Karlsruher Urteil zum Klimafonds: Schuld ist die Schuldenbremse
Coronagelder für Klimaprojekte zu nutzen ist laut dem Bundesverfassungsgericht unzulässig. Warum das Grundgesetz jetzt eine Renovierung braucht.
Worum geht es bei dem Streit um die Schuldenbremse?
60 Milliarden Euro, eine ziemlich große Summe, hat das Bundesverfassungsgericht aus dem Haushalt der Bundesregierung herausgestrichen. Die Richterinnen und Richter attestierten der Ampelkoalition aus SPD, Grünen und FDP, die Schuldenbremse im Grundgesetz verletzt zu haben. Kaum war das Urteil veröffentlicht, begann die Diskussion über die Konsequenzen. Zentrale Fragen: Kann und soll die Schuldenbremse so weiterbestehen wie bisher? Oder schränkt sie die Handlungsmöglichkeiten der Regierung zu sehr ein?
Wie funktioniert die Bremse?
Die Regel im Grundgesetz sieht vor, dass sich der Bund mit maximal 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) pro Jahr zusätzlich verschulden darf. Wenn die Konjunktur schlecht läuft, dürfen ein paar Milliarden Euro hinzukommen. Die Bundesländer können sich in der Regel nicht verschulden, was auch die Finanzierung der Städte und Gemeinden begrenzt. Es gibt Ausnahmen für „außergewöhnliche Notlagen und Naturkatastrophen“. Dann sind auch sehr große Kreditaufnahmen von mehreren hundert Milliarden Euro möglich. Allerdings verlangt das Grundgesetz in solchen Fällen einen Tilgungsplan: Die zusätzlichen Schulden müssen komplett zurückgezahlt werden. Für die Corona-Kredite soll das ab 2028 geschehen. Das kostet den Bundeshaushalt dann zunächst 12 Milliarden Euro pro Jahr, Tendenz steigend.
Wie kam es zur Schuldenbremse?
Der Bundestag beschloss die Regel am 29. Mai 2009. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) regierte in ihrem ersten Kabinett zusammen mit der SPD. Peer Steinbrück (SPD) war Finanzminister. Union und Sozialdemokraten stimmten dafür, Grüne und Linksfraktion dagegen, die FDP enthielt sich. Es war die Zeit der Weltfinanzkrise. Der Staat stellte hunderte Milliarden Euro bereit, um gescheiterte Banken und die Wirtschaft insgesamt vor dem Kollaps zu bewahren. Die Schuldenbremse sollte auch dazu dienen, Wähler:innen und Politiker:innen die Angst vor einer gigantischen Verschuldung zu nehmen.
Was hat sie bisher bewirkt?
Wenig. Erst gab es eine Übergangszeit, bis sie richtig in Kraft war. Dann kamen die guten Jahre. Die Wirtschaft lief, die Zahl der Beschäftigten nahm zu, die Löhne wuchsen. Die Regierungen freuten sich jedes Jahr über Rekordeinnahmen, die Einnahmen überstiegen die Ausgaben. Es wurden sogar kleine Reserven für schlechtere Zeiten angelegt. Dann folgte die Coronapandemie, und erstmals zog die Bundesregierung – wieder Union und SPD – die Katastrophenkarte. Jetzt wirkt die Bremse zum ersten Mal blockierend. Die Konjunktur ist schwach, die Summe der möglichen Kredite klein, der Finanzbedarf jedoch groß.
Brauchen wir die Bremse, um Inflation zu verhindern?
Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) befürchtet, zusätzliche schuldenfinanzierte Staatsausgaben würden die Preissteigerung weiter anheizen – zulasten der Privathaushalte und Unternehmen. Der Mechanismus: Wenn die Nachfrage das Angebot übersteigt, können Verkäufer höhere Preise aufrufen. Martin Beznoska vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW) widerspricht: „Moderat höhere Staatsschulden würden momentan die Inflation nicht oder kaum antreiben.“ Zwar erhöhen kreditfinanzierte öffentliche Ausgaben die Nachfrage, doch eine zu hohe Nachfrage sei nicht der Grund der augenblicklichen Inflation. „Die Preisanhebungen für Energie und andere Güter beruhen unter anderem auf Verknappungen des Angebotes und geopolitischen Spannungen“, so Beznoska.
Ist die Bremse nötig, um Überschuldung zu verhindern?
Darauf weist Finanzminister Lindner immer wieder hin. Für heute aufgenommene Kredite muss die nächste Generation die Zinsen bezahlen. Wenn dann aber, wie zu erwarten, wegen der Verrentung der geburtenstarken Jahrgänge weniger Beschäftigte arbeiten als heute, mag es ihnen schwerer fallen, den Schuldendienst zu leisten. Die Schulden, die pro Kopf zu tragen seien, würden aus dem Ruder laufen. Auch hier liefert IW-Ökonom Beznoska ein Gegenargument.
Wenn die jährliche Neuverschuldung niedriger liege als das Wirtschaftswachstum, erklärt er, gebe es kein grundsätzliches Problem. Dann nähme die gesamtstaatliche Verschuldung sogar ab, und die Staatsfinanzen blieben stabil. Bei einem angenommenen Zuwachs des BIPs von 1,5 Prozent könnte die Kreditaufnahme also durchaus 1 Prozent betragen, und nicht nur 0,35 Prozent, wie die Schuldenbremse momentan gestattet. Aus dem steigenden BIP sollten sich auch die Zinsen finanzieren lassen. Die Regierung hätte dann einen größeren Spielraum für Ausgaben, zum Beispiel für nötige Investitionen.
Was wäre der Sinn einer Reform?
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Solche Überlegungen laufen auf eine Änderung der Schuldenbremse hinaus, nicht ihre Abschaffung. Ökonominnen und Ökonomen wie Monika Schnitzer (Wirtschaftsweise), Achim Truger (Wirtschaftsweiser), Marcel Fratzscher (Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung, DIW) und Michael Hüther (IW) brachten die Idee ins Spiel, staatliche Investitionen von der Schuldenbremse auszunehmen.
Für Konsumausgaben wie Rente, Gehälter, soziale Sicherung würde sie weiter gelten. Ausgaben aber, die Werte für künftige Generationen schaffen, könnte der Staat in größerem Umfang mit Krediten finanzieren, etwa die Förderung für Solar- und Windkraftwerke, Subventionen für Stahlerzeuger, die von Kohle auf grünen Wasserstoff umsteigen und die Modernisierung der Schulen. Auch die bessere Ausrüstung der Bundeswehr könnte darunter fallen – als Investition in die Sicherheit gegenüber Russland.
Wie realistisch ist eine Reform?
Momentan erscheint sie unwahrscheinlich. SPD-Co-Vorsitzende Saskia Esken und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) wären wohl dafür. Die letzten Reste der Linksfraktion im Bundestag vielleicht auch. Eine verfassungsändernde Zweidrittelmehrheit haben diese Parteien aber nicht. Union und FDP lehnen eine Lockerung der Schuldenbremse ab, ebenso die AfD. Wer weiß, vielleicht wäre das ein Kompromiss: Union und FDP bekommen eine Steuersenkung für Unternehmen, SPD und Grüne im Gegenzug eine Lockerung der Schuldenbremse?
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich