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Kli­ma­schüt­ze­r*in­nen unter DruckRepressionen nehmen global zu

Die Bundesrepublik verfolgt Aktivist*in­nen für ihre Proteste. Woanders ist es nicht besser. Die Bewegung reagiert mit Knastschulungen und Beratung.

Die Handschellen klicken immer schneller zu: Ak­ti­vis­t*in in Berlin Spandau nach einer Straßenblockade 2023 Foto: fritz engel/archiv agentur zenit

Hamburg taz | Knapp eine Million Euro – auf diesen Betrag kommt man, wenn man die Geldstrafen, die gegen Ak­ti­vis­t*in­nen der Letzten Generation bislang ergangen sind, zusammenrechnet. Hinzu kommen mehrere hundert Tage Gefängnis, die sie bisher absitzen mussten – meist als Präventivhaft, also ohne, dass sie verurteilt wurden.

Allein die Staatsanwaltschaft des Landes Berlin hat schon mehr als 3.700 Verfahren gegen die Letzte Generation geführt. Bundesweit dürften es insgesamt bislang um die 5.000 Verfahren sein – weitere kommen Woche für Woche hinzu. Das schwerste strafrechtliche Instrument, das die Bundesrepublik jemals gegen Kli­ma­schüt­ze­r*in­nen eingesetzt hat, trifft die Letzte Generation seit dem vergangenem Jahr: die Ermittlungen wegen des Verdachts der Bildung einer kriminellen Vereinigung durch die Staatsanwaltschaften München und Neuruppin.

Menschen- und Umweltrechtsorganisationen wie Amnesty International und Green Legal Impact kritisieren schon seit Monaten, dass demokratische Teilhabe und Grundrechte auch in Deutschland beschnitten werden – vor allem Kli­ma­ak­ti­vis­t*in­nen seien von zunehmender Repression betroffen.

Die rechtliche Grundlage dafür bieten die in den vergangenen Jahren verschärften Polizeigesetze der Länder und des Bundes. Aber auch der politische Druck und – infolgedessen – der Verfolgungswillen der Behörden sind gestiegen. Ob wirklich eine Anzeige kommt, wenn Protestierende auf der Straße festgenommen werden, war früher nicht immer ausgemacht. Heute ist das anders. Und wo früher der Rahmen des möglichen Strafmaßes oft nicht ausgeschöpft wurde, sehen sich Ak­ti­vis­t*in­nen heute schnell mit Maximalforderungen konfrontiert.

Auch die Bewegung hat ihren Umgang mit den staatlichen Repressionen verändert. An­hän­ge­r*in­nen von Extinction Rebellion und der Letzten Generation versuchen in der Regel erst gar nicht, sich der Strafverfolgung zu entziehen, sondern sie für sich zu nutzen. Auch das erklärt die hohe Zahl an Verfahren gegen Aktivist*innen. Doch sie gehen nicht unvorbereitet in Strafprozesse oder Gefängnisaufenthalte: Die Bewegung reagiert mit Workshops und Unterstützungsangeboten auf die verschärften Strafen.

Lernziel Mentale Stärke

Holger Isabelle Jänicke hat Gefängnistrainings entwickelt, die sich speziell an die Letzte Generation richten. „Das A und O sind mentale Stärke und ein gutes Unterstützernetzwerk“, sagt Jänicke. Er*­sie selbst saß mal neun Monate lang im Knast, Anfang der 1980er war das, nach Blockaden gegen den Raketenstützpunkt Mutlangen in Baden-Württemberg. Nach der Freilassung habe Jänicke angefangen, Interessierten bei­zubringen, wie die Kommunikation im Knast funktioniert, wie die Tage ablaufen und welche Rechte Insassen haben. Nach ein paar Jahren hörte Jänicke auf, weil er*­sie nicht mehr auf dem aktuellen Stand war, weil sich auch Knastabläufe über die Jahre verändern.

2022 musste Jänicke erneut ins Gefängnis – eine Protestaktion auf einem Militärflugplatz im rheinland-pfälzischen Büchel brachte ih­m*ihr 90 Tagessätze, die er*­sie in 30-tägiger Ersatzfreiheitsstrafe absaß. „Das war nervig“, sagt Jänicke, „aber jetzt kann ich wieder was dazu sagen.“ Die Trainings seien Monate im Voraus ausgebucht.

Global verbreitet

Immer härteres staatliches Durchgreifen gegen Kli­ma­ak­ti­vis­t*in­nen ist nicht nur ein deutsches Phänomen. Line Nie­deggen hat sich auf Hilfe für Protestierende spezialisiert, die davon betroffen sind – aber global. Dafür hat sie die Organisation Climate Activist Defenders gegründet. „Wir sehen, dass die Repression weltweit zunimmt“, sagt sie. Besonders schlimm sei es derzeit in Uganda, Pakistan, Indien oder Kolumbien. Nicht immer sei dabei jedoch klar, ob jemand im Rahmen eines Klima- oder eines anderen Konflikts Opfer staatlicher oder paramilitärischer Gewalt geworden sei.

Immerhin habe sich die Sensibilität für das Thema Klimaschutz und damit einhergehende Repressionen erhöht. Indigene Bauern oder Teile der Landbevölkerung etwa, die ihre Grundstücke gegen umweltschädliche Projekte oder Landraub verteidigen, wurden früher nicht der Klimabewegung zugerechnet – heute hingegen schon. Auch Men­schen­rechts­orga­nisatio­nen wie Front Line Defenders oder Amnesty International, die eigentlich wenig zum Thema Klimaaktivismus ar­beiteten, bekämen derzeit immer mehr Unterstützungsanfragen von Klimaaktivist*innen, sagt Niedeggen.

Climate Activist ­Defenders berät Kli­ma­ak­ti­vis­t*in­nen in rechtlichen Fragen und bürokratischen Prozessen, hilft finanziell, schult Betroffene in Sachen digitale Sicherheit und vermittelt Kontakte zu lokalen Netzwerken auf der ganzen Welt. Von indigenen Gemeinschaften, die weltweit am stärksten von Klima­repressionen betroffen seien, könnten Ak­ti­vis­t*in­nen in E­uropa viel lernen, so Niedeggen. Und: „Das Wichtigste ist in jedem Fall, Betroffene nicht mit den Folgen allein zu lassen.“

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22 Kommentare

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  • Was für eine Verschwendung von Engagement in unsinnige Blockaden, die die Bevölkerung gegen die Klimabewegung aufbringen und die Debatte nur noch in Richtung überflüssigen Gerede über die Legalität von Nötigungen lenkt statt über den Klimawandel. Und nun auch noch Knastschulungen statt Klimawandelschulungen

  • Danke, @AJUGA und @.MARCO!

  • Wir erleben gerade eine verhängnisvolle Entwicklung..nicht nur bei der Repression von Klimaaktivisten.

    Friedliche Klimaaktivisten werden vorsorglich.! weg gesperrt..Bauern die mit physischer Gewalt drohen und ihre Traktoren als Waffen einsetzen lässt man (weit gehend) gewähren.

    Verbale und teils physische Gewalt geht derzeit eher von rechter Seite aus..und hat leider.!! Erfolg.

    Auf dt. strassen wird De Facto die Verkehrsewende zurück gedrängt..weil das Auto ist nun mal "Stärker" als das Fahrrad. Und Politik und Innenbehörden tun viel zu wenig gegen die konkrete und strukturelle Gewalt die von Autos und einigen ihrer Nutzer ausgeht..

    Derzeit ist Gewalt (bzw. das Recht des "Stärkeren") als Mittel der politischen Auseinandersetzung im Aufwind. Und das ist eine bedenkliche Entwicklung, der die Politik begegnen muss. Denn wenn das "Schule" macht, bekommen wir eine echtes Problem.

    Um dieser Entwicklung entgegen zu treten, braucht es offenbar einen gesellschaftlichen Prozess, damit Argumente wieder mehr Gewicht bekommen und der plumpen Gewalt Grenzen gesetzt werden. Friedlicher Protest muss mehr Aufmerksamkeit erfahren und jede Form von Gewalt (verbal/physisch/strukturell) dagegen konsequenter saktioniert werden.

    Im Kern geht es also auch um die Frage nach dem GEWALTMONOPOL DES STAATES - bzw der Frage wie dieses definiert ist..und ob immer mit den gleichen Maßstäben gemessen wird..

    Leider sind Zweifel angebracht..

    ..nicht nur bei der (globalen) Ungleichbehandlung von Klimazielen und Wirtschaftinteressen (und deren jeweiligen Repräsentanten)...

  • Die Bundesrepublik verfolgt Straftaten, nicht Aktivismus. Wenn die TAZ sich zurecht gegen populistische Hetze wendet, soll sie bitte selbst auf ihre Sprache achten. Dieser Sprachduktus von „Repression“ und „Verfolgung von Aktivisten“ ist unerhört.

    • @Fünfpluseins:

      Unerhört ist präventiv haft. Unerhört ist das die einen verfolgt werden für ihren protest und die anderen z.b. die Bauern nicht. Und die Bauern haben den Staat wirklich erpresst und gezeigt der Staat läßt sich erpressen. Also werden die Straftaten der einen geduldet und vom Staat honoriert während man andere als "Klimaterroristen" abgestempelt und mit allen Mittel verfolgt und bestraft. Also wird sehr wohl der aktivismus, der protest der einen Aktivisten verfolgt und mit Repression überzogen und von den anderen Aktivisten läßt man sich erpressen.. Der Staat hat hier ein 2 Klassen Justiz installiert.

  • 4G
    47351 (Profil gelöscht)

    Wenn Protestformen Grenzen überschreiten, die vom Strafrecht gesteckt werden, dann gibt es auch in einem demokratischen Rechtsstaat aufgrund des Legalitätsprinzips keinen Spielraum.

    Das hat unabhängig von den Fernzielen des Protests zu gelten, die sich allenfalls bei der Strafzumessung auswirken können. Also sowohl für Klebeaktionen auf Straßen wie für Traktoren auf der Autobahn.

    Kriminalisiert wird hier gar nichts, zumindest nicht in Deutschland, denn es gibt aktuell keine strafrechtlichen Normen, die aus Anlass dieser Proteste erlassen wurden oder verschärft worden sind. Von Repressionen kann daher keine Rede sein, es sei denn man begreift bereits den Rahmen eines geordneten Gemeinwesens als strukturelle Gewalt.

  • Die Unterschiede beim Umgang "des Staates" mit Bauern und Klima-Aktivisten zeigen sehr deutlich, dass der Rechtsstaat auch hierzulande massiv ausgehöhlt wird.

  • "Die Bundesrepublik verfolgt Aktivist*in­nen für ihre Proteste."

    Sie werden nicht "für ihre Proteste" verfolgt. Kennzeichen eines funktionierenden Rechtsstaates ist es, dass Gesetzesverstöße von Motiven und Zielen ihrer Verursacher sanktioniert werden.

    Wenn man zudem eine Protestform wählt, die genau darauf abzielt, bestehende Gesetze zu verletzen, muss man eben auch die Konsequenzen tragen. Man will ja genau die damit verbundene PR haben.

    Auch die schiere Größenordnung ist kein Argument. Im Gegenteil: Wiederholungstäter werden auch sonst härter bestraft, weil hier offenkundig Uneinsichtigkeit besteht.

    Merkwürdig ist allerdings die unterschwellig vertretene Auffassung, wegen der hehren Ideale habe es quasi eine Art Strafbonus zu geben. Die Fälle sind wirklich nicht zu vergleichen, aber genau das hatten wir ja schon mal. Das milde Urteil im Hitler-Ludendorff-Prozess wurde seinerzeit damit begründet, dass „die Angeklagten bei ihrem Tun von rein vaterländischem Geiste und dem edelsten selbstlosen Willen geleitet“ worden seien. www.bpb.de/kurz-kn...rats-gegen-hitler/

    • @Schalamow:

      Ein funktionierender rechts Staat würde alle strafbaren Handlungen von proteatierenden gleich behandelt das tut der Rechtsstaat BRD allerdings nicht. Siehe Bauernprotest und Klimaprotest.

  • Die Rote Hilfe e.V. hat interessantes Informationsmaterial zu dem Thema veröffentlicht:

    rote-hilfe.de/lite...b-2/antirepression

  • Die Welt ist verrückt.

    Zum einen glaubt ein Teil der Bevölkerung mit Blockaden ihre Meinung artikulieren zu müssen. Und mir ist es wurscht ob Bauern oder Klimaktivisten. Zum anderen wird mit der Bildung krimineller Vereinigungen mit Kanonen auf Spatzen geschossen.

    Mir geht es langsam auf den Sack, dass kleinste Gruppen mit Blockaden maximale Wirkung zu erzeugen. Sammelt Zehntausende, geht gemeinsam auf die Straße und zeigt wie viele ihr seit…

  • Die Demonstration rechtzeitig vorher anmelden ist eigentlich weder kompliziert noch komplex. Dann gibt es auch keine Strafen und der Polizeischutz wird vom Steuerzahler gestellt.

    • @Luftfahrer:

      Nemand muss in Deutschland protest anmelden.

    • @Luftfahrer:

      Das gilt jedoch nur für Klimaaktionen, Bauern dürfen gerne machen was ihnen gerade einfällt - einschlich Gewalt. Und anmelden brauchen sie das auch nicht immer.

      • @Perkele:

        Die Demos der Bauern waren angemeldet. Zweitens konnten bisher keine Gewaltdelikte bei den Bauern festgestellt werden. Sie haben eine Drohkulisse aufgebaut, die aber auch nur funktioniert wenn man angst vor Traktoren hat. Aber Strafbar war es nicht...

    • @Luftfahrer:

      Die vorher rechtzeitig angemeldeten Demonstrationen sind sicherlich möglich, wurden in der Anfangszeit der LG jedoch nicht bewilligt.

      Welche Optionen gibt es dann? Zuhause rumsitzen und nichts tun? Der Etikette der Demonstration und der Reputation wegen?

    • @Luftfahrer:

      Ich glaube, es geht eher um die (Nicht-)Wirksamkeit. Werden vielleicht deswegen oft auch Radarkontrollen angekündigt?

    • @Luftfahrer:

      Die wissen offenbar nicht, dass viele Klimaaktivisten "vorbeugend" in Haft genommen werden. Unter Umgehung des Rechtsstaates.



      Und - man konnte das erwarten - Bayern ist da mal wieder ganz weit vorne. Die glauben halt, Rechtsstaat kommt von "rechts", und nicht von "Recht"

  • Unerwähnt im Artikel, aber m.E. sehr wichtig: die Fossilindustrie finanziert seit langem "Thinktanks", die die Politik in Sachen Repression "beraten" [1] [2] [3].

    Die Hasswelle hier in Deutschland [4] dürfte eine ähnliche Wurzel haben.

    Und -- wer weiss, ich habe noch keine Recherche dazu gesehen -- möglicherweise werden unsere konservativen und konservativ-liberalen Kräfte auch so beraten.

    Den üblichen Verdächtigen, die jetzt hier kommen und sagen, die LG "hätte so viel Geld": allein die Portokasse der Fossilindustrie hat mehr. Deren Werbeetat hat unermesslich viel mehr. Überlegen Sie sich lieber, ob Sie nicht gerade (unbezahlt!) für die arbeiten und halten Sie die Klappe.

    [1] www.theguardian.co...protest-exxon-koch



    [2] www.theguardian.co...climate-protesters



    [3] www.theguardian.co...s-across-the-world



    [4] www.theguardian.co...oric-says-activist

    • @tomás zerolo:

      "Und -- wer weiss, ich habe noch keine Recherche dazu gesehen -- möglicherweise werden unsere konservativen und konservativ-liberalen Kräfte auch so beraten."

      Isso: web.archive.org/we...u-id217715475.html