K-Frage in der Union: Vorsicht, Söder
Viele wünschen sich den CSU-Chef als Kanzler. Dabei ist dessen Coronabilanz schlechter als die von Laschet – und er zudem ein politischer Wendehals.
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W ie groß die Verzweiflung über die scheinbar endlose Coronakrise ist, lässt sich daran erkennen, wie viele sich inzwischen nach einem Bundeskanzler Markus Söder sehnen. Der bayerische Besserwisser führt nicht nur in allen Umfragen unter UnionswählerInnen haushoch vor Armin Laschet. Auch unter Linken, die bei den Coronamaßnahmen im Zweifel für Vorsicht plädieren, sind die meisten im Zweifel für den strengeren Söder. Das ist verständlich, aber sehr kurz gedacht.
Sollte es bei der Entscheidung über einen möglicherweise sehr lange amtierenden deutschen Regierungschef wirklich nur darum gehen, wer in den vergangenen Monaten mehr Ausgangssperren und Beherbungsverbote in seinem Bundesland erlassen hat? Klar, dann würde die höhere Regelungsbereitschaft und stringentere Rhetorik eindeutig für Söder sprechen.
Doch die Begeisterung für den CSU-Chef unterschlägt nicht nur die Infektionsbilanz, die in Söders Bayern sogar schlechter aussieht als in Laschets NRW. Auch wenn hier die Nähe zu Tschechien und Österreich eine Rolle spielt: Die neuen Söder-Fans im Team Vorsicht scheinen sein politisches Wirken in der Vor-Corona-Zeit zu vergessen oder zu verdrängen.
Es ist noch nicht allzu lange her, dass der heute mittig-moderate Christsoziale von „Asyltouristen“ sprach und seinen damaligen Rivalen Horst Seehofer erst so richtig in den Streit mit Angela Merkel hineintrieb. Daraus hat Söder zwar zweifellos gelernt und reumütig Besserung gelobt. Ob aus tiefster Einsicht oder machttaktischem Kalkül, ist jedoch keineswegs erwiesen.
Laschet war immer liberal
Ebenso wenig sind auf Söders momentan zur Schau getragene Klimaschutzbereitschaft bisher große Taten gefolgt. Dass er anders als Laschet keine Kohle mehr verfeuert, liegt vielleicht auch daran, dass Bayern keine hat. Und Windräder findet auch Söder nur dann gut, wenn sie im Norden gebaut werden.
Sicher ist nur, dass Söder in seiner Karriere schon viele 180-Grad-Wenden vollzog, wenn es ihm opportun erschien. Laschet hingegen verfolgt in gesellschaftlichen Fragen wie der Migrationspolitik schon seit Jahrzehnten konsequent einen liberalen Kurs innerhalb der Union. Er blieb auch dann seiner Linie treu, als nur noch wenige Parteifreunde Merkels Grenzoffenlassung verteidigten.
Damals saß Laschet oft als letzter Merkelianer aufrecht in den Talkshows, also dort, wo er sich heute manchmal mit schwankenden Äußerungen zur Coronapolitik blamiert. Wobei auch das kein Ausschlussgrund sein muss, belegt es doch, dass Laschet bei aller berechtigten Angst vor dem Virus immer auch die Folgen der Maßnahmen im Blick behält – und nicht autoritär auftrumpft.
Wer aber glaubt, dass ein Kanzler Söder im Zweifel nur an die Gesundheit der anderen und nie an sich selbst denken wird, mag mit diesem Kandidaten selig werden.
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