinlich krebserregend, dass Gerichte in den USA den Beweis für einzelne Erkrankungen als erbracht ansahen (die Anforderungen an einen solchen Beweis vor US-Gerichten gelten allgemein als strenger als hierzulande), den Herstellern ist es nicht gelungen, einen Satz von (ggf. selbstfinanzierten) Studien beizubringen, die die Ungefährlichkeit untermauern, und die Ampel war sich einst einig, dass das Mittel vom Markt genommen werden sollte.



    Woher hat die FDP, woher hat Herr Hocker jetzt die neuen Erkenntnisse, die das alles in Frage stellen? Daher sind Spenden- und Lobbyregister so wichtig!

    • @Zangler:

      Das mit den Amerikanischen Gerichten ist eine traurige Sache !! Solange Monsanto eine Amerikanische Firma war sind die Klagen wegen Glyphosat regelmäßig gescheitert, dann kauft eine Deutsche Firma Monsanto auf und die Gerichte überbieten sich plötzlich in der höhe der verhängten Strafen. Ist Glyphosat nur schädlich wenn es nicht von einer Amerikanischen Firma hergestellt wird ??

      • @Günter Witte:

        Ob US-amerikanische Richter:innen korrupter sind als europäische Politiker:innen und Bürokrat:innen? Denn umgekehrt ist für die Deutschen Glyphosat auf einmal ganz toll, wo es doch jetzt Bayer gehört ...



        Letztlich arbeitet man sich hier aber an Symptomen ab. Die Grundfrage ist ja, ob die Landwirtschaft weiter in Richtung großflächiger Monokulturen („klassisch“) industrialisiert werden soll oder ob die Zukunft nicht eher in einer „smarten“ Industrialisierung liegt, die traditionelle Anbaumethoden mit einbezieht und über Digitalisierung wesentlich schonender mit der Umwelt umgeht. (Die romantische Vorstellung von bäuerlicher Landwirtschaft ist vor allem unrealistisch!)



        Ich persönlich glaube, dass „wir“ (Deutschland, aber auch weite Teile Europas und vielleicht sogar der Westen als Ganzes) mit unterfinanzierten Hochschulen, schlechten Bedingungen für Start-up-Ausgründungen (selbst aus den anwendungsnahen Fraunhofer-Instituten!) und einem starken Einfluss der Industrielobby für „smarte“ Lösungen inzwischen sehr schlecht aufgestellt sind.

        • @Zangler:

          Man verlangt von der Landwirtschaft die Quadratur des Kreises : Produzieren wie vor 100 Jahren zu möglichst kleinen Preisen. Landwirte und Verbraucher sind teil eines Perfiden Spiels, sie werden bewusst gegeneinander ausgespielt damit einer den großen Reibach macht . Der Handel !!! Man wirft den Landwirten vor was sie alles falsch machen, ohne eine Lösung zu haben, und man drückt die Erzeugerpreise mit dem Argument der Verbraucher sei geizig.



          Würde nicht seit Jahrzehnten der Gewinnanteil des Handels steigen und steigen, könnten Landwirte ganz anders produzieren zu Kosten die sich der Verbraucher leisten kann. Sicherlich könnte man das ändern, nur hat unsere Politiker Kaste daran null Interesse.