Kevin Kühnert in Thüringen: Zwischen Kleingarten und Krieg
Die SPD gibt sich im Thüringer Wahlkampf sachlich und solide. Ob sie damit punkten kann, bezweifeln selbst Genossen.
Die SPD hat im Kreis Altenburg, flächenmäßig so groß wie München, 100 Mitglieder. Wer aktiv ist, ist im Ortsbeirat, Stadtrat, Kreistag. Die SPD-Basis, Funktionäre und Amtsträger, das sind hier die gleichen Leute. Am Dienstagabend ist der harte Kern gekommen. Kein Sympathisant, keine neuen Interessierten haben sich herverirrt.
Kühnert sagt, man könne über alles reden. Auch Migration und Ukrainekrieg seien keine Tabuthemen. Das klingt wie ein Zugeständnis. Die GenossInnen aber interessieren sich mehr für die Feuerwehr, den kaputten Sportplatz in Altenburg und dass die Kleingärten wegen Mangel an Nachwuchs verwildern. Die Kleingärten sind ein Symbol für das drängende demografische Problem. Um sie in Schuss zu halten, müssen sie verkleinert werden. Auch das kostet Geld.
Der Spitzenkandidat spielt nur die zweite Geige
In schrumpfenden Regionen die Infrastruktur intakt und finanzierbar zu halten sei eine zentrale Aufgabe, sagt Georg Maier, SPD-Spitzenkandidat und Innenminister in Erfurt, der sich in Altenburg mit der Rolle als Kühnerts Sidekick bescheidet.
Die Fragen sind kurz, die Antworten lang. Kühnert verteidigt die Ampel und lobt den Mindestlohn. Ein Drittel der Beschäftigten im Altenburger Land hätten von 12 Euro Mindestlohn profitiert. Für die sei das eine Lohnerhöhung gewesen. Kühnert mag Statistiken. Egal, ob es um Güterverkehr oder die Zukunftserwartungen von Ostdeutschen geht, er hat immer eine Zahl parat.
Er redet schnell, dicht, ohne rhetorische Kniffe und klingt manchmal wie ein Sozialkundelehrer, der es mit einer mäßig interessierten Klasse zu tun hat. Er lobt das Handwerk der SPD in der Bundesregierung und sagt: „Ich finde, es ist fast ein Kompliment, zu den Langweiligen zu gehören.“
Das hat eine doppelte Bedeutung. Nach dem Europawahlkampf, mit den Aggressionen und Attacken, soll es bitte ziviler zugehen. Langweilig und solide, das soll auch eine Grenzmarkierung zu den Populisten sein, die alles Mögliche versprechen. Der Preis dafür ist aber: Es leuchtet nicht. Kühnerts Lob der Sachlichkeit klingt, als würde Olaf Scholz reden.
Niemand will mit Kühnert diskutieren
Es ist erstaunlich, wie rückstandfrei der damals so freche, blitzgescheite, originelle Juso-Chef Kühnert in der Funktion des Generalsekretärs verschwunden ist. Kühnert macht den Job seit zweieinhalb Jahren. Er ist im Alltag angekommen, vielleicht auch in einem handfesten Pragmatismus versunken. Am Ende lobt er in Altenburg die Diskussion. Man habe gezeigt, dass man sich dabei „nicht die Köpfe einschlägt“. Doch eine Diskussion gab es eigentlich nicht, nur Fragen und Antworten.
Am 1. September wird in Thüringen gewählt. Die SPD regiert seit 15 Jahren in Erfurt mit. In Umfragen liegt sie bei 7 Prozent. Die SPD setzt auf Soziales. Wer Grundrente bekommt, soll 500 Euro Weihnachtsgeld pro Jahr vom Land bekommen. Der Mindestlohn soll auf 15 Euro steigen. Wer Angehörige pflegt und deshalb nicht arbeiten kann, soll Geld vom Land bekommen.
Und natürlich soll es mehr mehr Polizei geben. Das sind gute Ideen. Sie sind auch im Landtag umsetzbar. Nicht wie bei der Wagenknecht-Truppe. Die, so Kühnert, suggeriere, dass der Weltfrieden in Erfurt beschlossen werden könne.
Frank Rauschenbach, 37, roter Bart, arbeitet als Schichtleiter in einem Chemiewerk und ist der SPD-Direktkandidat in Altenburg. Er selbst ist wegen der niedrigen Löhne in die SPD eingetreten. Er hofft, sagt er der taz, dass 15 Euro Mindestlohn und Weihnachtsgeld für GrundrentnerInnen als Themen zünden. Im Wahlkampf hat er bisher wenig Übles erlebt.
SPDler als „Kriegstreiber“ beschimpft
„Der Frust gegen die SPD richtet sich eher nicht gegen mich, die Leute kennen mich ja“. Neulich ist er auf dem Marktplatz mal als „Kriegstreiber“ beschimpft worden. Ukrainekrieg, Migration und Bürgergeld, das sind die Themen, über die die Leute im Wesentlichen reden. Das sagen auch viele SPD-Leute.
Der Wahlkampf der Sozialdemokraten macht um diese drei Themen indes einen Bogen. Offenbar glaubt man nicht, damit punkten zu können. Heike Taubert ist SPD-Finanzministerin. „Die Diskussion um die US-Raketen nutzt uns als SPD nichts.“ Aber Leute, „die früher glaubten, dass der Sozialismus bewaffnet sein muss“ und heute Friedensparolen schwingen, findet sie unglaubwürdig.
Kühnert wandert eine Woche lang durch Thüringen. Das passt. Wandern ist sein Hobby. Er ist gerade aus dem Urlaub aus Österreich zurückgekommen und sieht am Mittwochnachmittag müde aus. Generalsekretär der SPD zu sein scheint derzeit keine gesundheitsfördernde Tätigkeit zu sein.
Am Mittwochnachmittag steht er dann auf der Schmirchauer Höhe, einem künstlichen und soeben erwanderten Berg. Zu DDR-Zeiten war hier ein 240 Meter tiefes Loch, Uranerz-Tagebau. Einst wurden in dieser Gegend 13.000 Tonnen Uran für sowjetische Atomkraftwerke und Atomraketen gefördert. Heute ist hier ein Naherholungsgebiet. Oben auf der Höhe mit hübschem Blick über Ostthüringen und Sachsen.
Alles ist für ihn ein Skandal
Uwe Meisner, Ende 50, mit Sonnenhut, ist mitgewandert. Er ist der einzige Nicht-Sozialdemokrat, den Kühnert in den ersten beiden Tagen seines Thüringen-Trips trifft. Meisner ist bei den den Freien Wählern, war im Ortsschaftsrat aktiv und verfügt über gefestigte Ansichten.
Die Welt erscheint ihm als Skandal: ein durch Pflanzen verdecktes Straßenschild in Greiz ebenso wie das Gehalt von ARD-Intendanten bis hin zum Bürgergeld. Arbeit, sagt Meisner, lohne sich nicht mehr, weil das Bürgergeld so hoch sei. „Es kann doch nicht sein“, ist der Refrain seiner Sätze. Was denn Kühnert dazu zu sagen habe.
Der antwortet geduldig und zugewandt. Es sei völlig richtig: Der Abstand zwischen Bürgergeldempfängern und Arbeitenden „sei zu gering“. Allerdings habe, wer für Mindestlohn arbeitet, ja, anders als Konservative und Medien behaupten, nichts davon, wenn Bürgergeldempfänger weniger bekämen. „Davon wird der Kühlschrank ja nicht voller“. Daher müsse der Mindestlohn auf 15 Euro steigen, wie die SPD fordert, damit der Abstand wieder stimme.
Das ist zwar eine gute, sozialdemokratische Antwort. Aber das Bürgergeld, gedacht als Ausweis ihrer Kernkompetenz, ist für die SPD im Wahlkampf eher zum Klotz am Bein geworden. Seine Partei, sagt Kühnert beim Wandern, habe „die Aufmerksamkeit zu sehr auf diejenigen gelenkt, die staatliche Unterstützung bekommen“. So sei der Eindruck entstanden, die SPD würde sich nicht mehr um die Normalverdienenden kümmern. Kurzum – kein Gewinnerthema. Man mache eben einen antipopulistischen Wahlkampf, sagt ein führender Thüringer Sozialdemokrat.
SPD: bieder statt populistisch
Pragmatisch, sachlich, erdverbunden – so will die SPD auch in Thüringen gesehen werden. Man wird sehen, ob dieses etwas biedere, freundliche, lösungsorientierte Ethos des Sachlichen das richtige Mittel gegen die Sirenengesänge des Populismus ist.
Mittwochabend in Saalfeld. Etwa 40 GenossInnen in einem Garten unter freiem Himmel. Steffen Lutz, der örtliche SPD-Direktkandidat, will von dem Promi-Gast aus Berlin wissen, warum die SPD so schlecht performt. Bei der Bundestagswahl 2021 hätten in Thüringen 21 Prozent SPD gewählt, sagt Kühnert, insofern gebe es Hoffnung. Und es gehöre zu seiner Jobbeschreibung, „dass das Glas nicht halb leer, sondern halb voll ist“, sagt er erstaunlich ironiefrei.
In Saalfeld dauert es eineinhalb Stunden, ehe ein Genosse fragt, was man denn falsch gemacht habe, dass die AfD so stark sei. Kühnert sagt dazu knapp, er sei „froh, dass wir nicht nur um die AfD kreisen“.
Bei der Europawahl, dem ersten Wahlkampf unter Kühnerts Führung, hat die SPD auf Anti-AfD und Scholz als Friedenskanzler gesetzt. Funktioniert hat das nicht. Jetzt scheint die SPD in Thüringen AfD und Frieden am liebsten großräumig umfahren zu wollen. Ein SPD-Genosse glaubt, dass die Thüringer Wahlkampfthemen Grundrente, Polizei, Mindestlohn und Pflege zwar wichtig und richtig sind, aber nur wenige interessieren. Vielleicht riskiert die SPD gerade, solide und sachlich, zu wenig.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
BGH-Urteil gegen Querdenken-Richter
Richter hat sein Amt für Maskenverbot missbraucht
Stromversorgung im Krieg
Ukraine will Atomkraft um das Dreifache ausbauen