Kampf gegen Korruption in der Ukraine: Rüge wegen Anti-Oligarchengesetz
Die Venedig-Kommission hat Kyjiw aufgefordert, das Anti-Korruptionsgesetz nicht anzuwenden. Es gibt einige Kritik an diesem.
Die Venedig-Kommission ist eine Einrichtung des Europarats, die Staaten verfassungsrechtlich berät. Eigenen Angaben zufolge spielt sie „eine führende Rolle, wenn es gilt, in Osteuropa Verfassungen auszuarbeiten, die den Normen des europäischen Verfassungsrechtsbestands entsprechen“. Beim im Herbst 2021 von der ukrainischen Werchowna Rada verabschiedeten Gesetz gegen Korruption besteht dabei offensichtlich Nachbesserungsbedarf.
Dabei zeichnet sich das ukrainische Anti-Oligarchengesetz durch einen stark personalisierten Ansatz aus. So sieht es die Schaffung einer eigenen Datenbank vor, in die die sogenannten Oligarchen eingetragen werden sollen. Ob man den wenig ehrenvollen Titel bekommt oder nicht, entscheidet allein der Nationale Sicherheits- und Verteidigungsrat der Ukraine.
Dabei gibt es vier Kriterien: Beteiligung am politischen Leben, Besitz eines Monopolunternehmens, Einfluss auf Medien und der Besitz von umgerechnet mindestens 83 Millionen Dollar. Wer drei dieser Kriterien erfüllt, den kann der Rat in die Liste der ukrainischen Oligarchen aufnehmen.
Die Furcht der Superreichen hat einiges ausgelöst
Wer also eine gute Geschäftsidee hat, mit dieser 83 Millionen Dollar verdient und sich in einer Partei engagiert, läuft Gefahr, in die Liste der verhassten Oligarchen eingetragen zu werden. Wer seinen Namen in dieser Liste findet, braucht nicht mehr von einer politischen Karriere zu träumen. Denn: Jenen, die als Oligarchen eingetragen sind, ist es verboten, politische Parteien oder Veranstaltungen zu finanzieren.
Außerdem müssen sie über jedes Gespräch mit einem Regierungsbeamten Rechenschaft ablegen, was jegliche Vertraulichkeit solcher Gespräche verunmöglicht. Außerdem müssen die Oligarchen einmal jährlich ihre Einkommensverhältnisse veröffentlichen. Offiziell ist noch niemand in dieser Datenbank. 86 Personen würden jedoch die Kriterien erfüllen, zitiert forbes.ua den Sekretär des Sicherheits- und Verteidigungsrates, Olexi Danilow.
Allein die Furcht der Superreichen, in diese Liste eingetragen zu werden, hat einiges ausgelöst. So trennte sich Rinat Achmetow, der reichste Mann der Ukraine, im Sommer 2022 von seinen Fernsehkanälen, Internetportalen und Zeitungen. Als Grund gab er das Anti-Oligarchengesetz an.
Die Entstehung neuer Oligarchen
Kritik kommt auch aus dem Umfeld von Ex-Präsident Petro Poroschenko: Er sieht darin einen Versuch der Selenski-Administration, missliebige Akteure in Politik und Medien mundtot zu machen. Nun könne Selenski entscheiden, wer ein Guter und wer ein Böser sei, so Oleksiy Gontscharenko von der Poroschenko-Partei Europäische Solidarität.
Die alten Oligarchen seien gezähmt, nun drohten aber neue zu entstehen, analysierte das Nachrichtenportal Bloomberg neulich das Gesetz. Und es geht um viel Geld, erst Anfang April hatte der Internationale Währungsfonds der Ukraine einen Kredit in Höhe von 15,6 Milliarden Dollar genehmigt. „Die Geldgeber haben keine Angst vor den alten Oligarchen“, zitierte Bloomberg Valeriya Gontareva, ehemalige Chefin der ukrainischen Zentralbank. „Sie fürchten die neuen Oligarchen.“ Sie äußerte die Sorge, dass ein etwaiger Marshall-Plan zum Wiederaufbau von den falschen Leuten umgesetzt werden könnte.
Stanislaw Kibalnyk von der Charkiwer Plattform assembly.org.ua teilt gegenüber der taz diese Befürchtung. Einkaufszentren wie das Epicenter oder die Privatpost der Nowa Potschta, die enge Beziehungen zur Präsidialadministration unterhalten, hätten mit der Verdrängung der alten Oligarchen nun den Rücken frei – um, so Kibalnyk, ihre Geschäfte auszuweiten.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Polarisierung im Wahlkampf
„Gut“ und „böse“ sind frei erfunden
Nach Absage für Albanese
Die Falsche im Visier
Werben um Wechselwähler*innen
Grüne entdecken Gefahr von Links
Soziologische Wahlforschung
Wie schwarz werden die grünen Milieus?
Wahlverhalten junger Menschen
Misstrauensvotum gegen die Alten
Streit um tote Geiseln in Israel
Alle haben versagt