Katalonien und andere Separatisten: Reiche wollen unter sich bleiben

Unabhängigkeitsbewegungen gibt es derzeit in vielen europäischen Staaten, es drohen neue Konflikte. Viel anzubieten haben sie aber nicht.

Ein Torrero reizt einen Stier

Gereizt vom Rest des Landes Foto: Eléonore Roedel

Die aktuelle Situation in Katalonien könnte im Zusammenspiel mit anderen Entwicklungen in Europa bald eine bedrohliche Dynamik entfalten. So hat das Brexit-Referendum vom Juni 2016 separatistischen Bewegungen Auftrieb gegeben: Die schottische Regionalregierung sowie die in Nordirland mitregierende Sinn Féin wollen die anstehenden Brexit-Verhandlungen dazu nutzen, sich vom Vereinigten Königreich zu trennen. In weiteren 15 EU-Mitgliedstaaten sind Regionalparteien auf Unabhängigkeitskurs und bekunden ihre Solidarität mit der katalanischen Regionalregierung.

Interessant sind deshalb folgende Fragen: Wie groß ist die Gefahr des Separatismus innerhalb der EU derzeit einzuschätzen? Was bedeutet sie für den europäischen Integrationsprozess? Und welche Lösungskonzepte haben die Mitgliedstaaten und die Brüsseler Institutionen derzeit anzubieten?

Blickt man auf Katalonien, scheint es auf eine Konfrontation hinauszulaufen: Wie schon beim ersten Abstimmungsversuch im Herbst 2014 will sich Barcelona über die verfassungsmäßige Ordnung Spa­niens hinwegsetzen. Seine Ankündigung einer Unabhängigkeitserklärung für den kommenden Montag provozierte ein erneutes Einschreiten des spanischen Verfassungsgerichts. Auf Antrag der katalanischen Sozialisten, die zusammen mit Konservativen und Ciudadanos in der Opposition sind, hat es die Sitzung des Regionalparlaments verboten.

Äußerst relevant ist das Phänomen, dass sich gerade wirtschaftlich potente Regionen von ihrem Natio­nalstaat lösen wollen. Ob Katalonien, Schottland, Flandern oder Südtirol, die Argumente für einen unabhängigen Staat ähneln sich: Im Vordergrund steht die Behauptung, der Zentralstaat sorge für eine Umverteilung der materiellen Ressourcen auf na­tio­naler Ebene, die ungerecht sei. Während sich die schwachen Regionen auf diesem Finanzausgleich ausruhten, müssten die reicheren immer mehr finanzielle Verpflichtungen schultern.

Katalonien ist nicht alleine

Seit 2008 hat sich die Staatsverschuldung Spaniens auf 100 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) verdoppelt und 1,1 Billionen Euro erreicht. Diese Krise belastet die Beziehungen zwischen Zentral- und Regionalregierung. Obwohl die Katalanen 16 Prozent der Bevölkerung Spaniens ausmachen, erwirtschaften sie rund 23 Prozent des spanischen BIP. Der katalanische Finanzminister Oriol Junqueras erklärt den Erfolg unter anderem damit, dass die Katalanen mit Geld umzugehen verstünden. Diesen Erfolg möchte er nicht mehr mit anderen Regionen teilen: Es sei „die Zeit gekommen, dass die Katalanen selbst über ihre Zukunft entscheiden“.

Zugleich aber ist Katalonien zusammen mit Valencia die spanische Region mit den höchsten Schulden, gemessen an ihrer Wirtschaftsleistung wie auch pro Kopf der Bevölkerung. Im Jahr 2012 musste Madrid eigens einen nationalen Liquiditätsfonds auflegen und sich zusätzlich bei der Europäischen Zentralbank verschulden, um Katalonien, Valencia und Murcia vor dem Bankrott zu bewahren. So ist es kein Zufall, dass der katalanische Ministerpräsident Charles Puigdemont das Referendum auf den 1. Oktober 2017 legte, nachdem sich seine Regierung mit einem US-amerikanischen Investor getroffen hatte.

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Katalonien steht mit seinen separatistischen Forderungen nicht allein. Der Vorreiter für eine Loslösung von Spanien ist das Baskenland. Für dieses Ziel führte die Terrororganisation ETA bis zum Jahre 2011 einen bewaffneten Kampf. Doch auch etablierte baskische Parteien haben den unabhängigen baskischen Staat auf ihrer Agenda, z. B. die Baskische Nationalistische Partei (EAJ/PNV). Sie stellte bis 2009 den Ministerpräsidenten und konnte deshalb Madrid einen Plan zur Erlangung der Unabhängigkeit vorlegen. Dieser sogenannte Plan Ibarretxe fand zwar eine Mehrheit im Regionalparlament, nicht jedoch im spanischen Abgeordnetenhaus. Aus Furcht vor einem solchen Misserfolg lehnt die katalanische Regionalregierung die Dialogangebote der Zentralregierung über ­einen Ausbau ihrer Autonomierechte ab.

Bereits im Sommer warnte der ehemalige spanische Innenminister Jaime Mayor Oreja vor der Gefahr einer gewaltsamen Eskalation in Katalonien. Selbst baskischer Herkunft, hatte er im Jahre 1996 mit der ETA Verhandlungen über einen Waffenstillstand geführt. Umso schwerer wiegt seine Einschätzung, dass man diese Terrororganisation zwar schwächen konnte, nicht aber ihr politisches Projekt, Spanien mithilfe der nationalistischen Ideologie aufzuteilen. Heute sei sie nicht nur im Baskenland, sondern auch in Navarra und Katalonien präsent.

Auch die Katalanen sind auf Expansion aus

Noch im April 2016 gingen in Bilbao Zehntausende für eine Amnestie von 260 inhaftierten ETA-Terroristen auf die Straße. Dabei schauen sie auf Nordirland, wo die britische Regierung allen ehemaligen Kämpfern der Irisch-Republikanischen Armee (IRA) Straffreiheit zugesichert hat. Dennoch erweist sich das nordirische Friedensabkommen von 1998 bis heute als brüchig. In den letzten Jahren ist es immer wieder zu gewaltsamen Ausschreitungen gekommen. Es bedarf nur eines geringen Anlasses, und die alten Wunden reißen wieder auf.

Zu einem solchen Stolperstein könnten die Brexit-Verhandlungen werden. Denn Sinn Féin, der politische Arm der IRA, sieht darin eine Chance, der Vereinigung mit der Republik Irland ein Stück näher zu kommen. Sie fordert für Nordirland einen Sonderstatus innerhalb der EU, was einem Austritt aus dem Vereinigten Königreich gleichkommt. Seit Anfang 2017 boykottiert sie die Bildung der Regionalregierung, an der sie als stärkste Kraft im irisch-republikanischen Lager beteiligt werden muss.

Die separatistischen Regionalparteien bekennen sich zur europäischen Integration und sehen darin ein Kriterium, das ihren regionalen Nationalismus von dem auf zentralstaatlicher Ebene unterscheidet. Dokumente der regierenden Republikanischen Linken Kataloniens (ERC) zeigen jedoch, dass auch sie auf Expansion aus sind.

Bereits in ihrer „Ideologischen Deklaration“ von 1993 ist von einer „imperialen Aufteilung“ der katalanischen Nation die Rede. Danach wird Andorra der katalanischen Region Alt Pirineu i Aran zugeschlagen, ein Teil der französischen Pyrenäen als „Nordatalonien“ bezeichnet und werden die beiden spanischen Provinzen Valencia und die Balea­ren zum historischen Katalonien gerechnet. Die Unabhängigkeit Kataloniens würde also Territorialkonflikte nach sich ziehen.

Der regionale Separatismus ist ein Rückschlag für die EU

Deshalb wird eine Reihe von EU-Mitgliedstaaten ein Veto gegen die Anerkennung eines unabhängigen Katalonien einbringen. Für diesen Fall hat die in Katalonien mitregierende ERC im Bündnis mit anderen sezessionistischen Regionalparteien der Europäischen Freien Allianz (EFA) bereits eine Strategie entwickelt. Unter dem Motto „innere EU-Erweiterung“ schlagen sie einen Mechanismus vor, nach dem abtrünnige Regionen als neue Mitglieder in der EU verbleiben.

So könnte vermieden werden, dass zum Beispiel Katalonien oder Schottland mit Ausrufung ihrer Unabhängigkeit auch die EU verlassen müssen. Sie hoffen auf Unterstützung durch EU-Institutionen und darauf, dass in einer sich zuspitzenden Krisensituation beispielsweise der Europäische Rat per Mehrheitsbeschluss ihre Eigenstaatlichkeit anerkennt. Doch das würde einen noch größeren Riss durch die Gemeinschaft ziehen als derzeit die Migra­tionspolitik.

Ein erster Präzedenzfall könnte bereits im Zuge der Brexit-Verhandlungen geschaffen werden, nämlich mit Nordirland. Denn nur wenige Tage nach den jüngsten britischen Parlamentswahlen wurde Simon Coveney zum neuen irischen Außenminister nominiert. Während sich der scheidende Charlie Flanagan als Vermittler in die Nordirland-Verhandlungen um eine Regierungsbildung einbrachte, ergreift sein Nachfolger Partei für Sinn Féin: Seine erste Auslandsreise führte ihn nach Luxemburg, wo er mit dem Chef­unterhändler der EU-Kommission für die Brexit-Verhandlungen, dem Franzosen Michel Barnier, zusammentraf. Nach seinem Treffen gab er bekannt, dass Nordirland nun einen Sonderstatus innerhalb der EU brauche. Damit hat er faktisch den Vorschlag von Sinn Féin aufgegriffen.

Die europäische Integration lebte bisher von ihrem Nimbus als Friedensprojekt. Dies setzt stabile Staaten und deren Staatsgrenzen voraus. Ziel der EU ist eine immer enger werdende Zusammenarbeit. Dabei sollen die Grenzen durchlässiger und möglicherweise überwunden werden. Aus diesem Blickwinkel betrachtet, bedeuten der regionale Separatismus und seine nationalistische Ideologie einen Rückschlag. Sie diskreditieren die verschiedenen Modelle von Regionalautonomien als Sprungbrett in die Eigenstaatlichkeit und blenden Alternativen wie föderale Modelle aus. Doch gerade darüber ­diskutieren die Spanier seit ge­raumer Zeit.

Für die Bürger nur eine Reise ins Ungewisse

Der Separatismus bringt die von der Finanzkrise gebeutelten Nationalstaaten nun auch auf politischer Ebene existenziell in Bedrängnis. Dabei sind die EU-Mitgliedstaaten bis heute die tragenden Säulen der europäischen Integration, die allen Defiziten zum Trotz den Unions­bürgern Rechtssicherheit und Demokratie garantieren. Dagegen haben die europäischen Institutionen wie EU-Parlament oder EU-Kommission noch einen Weg der Demokratisierung vor sich. Dazu könnte gehören, den Europäischen Ausschuss der Regionen mit mehr Kompetenzen auszustatten. Separatistische Kräfte dagegen bieten ihren Bürgern und der EU nur eine Reise ins Ungewisse an.

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ist Wissenschaftlerin der Stiftung Wissenschaft und Politik und lehrt Politikwissenschaft an der Universität Magdeburg. 2016 erschien ihre SWP-Studie „Föderalismus statt Separatismus“.

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