Studie fehlte in Zulassungsantrag: Bayer angezeigt wegen Glyphosat
Der Chemiekonzern habe den Behörden kritische Studien über Gesundheitsrisiken des Pestizids nicht vorgelegt, so Umweltverbände. Bayer sieht das anders.
Das geht aus der Anzeige hervor, die die Organisationen nach eigenen Angaben am Mittwoch bei der Staatsanwaltschaft Wien eingereicht haben. Sie appellierten an die EU-Staaten, bei einer für Mitte Oktober geplanten Abstimmung eine erneute Zulassung von Glyphosat zurückzuweisen. Die aktuelle Erlaubnis läuft am 15. Dezember aus.
Glyphosat ist der weltweit meistverkaufte Pestizidwirkstoff. Die Internationale Krebsforschungsagentur der Weltgesundheitsorganisation bewertete ihn 2015 als „wahrscheinlich krebserregend“ – mit Glyphosat gefütterte Säugetiere hatten Tumore entwickelt. In den USA verurteilten daraufhin mehrere Gerichte Bayer zu hohen Schadenersatzzahlungen an KlägerInnen, die ihre Krebserkrankung auf das Mittel zurückführen. Der Konzern beruft sich dagegen auf verschiedene Zulassungsbehörden, die Glyphosat als sicher einstufen. Das Gift tötet so gut wie alle nicht gentechnisch veränderten Pflanzen und damit auch Nahrung für Vögel und Insekten. Deshalb gilt es Umweltschützern als Gefahr für die Artenvielfalt.
Die EU-Pestizidverordnung verlange, dass Hersteller in ihrem Zulassungsantrag alle Studien über potentiell schädliche Effekte vorlegen, erklärten die Umweltorganisationen. „Doch im aktuellen Zulassungsantrag von Bayer fehlt die Mehrzahl der publizierten Studien, die auf schädigende Auswirkungen auf das Nervensystem (Neurotoxizität) durch Glyphosat hinweisen.“ Darunter sei eine Studie, die bei Kindern ein erhöhtes Risiko für Autismus-Spektrum-Störungen festgestellt habe, wenn ihre Mütter in der Schwangerschaft oder sie selbst im ersten Lebensjahr Glyphosat ausgesetzt waren.
Besonders schwer wiege der von zwei schwedischen WissenschaftlerInnen erhobene Vorwurf, dass auch eine vom Agrarchemiekonzern Syngenta beauftragte Studie zur Schädigung des sich entwickelnden Nervensystems durch eine Glyphosatverbindung den EU-Behörden vorenthalten worden sei. Rattenjungen hätten darin eine stark eingeschränkte Motorik gezeigt, wenn ihre Mütter während der Schwangerschaft den Stoff erhielten. Die US-Umweltbehörde EPA habe diese Untersuchung als “akzeptabel für regulatorische Zwecke“ eingestuft. Demnach seien die schädlichen Effekte bei einer Dosis aufgetreten, die von den EU-Behörden derzeit als sicher eingestuft wird.
Nach Hinweis durch die schwedischen Wissenschaftler habe die EU-Behörde für Lebensmittelsicherheit (Efsa) sich die Studie schicken lassen, sagte Helmut Burtscher-Schaden, Biochemiker bei Global 2000. Zu dem Zeitpunkt hatte die Behörde dem Umweltschützer zufolge aber schon „tausende Seiten von Begründungen“ geschrieben. Die Efsa habe dann die Studie, die ihrer bisherigen Bewertung widersprach, für irrelevant erklärt. Andere wichtige Studien habe die Behörde gar nicht erhalten.
Ähnliche Vorwürfe wegen früherer Zulassungen haben die Umweltschützer schon mehrmals seit 2016 erhoben. Seit vier Jahren ermittele deshalb die Staatsanwaltschaft Wien gegen Monsanto und den Rechtsnachfolger Bayer, so Global 2000.
„Bayer hat zu keiner Zeit relevante wissenschaftliche Studien zurückgehalten“, schrieb ein Konzernsprecher der taz. Die Studie zum Thema Entwicklungsneurotoxizität habe „nichts mit dem Wirkstoff Glyphosat zu tun“. Sie beziehe sich auf das Salz Glyphosat-Trimesium, aber nicht auf den zugelassenen Pestizidwirkstoff Glyphosat. „Beides sind komplett verschiedene Wirkstoffe mit einem unterschiedlichen Toxizitätsprofil“, so Bayer.
Eine andere von den Umweltschützern zitierte Studie sei ein öffentlicher Literaturartikel, „der bei der Bewertung als nicht zuverlässig und daher für die Risikobewertung von Glyphosat als nicht relevant erachtet wurde.“ Mehrere Regulierungsbehörden „auf der ganzen Welt“ hätten festgestellt, dass Glyphosat nicht neurotoxisch sei. Auch die Efsa wies in einer Stellungnahme für die taz darauf hin, dass das Glyphosatsalz in der EU nicht zugelassen sei.
Burtscher-Schaden antwortete darauf: „Glyphosat-Trimesium enthält eben auch Glyphosat. Und es gibt keine Anhaltspunkte, dass nicht Glyphosat sondern Trimesium für die schädlichen Effekte verantwortlich wäre.“ Deshalb seien die Antragsteller verpflichtet, dies zu untersuchen und die Behörden zu informieren.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
MLPD droht Nichtzulassung zur Wahl
Scheitert der „echte Sozialismus“ am Parteiengesetz?
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Proteste in Georgien
Wir brauchen keine Ratschläge aus dem Westen
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
Förderung von E-Mobilität
Habeck plant Hilfspaket mit 1.000 Euro Ladestromguthaben