Junge Frauen in der CDU: „Wir müssen Radau machen“
Im Gespräch für den Parteivorsitz der Union: Männer. Jenna Behrends, Merve Gül und Sophia Nückel wollen das ändern.
Behrends bedauert selbst, keine Frau aus der CDU für das Amt des Parteivorsitzes vorschlagen zu können. „Ich wünschte, es wäre anders, aber ich kann keinen Namen guten Gewissens in den Raum werfen“, sagt die 29-Jährige. Es brauche für den Posten viel Rückhalt in der Partei. Auf diesem Level gebe es in der CDU aktuell keine Frauen.
Woran das liegt? Für Jenna Behrends ist das ziemlich klar. Die Versäumnisse sieht sie in der Vergangenheit. Und sie selbst hat bereits öffentlichkeitswirksam auf diese Versäumnisse hingewiesen. 2016 veröffentlichte sie einen offenen Brief an ihre Partei, in dem sie Sexismus und sexistische Strukturen in der CDU kritisierte. Ein „Scheinargument“ habe sie seitdem immer wieder gehört: Die Partei hätte doch zwei Frauen an der Spitze. „Aber zwei Frauen an der Spitze reichen nicht, wenn dahinter nur Männer stehen“, sagt Behrends heute.
Auch Sophia Nückel fällt keine CDU-Politikerin ein, die jetzt infrage käme für den Parteivorsitz und damit für eine mögliche Kanzlerinnenkandidatur. „Die CDU hat definitiv ein Nachwuchsproblem“, meint die 22-Jährige. Sie selbst ist schon mit 16 der Jungen Union beigetreten und seit einem Jahr Mitglied in der CDU. Aus dem Impuls, sich engagieren zu wollen, etwas zu bewegen. „Im Sauerland macht man das dann in der Jungen Union“, sagt sie.
Auf kommende Generationen angewiesen
Kurz habe sie auch mal gezweifelt, ob die CDU die richtige Partei für sie sei. Aber sich dann aus einem Grund dafür entschieden zu bleiben: „Gegen die Werteunion anzukämpfen und zu zeigen, dass sich Frauen von mächtigen männlichen Politikern nicht kleinkriegen lassen.“ Die Partei sei auf kommende Generationen angewiesen. „Auch aus diesem Grund ist es wichtig, junge Frauen nicht zu verschrecken und ihnen einen Raum zu bieten, in dem sie sich entfalten können.“
Eine junge Frau in der CDU ist auch Merve Gül. Hürden, weil sie eine Frau ist, habe sie bisher selten erlebt. Hindernisse hätten eher mit ihrem übrigen Background zu tun. „Mein Frausein ist nur eines meiner Merkmale – dazu habe ich noch Migrationshintergrund und bin jung, damit bin ich im politischen Betrieb und in der CDU die Ausnahme.“
Auch Merve Gül ist Verfasserin eines offenen Briefs, und zwar an Annegret Kramp-Karrenbauer. Im Juni 2019 forderte sie gemeinsam mit Kim Thy Tong und David Kirsch, die junge Generation aktiv in Partei- und Stiftungsarbeit einzubinden. Sie präsentierten in ihrem Brief „einen bunten Strauß an Ideen“ für eine zukunftsfähige Partei, zitierten Snoop Dogg mit „Living young, wild and free“ und wünschten sich für die Union, „eine Volkspartei zu sein, die alle Teile der Gesellschaft repräsentiert – unabhängig von Alter, Geschlecht, Herkunft oder Einkommensschicht“.
Schaut man sich die Kandidaten für den Parteivorsitz an, ist da ziemlich wenig von „jung, wild und frei“ zu finden. So zeigt sich auch keine der drei Frauen wirklich überzeugt von einem der Kandidaten. Einen Parteivorsitzenden Armin Laschet könne Merve Gül sich aus einem Grund vorstellen: „Unter Laschet kann man sich sicher sein, dass es keinen Millimeter nach rechts geht unter dem Deckmantel des vermeintlichen Konservatismus.“
Wie oft muss man Scheiße bauen, bis man geht?
Alle drei Frauen beschreiben die Debatte als Machtfrage – und als eine von Männern, die an ihrer Macht festhalten. Merve Gül macht das ganz konkret: „Es kann doch nicht sein, dass man Fehler macht, sie einräumt und dann trotzdem auf dem Posten sitzen bleibt. Wie oft muss man denn Scheiße bauen, bis man geht?“
Sophia Nückel sieht das ähnlich: „Viele Männer sind auf ihre Macht fokussiert, statt andere zu fördern.“ Dass Mike Mohring und Christian Lindner ihre Posten behalten haben und Annegret Kramp-Karrenbauer nicht, hat für sie auch etwas damit zu tun.
„Frauen werden in der Politik noch immer anders betrachtet als Männer“, sagt Nückel. So werde Frauen Führungsschwäche zugeschrieben, während bei Männern Führungsqualitäten gar nicht hinterfragt würden. Auch Merve Gül sieht immer wieder, wie über Führungsqualitäten von Frauen gestritten werde. „Dann frage ich mich: Habt ihr euch mal Andreas Scheuer angeschaut?“
Eine weitere Erklärung für das personelle Loch in der Partei von Frauen zwischen Mitte 20 und Mitte 40 sieht Jenna Behrends in der gesellschaftlichen Aufteilung von Care-Arbeit und der gleichzeitigen Unvereinbarkeit von Politik und Familie. Behrends selbst ist Mutter von zwei Kindern. „Da muss ich dann entscheiden, ob ich am Wochenende mit meinem Kind in den Zoo gehe oder zu einer Parteiveranstaltung“, sagt sie.
Ein politischer Abendtermin bedeutet dann, die Wäsche liegen zu lassen oder einen Babysitter bezahlen zu müssen. Vor allem für Alleinerziehende ist das ein Problem. „Und dann kommt noch dazu, dass man weniger präsent ist – so wird man bei der Vergabe von Posten auch mal vergessen.“
Von Frauen- bis Diversitätsquote
Wie also dafür sorgen, dass sich in einigen Jahren nicht wieder nur weiße Männer für den Parteivorsitz bewerben? Das ist der eine Punkt, an dem sich die drei Frauen uneinig sind. Die 22-jährige Sophia Nückel ist gegen eine Frauenquote. „Ich möchte nicht nur wegen meines Geschlechts in ein Amt gewählt werden“, sagt sie.
Feminismus definiert sie als Chancengleichheit von Frauen und Männern, es solle wirklich nach Leistung gehen, ist ihr Wunsch. Um dann einzuräumen: „Die Zahlen zeigen, dass es nicht funktioniert in der CDU.“ Derzeit liegt der Frauenanteil unter CDU-Mitgliedern bei 26 Prozent.
„Ich bin eine Quotenfrau“, sagte Annegret Kramp-Karrenbauer selbstbewusst während der Feierlichkeiten zu 100 Jahren Frauenwahlrecht in der Konrad-Adenauer-Stiftung. Die neue CDU-Chefin wünschte sich mehr Offenheit für eine Quotierung von politischem Personal.
Jenna Behrends stimmt der Noch-Parteichefin zu: „Ich habe formelle Schritte lange abgelehnt, bin aber mittlerweile für solche Wege.“ Sie wünscht sich generell mehr Offenheit ihrer Partei, „das betrifft ja nicht nur Frauen, sondern diverse Gruppen, die in der CDU-Basis unterrepräsentiert sind“.
Eine Diversitätsquote für die Partei kann sich auch Merve Gül vorstellen. Aber ob es dafür eine Mehrheit in der Union gäbe? „Aktuell eher nicht“, konstatiert sie. Aber: „Es ist eine Frage der Zeit, bis es eine Mehrheit dafür gibt“, ist sie optimistisch. „Bis dahin müssen wir Radau machen, und bis dahin muss sich die Junge Union gefallen lassen, die Jungenunion genannt zu werden.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Schwedens Energiepolitik
Blind für die Gefahren
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag