Kleiner Parteitag der Grünen: Geschlossen für Waffen und Frieden
Der Länderrat berät über die Ukraine-Politik. Dissens gibt es kaum. Nur die Grüne Jugend stellt das Sondervermögen für die Bundeswehr in Frage.
So sehr aber auch jeder Einzelne mit sich ringt: Am Ende kommen alle zu ähnlichen Schlüssen. Geschlossen treten die Delegierten in Düsseldorf auf. Den Leitantrag des Bundesvorstands, der die Linie der Grünen in der Regierung stützt, erhält eine klare Mehrheit. Der Länderrat steht hinter der Lieferung von schweren Waffen und Investitionen in die Bundeswehr. Auch in der Debatte, die der Abstimmung vorausgeht, offenbart sich wenig Dissens.
Stattdessen skizzieren die Delegierten den Korridor, in dem sich ihre Partei bewegt. Der Ukraine keinen militärischen Beistand zu gewähren, keine Waffen zu liefern, kommt für sie nicht in Frage. Außenministerin Annalena Baerbock sagt in einer Videobotschaft, ein „Diktatfrieden“ nach einem russischen Sieg sei angesichts russischer Kriegsverbrechen „kein Frieden für die Ukrainerinnen und Ukrainer“. Bundestagsfraktionschefin Britta Haßelmann kritisiert Forderungen nach einem Kompromiss zwischen den Kriegsparteien, der die Freiheit der Ukraine „zur Disposition“ stellt.
Eine Absage ist das an Forderungen, wie sie zum Beispiel am Freitag in einem offenen Brief in der Emma erhoben wurden und die auch aus der Friedensbewegung immer wieder zu hören sind: Die Regierung möge Waffenlieferungen unterlassen, da sie das Leid nur verlängerten und den Krieg eskalieren ließen. Bei den Grünen, die 1999 im Streit um den Kosovo-Krieg noch erbitterte Debatten führten, gibt es solche Stimmen 2022 nur noch vereinzelt an der Basis.
Empfohlener externer Inhalt
Auf der anderen Seite geben sich die Delegierten in Düsseldorf aber auch Mühe, den Vorwurf des Bellizismus abzuwehren. Der Spiegel bezeichnet die Partei auf seinem aktuellen Titelbild als „Die Olivgrünen“, kleidet ihre Spitze in Camouflage-Muster. Dieses Bild soll sich nicht festsetzen.
Immer noch Friedenspartei?
Die Grünen „sind und bleiben die Partei“, die genau wisse, dass Waffen keinen Frieden schaffen – sondern höchstens in speziellen Situationen die Voraussetzungen dafür, sagt der hessische Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir. „Wir werden immer Friedenspartei bleiben“, sagt Parteichef Omid Nouripour. Und Claudia Roth beklagt eine „Schieflage in der Debatte“ und Überbietungswettkämpfe bei Forderungen nach schweren Waffen, durch die ernsthafte Debatten „marktschreierisch übertönt“ würden.
Das könnte mal wieder als Kritik an Ex-Fraktionschef Toni Hofreiter zu verstehen sein, der sich in den vergangenen Wochen sehr stark für Waffenlieferungen und ein Energieembargo einsetzte, gepaart mit heftiger Kritik an Kanzler Olaf Scholz. Zum Streben der Grünen nach Harmonie auch im Umgang mit den Koalitionspartnern passte das nicht ganz, mit seinen Auftritten hat Hofreiter daher intern nicht nur Pluspunkte gesammelt.
Kritik am Kanzler bleibt entsprechend auch in Düsseldorf beinahe aus. Am weitesten wagen sich noch Europaabgeordnete aus der Deckung, die in den vergangenen Wochen in Brüssel einige Nachfragen von Kolleg*innen aus anderen Mitgliedsstaaten zu beantworten hatten. Im Ausland habe man das deutsche Regierungshandeln zuletzt „als zögerlich empfunden“, sagt Michael Bloss. Er wünsche sich, dass Scholz seine Politik auch europaweit „noch besser erklärt und auch zuhört“.
Einer der wenigen Änderungsanträge zum Leitantrag kam dann ebenfalls aus Reihen der Europaabgeordneten, federführend von Rasmus Andresen. Wegen der steigenden Lebenshaltungskosten in Folge des Krieges brauche es auf europäischer Ebene neue Instrumente zur sozialen Entlastung. Der Antrag nannte einen EU-Solidaritätsfonds, die Flexibilisierung der Fiskalregeln und eine Steuer auf Übergewinne von Energiekonzernen.
In einem Kompromiss mit dem Bundesvorstand fallen diese konkreten Punkte, die vor allem gegen FDP-Finanzminister Christian Lindner schwer durchzusetzen wären, wieder raus. Übernommen wird am Ende nur die allgemeine Forderung nach Entlastungen. Den Vorschlag der Übersteuer macht sich später immerhin Parteichefin Ricarda Lang in ihrer Rede zu eigen.
Grüne Jugend gegen Sondervermögen
Ein anderer, noch kontroverserer Änderungsantrag kommt von der Grünen Jugend. Sie wendete sich gegen das geplante Sondervermögen, das Kredite in Höhe von 100 Milliarden Euro für Investitionen in die Bundeswehr vorsieht. Der Kanzler hatte die Grünen damit Ende Februar im Bundestag überrumpelt, in der Regierung tragen sie das Vorhaben jetzt trotzdem mit.
Empfohlener externer Inhalt
„Wir müssen anerkennen: Bei der Bundeswehr gibt es Defizite bei den Fähigkeiten und der Ausrüstung“, sagt in Düsseldorf Timon Dzienus, Bundessprecher der Grünen Jugend, der auch gegen die Waffenlieferungen an die Ukraine keinen Einwände hat. Aber, so der Änderungsantrag: Erst müssten die Probleme im Beschaffungswesen der Bundeswehr behoben werden. Dann könne man über mehr Geld reden.
Natürlich müsse das Beschaffungswesen reformiert, werden sagt Parteichef Nouripour in seiner Gegenrede. Aber die Entscheidung über das Sondervermögen lasse sich nicht lange herausschieben. Warte man erst auf eine vollständige Reform, „reden wir von einem ganz anderen Zeitalter“, sagt er. Die Delegierten folgen ihm. Den Antrag der Grünen Jugend weist der Länderrat mit deutlicher Mehrheit ab.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen