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Beeindruckend gut lesbare Ausführungen Ulrike Herrmann im Detail. Danke!. Was fehlt ist der deutsche Part, abgesehen von Andeutungen, dass das deutsche BIP binnen 7 Jahren um 12 % gewachsen ist, nämlich Deutschland als Exporteltmeister zu Lasten anderer EU-Länder in einem asymmetrisch aufgestellten Welwtirtschafs- und Währungssystem bei nahezu 300 Milliarden €/anno deutschen Handelsbilanzüberschüssen durch den europaweit branchenübergreifend größten Niedriglohnsektor bis in den Bundestag, Landtage, Unis, Forschung, Bildungs- , Pflege- , Gesundheitssystem seit Einführung der Arbeitsmarktreform Agenda 2010/Hartz IV Gesetze 2003 unter Bruch der Maastricht Kriterien.
Wer den Ursachen selektiv deutschen Glanz & Glorias für die immer wenigeren zu Lasten der anwachsend Vielen auf den Grund geht, landet konsequent unweigerlich bei dem historsch kaum belastbaren Narrativ Deutscher Einheit dem "Zwei Plus Vier Vertrag" am 12. September 1990 im Moskau beschlossen statt einem Friedensvertrag mit 53 Staaten in Europa, der Welt, eine nachhaltige Ausgleichs- , Entschädigungsökonomie aus der Taufe zu heben, die für öffentlichen und allgemeinen Wohlstand steht, als galt es für die Flakhelfer Bundeskanzler helmut Kohl, Außenminister Hans-Dietrich Genscher die Höhe 89 zu erobern ohne Blick für den historischen Kontext in Europa, vor allem dem Balkan, Asien, Naher, Mittlerer Osten, Nordafrika zu bedenken.
Wenn Flakhelfer #Genscher #Kohl Höhe 89 erobern gibt`s #ZweiPlusVierVertrag statt #Friedensvertrag für #Europa https://joachimpetrick.wordpress.com/2017/10/30/zwei-plus-vier-vertrag-1990-mangel-ist-heilbar-ein-europa-grenzuebergreifender-regionen-zu-foerdern/
Etwas mehr Wirtschaftsanalyse täte dem Beitrag gut. Das wirtschaftliche Zentrum Europas liegt in der Mitte, und das aus zwei Gründen: 1. die relative Grösse der Zentralmächte Frankreichs und Deutschlands und 2. die geografische Lage, die einen Handelsverkehr in alle Richtungen erlaubt. Randzonen sind deshalb generell im Nachteil. Für Spanien bedeutet der Tourismus und die Landwirtschaft alles, auch da hat Katalonien Vorteile gegenüber Restspanien, weil es näher am Zentrum liegt, genauso wie Norditalien gegenüber dem Süden. Und seit dem Zusammenbruch des Ostblocks hat auch der europäische Osten gigantisch aufgeholt, Polen ist ein Paradebeispiel dafür. Die nationalistischen Strömungen haben nicht viel mit angeblichem Abgehängtsein zu tun, die Grundfrage wird nur nebenher im Artikel angesprochen, denn es ist die immer einseitigere Profitschöpfung der globalen Unternehmen, die in krassem Gegensatz zu einer gerechteren Verteilung steht. Das ist nicht ein problem der EU oder einzelner Länder, sondern ein globales Problem, auf das die Linke keine richtige Antwort finden wird, wenn sie auf nationalen Ebenen stecken bleibt.
Für vorgestrige linke Dogmatiker, Frau Herrmann, hat immer alles mit Ausbeutung und dem garstigen Kapitalismus zu tun. Im Fall Katalonien liegt er Fall ein wenig anders, auch wenn in Andalusien gern das Schmählied von den geizigen, geldgierigen Katalanen gesungen wird. Die paar "Separatisten", die immer schon für Kataloniens Eigenstaatlichkeit waren, sind die katalanischen Linken. Die Esquerra Republicana de Catalunya, die Partei des letzten, unter Franco exekutierten katalanischen Regierungschefs aus den Zeiten der Republik, und die antikapitalistische Linke, die such seit etwa 10 Jahren bei der CUP sammmelt. Katalonien ist eine Nation, ein Volk ohne Staat, wurde aber innerspanisch marginalisiert und international ignoriert. Der unfaire Länderfinanzausgleich, der Katalonien in haarsträubender Weise aussaugt - so, dass Katalonien landeseigene Autobahnen bemauten muss, Andalusien aber nicht - hat auch biedere Bürger und Bauern, die jahrzehntelang bei der bürgerlichen Regionalpartei CiU ihr Kreuzlein machten, aufgebracht, aber das Fass lief erst über, als die postfranquistische Volkspartei PP, damals in der Oppostion, das von Katalonien mit Zapatero-Regierung ausgehandelte, erweiterte Autonomie-Statut vom Verfassungsgericht nicht nur zu Fall bringen ließ, sondern auch noch in die seit Jahrzehnten bestehende Bildungsautonomie eingreifen ließ.
Enttäuschung ist schon das richtige Stichwort. Nur ist es die Enttäuschung von Gläubigen, denen ihr Gott nicht schenkt, was sie erbeten haben. Es ist die Enttäuschung unaufgeklärter Selbstbetrüger.
Wer „wieder“ jemand werden will, der muss sich einbilden, dass er mal jemand war. Nun wären die vermeintlich Zukurzgekommenen in den angeblich „guten alten Zeiten“ nicht wirklich Herrscher gewesen. Sie hätten sich nur mit einem völlig unverdienten Distinktionsgewinn über ihren Untertanenstaus hinwegtrösten können. Es hat damals genügt, weiß zu sein, männlich, Christ oder Deutscher, um etwas zu gelten. Beweisen brauchte man seine angebliche Überlegenheit nicht.
Das ist heute anders. Die wenigsten Menschen sind heute noch bereit, sich anderen allein aufgrund einer Gruppenzugehörigkeit zu unterwerfen. Gruppen schützen ihre Mitglieder nicht mehr. Nackte Kaiser werden nicht hofiert. Nur reiche und/oder bewaffnete. Für Menschen, die autoritär geprägt wurden, ist das ein Problem.
Manche Leute haben gelernt, dass ihre Seligkeit abzuhängen hat von der (eingebildeten) Macht über andere. Erlaubt man ihnen nicht zu herrschen, fühlen sie sich quasi um ihr Erstgeburtsrecht betrogen. Nun, da sie „groß“ sind, wollen sie, was Papa hatte, als sie noch ganz klein waren. Aber wo alle kulturellen Zuschreibungen erbarmungslos ignoriert werden zugunsten schnöden Mammons, kriegt man für seinen Status allenfalls noch das, was übrig bleibt, wenn alle Cleveren und Rücksichtslosen sich bedient haben: Nicht genug.
Die einzige Kunst, die gelernte Untertanen blind beherrschen, zählt heute nicht mehr. Nach oben zu buckeln, bedeutet nicht mehr automatisch, dass man nach unten treten darf. Herren zu respektieren, bedeutet nicht, selber als Herr respektiert zu werden. Das ist natürlich eine Zumutung. Und wie hat man auf Zumutungen zu reagieren als autoritär Erzogener? Genau! Mit Gebrüll und Gewaltdrohungen. Hat doch früher auch geholfen…!
“Die Unabhängigkeitsbewegung in Katalonien ist ein Signal der Hoffnungslosigkeit, was in Berlin und Brüssel nicht verstanden wird.“ - Ich vermute Vorsatz?
Der Cartoon aus der taz war treffender als ich bereits vermutete: Zitat "Den EURO den Katalanen und Spanien den FRANCO". Franco starb friedlich, noch an der Macht, 1975.
Ein Blick in die Personalie Rajoy hilft ein wenig weiter:
Im Jahr 1976 wurde in Spanien die Bildung politischer Parteien wieder zugelassen.
Neu gegründet wurden auf der Rechten viele kleinere Gruppierungen, unter anderem die Reforma Democrática, gegründet vom ehemaligen Minister unter Franco Manuel Fraga Iribarne (1922–2012). Fraga war zu diesem Zeitpunkt Innenministerund Vize-Ministerpräsident der ersten Regierung von Adolfo Suárezunter König Juan Carlos I.
Franz Josef Strauß unterstützte mit Hilfe der CSU-nahen Hanns-Seidel-Stiftung aktiv die Gründung der Alianza Popular, um rechtsorientierte und rechtskonservative Gruppen in Spanien zu bündeln.
Seit 2005 kenne ich die rot-gold gestreifte Flagge Kataloniens mit dem Blauen Dreieck und dem Stern. Ein Hinweis auf Kuba?
Innerhalb des Prinzipats ist Katalanisch die offizielle Sprache neben dem Kastellanischen (Spanisch) und der okzitanischen Sprache, die in Arán gesprochen wird. In verschieden Epochen, zuletzt unter der Diktatur des Generals Franco war die Sprache illegal. Auch katalanische Namen und der katalanische Nationaltanz Sardanes waren verboten.
Im 21. Jh. > 7 Millionen Einwohner, multikulturell und heterogene Gesellschaft. Vier Provinzen: Barcelona, Tarragona, Leida und Cirona. Aber die wichtige Aufteilung in 41 Landkreise ist ein sehr bedeutender Faktor für die Identität. Barcelona ist die Hauptstadt Kataloniens mit einem grossen Einfühlungsvermögen für kulturrelle, künstlerische und gesellschaftliche Strömungen, die von außen kamen. Ein Kompass für die Avantgarde und wirtschaftlicher Motor. Die kreativste Stadt, die ich kenne.
Guten Morgen, schlafendes Europa!
Sorry, aber es macht wirklich keinen Sinn, das alles in einen Topf zu werfen, auch wenn ich dem Fazit des Artikels am Ende recht geben will.
Ich hatte in den 90ern freundschaftlichen Kontakt mit einer Katalanin. Ich kann bestätigen, dass es schon damals eine starke Unabhängigkeitsbewegung gab, die auf kulturellen Unterschieden gründete (unter anderem auch was die Stellung der Frau in der Gesellschaft betrifft). Jeder, der z.B. ein Auslandssemester in Barcelona verbracht hat - in der irrigen Meinung, dort Spanisch lernen zu können - wird ein Lied davon singen, dass das nicht alles überraschend und neu ist. Die Einheit Spaniens unter Vorherrschaft der kastillischen Identität war immer schon ein Illusion: Sie wurde mit Gewalt in den Wirren des WKII durchgesetzt und danach mit Machtmitteln und vorsätzlicher Ignoranz aus Madrid aufrecht erhalten.
Die Bewohner Kataloniens haben einen langen Weg hinter sich. In den letzten 11 Jahren und insbesondere seitdem die quasi-postfaschistische PP in Madrid an der Macht ist, haben sie viele Rückschritte einstecken müssen. Das ist der Hintergrund der derzeitigen Ereignisse in Katalonien.
Und natürlich hat das auch etwas mit der ökonomischen Krise in Europa und in Spanien zu tun - einer schwachen Zentralregierung z.B. die sich zunehmend für ihr Versagen, ihr Vorgehen gegen die eigene Bevölkerung und ihre Korruption rechtfertigen muss und die aus dieser Schwäche ihrem immer schon latent vorhandenem eigenen rigiden Autoritarismus verfällt.
Der Aufstieg von Podemos ist allerdings auch ein Phänomen der Krise. Wäre Podemos in Madrid schon an der Macht, wäre es vermutlich nicht zu diesem Bruch gekommen.
Mit Tschechien, Norditalien oder Österreich das im Detail nicht vergleichbar.
Richtig ist finde ich aber die Analyse, dass Europa in einer schweren wirtschaftlichen und kulturell-politischen Krise steckt, verursacht durch die jahrzehntelang nahezu unangefochtene Hegemonie des Neoliberalismus innerhalb der europäischen Eliten.
Selten so gut analysiert und deutlich gesagt wie hier, selbst bei anderen TAZ Artikel. Danke Frau Herrmann.
@Ariel Dem schließe ich mich an!
Der Krieg zwischen Israel und der Hamas lässt alte Konflikte in der linken Szene wieder aufbrechen. Ein Dialog erscheint so gut wie unmöglich.
Debatte Europäischer Separatismus: Im Namen des enttäuschten Volkes
Die Erfolge der Separatisten und Nationalisten haben ökonomische Ursachen. Ob in Katalonien oder Tschechien – es wurde ein Versprechen gebrochen.
Hoppe, hoppe Reiterin – es geht um Wohlstand und Gewinn Illustration: Eléonore Roedel
Die katalanische Regierung will sich von Spanien abspalten, die Lombardei und Venetien wünschen sich mehr Unabhängigkeit von Italien, die Wahl in Tschechien gewinnen EU-skeptische Rechtspopulisten. Und auch Österreich rutscht nach rechts, nachdem sich der Wahlkampf allein um Zuwanderung und Flüchtlinge gedreht hat.
Diese Ereignisse der vergangenen zwei Wochen wirken zunächst sehr disparat: Der Kampf um regionale Eigenständigkeit ist schließlich nicht das Gleiche wie die Abwehr von Migranten. Zudem wollen die Katalanen explizit in der EU bleiben, während die österreichische FPÖ einen Anti-EU-Wahlkampf hinter sich hat. Trotzdem ist der Kern ähnlich: Es wird eine vermeintliche Volksidentität behauptet und verteidigt. Viele Katalanen fühlen sich nicht mehr als Spanier, für viele Tschechen und Österreicher muss die eigene „Nation“ möglichst rein von „Fremden“ sein.
Alle eingangs beschriebenen Konflikte haben eine lange Tradition: Der katalanisch-spanische Konflikt reicht bis ins späte Mittelalter zurück und wurde zu Francos Zeiten mörderisch. Die mentalen und ökonomischen Unterschiede zwischen Nord- und Süditalien lassen sich ebenfalls bis ins Mittelalter zurückverfolgen – und vielleicht sogar bis ins antike Rom. Die FPÖ wiederum kann nur deshalb so unverschämt völkisch sein, weil die österreichischen Naziverstrickungen niemals aufgearbeitet wurden. Es ist mehr als nur ein Bonmot, dass der Österreicher Adolf Hitler in Österreich als Deutscher gilt.
Aber gerade weil es sich um historische Kontinuitäten handelt, können diese nichts erklären. Ginge es nur um kulturelle Prägungen, wären die separatistischen Bewegungen und die fremdenfeindlichen Parteien viel früher überall erstarkt. Es muss einen Auslöser geben für diesen Traum von einer eigenen, privilegierten Identität.
Was auffällt: Ob in Katalonien oder Tschechien – überall wurde das Versprechen gebrochen, dass Europa Wohlstand bedeutet. Überall nehmen die Verlierer zu, die um ihren Status fürchten und sich um ihre Hoffnungen betrogen sehen.
Spanien
Beispiel Katalonien: Einige überzeugte Separatisten gab es immer, aber zur Massenerscheinung wurde die Unabhängigkeitsbewegung erst, als Spanien in die Eurokrise rutschte. Die Arbeitslosenquote stieg auch in Katalonien steil an und liegt noch immer bei 13 Prozent – offiziell. Die Dunkelziffer ist weit höher. In dieser Not erschien es plötzlich vielen attraktiv, die etwa 16 Milliarden Euro, die Katalonien jedes Jahr netto an den spanischen Zentralstaat abführt, lieber zu behalten.
Die Unabhängigkeitsbewegung in Katalonien ist ein Signal der Hoffnungslosigkeit, was in Berlin und Brüssel nicht verstanden wird. Denn dort hält man daran fest, dass Spanien jetzt wieder prosperiert! Das ist nicht ganz falsch, Spaniens Wirtschaft wuchs in den vergangenen drei Jahren mit jeweils etwa 3 Prozent. Für Berlin und Brüssel folgt daraus, dass der drakonische Sparkurs richtig war, der allen Krisenländern in der Eurozone aufgezwungen wurde. Doch dieses Selbstlob aus den Machtzentralen klingt vor Ort nur zynisch, denn die Zahl der Arbeitslosen bleibt hoch, obwohl es einen Aufschwung gibt.
Italien
Beispiel Norditalien: Die Lombardei ist zwar die fünftreichste Region in Europa, aber auch dort beträgt die Arbeitslosenquote etwa 12 Prozent. Die Provinz kann sich nicht von der Rezession in Gesamtitalien entkoppeln. Seit der Finanzkrise 2008 ist die italienische Wirtschaftsleistung um mehr als 6 Prozent geschrumpft. Dies mag harmlos klingen, ist aber seit dem Zweiten Weltkrieg in keinem anderen großen Industrieland vorgekommen.
Nur zum Vergleich: Die deutsche Wirtschaft ist in der gleichen Zeit, also in den vergangenen zehn Jahren, um 12 Prozent gewachsen. Man stelle sich einmal vor, dass die deutsche Wirtschaft genauso stark geschrumpft wäre wie die in Italien und summiert 18 Prozentpunkte von der heutigen Wirtschaftsleistung fehlen würden. Die AfD wäre da wohl längst stärkste Partei in Deutschland. Es ist vor diesem Hintergrund erstaunlich, wie politisch stabil Italien, das von außen gern als chronisch chaotisch wahrgenommen wird, noch immer ist.
Deutsche vermuten häufig, dass die Italiener selbst schuld seien, wenn ihre Wirtschaft leidet. Beliebt ist das Klischee, dass „die Südländer“ einfach nicht mit Geld umgehen könnten. Geflissentlich wird übersehen, dass Italien ein Opfer der falschen Europolitik war.
Der Beginn der Katastrophe lässt sich datieren: 21. Juli 2011. Damals wurde bekannt, dass es einen Schuldenschnitt für das bankrotte Griechenland geben sollte. Objektiv hat Griechenland nichts mit Italien zu tun. Aber das interessierte die panischen Investoren nicht mehr. Sobald das erste Euroland in die Insolvenz geschickt wurde, sahen sie sich nach dem nächsten möglichen Kandidaten um, wo man Geld verlieren könnte. Italien fiel sofort unangenehm auf, denn es schob Staatsschulden von knapp 120 Prozent der Wirtschaftsleistung vor sich her. Nun spielte es keine Rolle mehr, dass Italien diese Staatsschulden immer pünktlich bedient hatte. Panik ist Panik.
Die Zinsen für italienische Staatsanleihen stiegen auf über 7 Prozent, das Land drohte in die Pleite zu rutschen. Hektisch wurden die Staatsausgaben reduziert, sodass eine schwere Rezession folgte. 2012 schrumpfte die Wirtschaft um 2,8 Prozent, 2013 noch mal um 1,7 Prozent, und eigentlich hat sich Italien bis heute nicht von dem Schock des 21. Juli 2011 erholt. Die für dieses Fiasko Verantwortlichen saßen nicht in Rom, sondern in Berlin: Kanzlerin Merkel und ihr Finanzminister Schäuble. Trotzdem erscheint es in der Lombardei und in Venetien nun attraktiv, sich so weit als möglich vom Gesamtstaat Italien auszugliedern.
Österreich
Österreich hingegen wirkt ökonomisch sehr robust. Die offizielle Arbeitslosenquote ist niedrig, und die soziale Absicherung scheint auch zu funktionieren: Neuerdings gibt es sogar eine Mindestrente von 1.000 Euro. Wer in seinen Arbeitszeiten nicht genug verdient hat, wird im Alter bezuschusst.
Österreich mag wie ein Paradies wirken, doch dabei gerät aus dem Blick, dass die Angestellten im Wesentlichen für sich selbst sorgen. Die staatlichen Zuwendungen sind ein Kreisverkehr innerhalb der Unter- und Mittelschicht, während die Reichen geschont werden. Es gibt keine Erbschaft- und keine Vermögensteuer, und das steuersparende Stiftungswesen ist so intransparent, dass selbst die österreichische Nationalbank nicht weiß, wie viele Milliarden dort geparkt sind. Kürzlich sorgte eine statistische Schätzung für Aufregung, dass das oberste eine Prozent, also das reichste Hundertstel, in Österreich 40,5 Prozent des privaten Vermögens besitzt.
Österreich ist eine extreme Klassengesellschaft, in der es permanent gärt, und diese Frustration richtet sich dann gegen die „Fremden“. Die FPÖ und die konservative ÖVP sind genial darin, das Thema Ausbeutung neu zu definieren: In ihrer Weltsicht sind es nicht die Reichen, die den Rest der Bevölkerung ausquetschen – sondern die Zuwanderer, also ausgerechnet die Armen.
Tschechien
In Tschechien war wiederum zu bestaunen, dass mit Andrej Babiš ein korrupter Oligarch an die Macht gewählt wurde, obwohl jeder wusste, dass er kommunistischer Spitzel war und jetzt wegen Subventionsbetrug verfolgt wird. Aber er gerierte sich als ein Robin Hood, der von den Reichen nimmt und den Armen gibt.
Auch Tschechien scheint eigentlich keine Probleme zu haben; in den vergangenen vier Jahren lag dort das Wachstum im Durchschnitt bei rund 3 Prozent. Aber den Tschechen geht es wie den Polen, die schon vor zwei Jahren der nationalistischen Partei „Recht und Gerechtigkeit“ zur absoluten Mehrheit verholfen haben. Sie erleben, dass „Wachstum“ ein relativer Begriff ist: Wer arm startet, der bleibt arm, auch wenn es vorwärtsgeht. Pro Kopf beträgt die jährliche Wirtschaftsleistung in Tschechien nur etwa 18.500 US-Dollar.
taz.am wochenende
Dieser Text stammt aus der taz.am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und rund um die Uhr bei Facebook und Twitter.
Allerdings lässt sich in Tschechien für den einzelnen Dollar deutlich mehr kaufen als in den Vereinigten Staaten, weswegen der nominale Dollarvergleich in die Irre führt. Real haben die Tschechen etwa 32.000 Dollar in der Tasche, was immer noch relativ wenig ist: Die Deutschen kommen pro Kopf auf 50.000 Dollar.
Tschechien wächst zwar, aber es kann den Abstand zu Kerneuropa nicht aufholen. Diese stabile Ungleichheit passt jedoch nicht zu der europäischen Erzählung, die auf „Kohäsion“ und „Konvergenz“ setzt. Es wurde versprochen, dass sich Europa untereinander angleicht. Doch jetzt müssen die osteuropäischen Länder erkennen, dass sie abgehängt bleiben. Die Ungarn haben sich als Erste radikalisiert, dann folgten die Polen, und nun kommen die Tschechen.
Die EU hat stets den Eindruck erweckt, man müsse nur auf den „Markt“ setzen, damit sich die ökonomischen Probleme von allein lösen und jeder Bürger sein Auskommen hat. Diese Erzählung war immer falsch, wurde aber europaweit von allen etablierten Parteien vertreten – auch von vielen Sozialdemokraten. Die Steuern für die Reichen wurden überall gesenkt, es wurde dereguliert und in den Eurokrisenländen drakonisch gespart. Viele Wähler fühlen sich verraten, sodass sich nun die Rechtspopulisten und Separatisten als die wahren Vertreter des Volkes inszenieren können.
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Kommentar von
Ulrike Herrmann
Wirtschaftsredakteurin
Der Kapitalismus fasziniert Ulrike schon seit der Schulzeit, als sie kurz vor dem Abitur in Gemeinschaftskunde mit dem Streit zwischen Angebots- und Nachfragetheorie konfrontiert wurde. Der weitere Weg wirkt nur von außen zufällig: Zunächst machte Ulrike eine Banklehre, absolvierte dann die Henri-Nannen-Schule für Journalismus, um anschließend an der FU Berlin Geschichte und Philosophie zu studieren. Sie war wissenschaftliche Mitarbeiterin der Körber-Stiftung in Hamburg und Pressesprecherin der Hamburger Gleichstellungssenatorin Krista Sager (Grüne). Seit 2000 ist sie bei der taz und schreibt nebenher Bücher. Ihr neuester Bestseller heißt: "Das Ende des Kapitalismus. Warum Wachstum und Klimaschutz nicht vereinbar sind - und wie wir in Zukunft leben werden". Von ihr stammen auch die Bestseller „Hurra, wir dürfen zahlen. Der Selbstbetrug der Mittelschicht“ (Piper 2012), „Der Sieg des Kapitals. Wie der Reichtum in die Welt kam: Die Geschichte von Wachstum, Geld und Krisen“ (Piper 2015), "Kein Kapitalismus ist auch keine Lösung. Die Krise der heutigen Ökonomie - oder was wir von Smith, Marx und Keynes lernen können" (Piper 2018) sowie "Deutschland, ein Wirtschaftsmärchen. Warum es kein Wunder ist, dass wir reich geworden sind" (Piper 2022).
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