Journalistin durch Polizei verletzt: Alle Kosten selbst tragen
Als eine Journalistin 2020 eine Demonstration dokumentierte, schlug ihr ein Polizist ins Gesicht. Das Land Berlin zahlt aber kein Schmerzensgeld.
Als Teil eines Filmteams begleitete Lea Remmert journalistisch die Demonstrationen zum 1. Mai. Sie sollte für den Ton der Aufnahmen sorgen, trug eine Mikrofonangel und ihr hing ein Audiomixer um. Durch das Equipment war sie als Journalistin zu erkennen.
Gegen 23 Uhr befand sich das Team an der Oranienstraße in Berlin-Kreuzberg. An den Straßenrändern hatten sich Menschen versammelt, tranken Bier und riefen Parolen. Die Stimmung war aufgeheizt und einige warfen Flaschen auf die Polizei. Die ging in Trupps immer wieder in die Menge, um einzelne Menschen festzunehmen. Das zeigen die Aufnahmen des Teams.
Die Bilder zeigen auch, wie offenbar für eine solche Festnahme eine Gruppe Polizisten der 15. Einsatzhundertschaft plötzlich die Laufrichtung änderte und direkt auf das Filmteam zukam. Dabei schlug ein Polizist Journalistin Lea Remmert ins Gesicht.
„Täterschutz für Polizisten“
Den Schlag konnte das Filmteam allerdings nicht festhalten. Eine Kamera der Polizei jedoch schon, wie Remmert berichtet: „Ein Video in den Akten zeigt auch den Schlag.“ Aber man könne alles nur schwer erkennen, räumt sie ein. Zwischen den vielen schwarzen Helmen sei sie an ihren Kopfhörern zu erkennen. Die Kennnummer des Beamten sei nicht zu sehen.
Remmert erstattete Anzeige und forderte Schadensersatz. Die zwei Zähne musste ihr Zahnarzt rekonstruieren. „Schicht für Schicht“, erzählt sie. Die Krankenkasse habe nichts übernommen, weil ein Dritter beteiligt war. Hinzu kämen die Kosten für ihren Rechtsbeistand. Die Staatsanwaltschaft nahm die Ermittlungen auf, habe viel befragt und die Filmaufnahmen analysiert, sagt Remmert. „Den Täter haben sie trotzdem nicht gefunden.“
Das sei nicht besonders überraschend, erklärt Jörg Reichel. Er ist Geschäftsführer der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju) der Verdi in Berlin-Brandenburg und beschäftigt sich in seiner Arbeit mit Übergriffen auf Pressevertreter*innen in Deutschland. Auf seinem persönlichen Twitter-Account teilt und veröffentlicht Reichel täglich solche Fälle. Darunter sind Fälle von Polizist*innen, die Pressearbeit verhindern – auch in Berlin. „Trotz aller Reformen und einzelnen positiven Entwicklungen, heißt Berliner Polizei: Täterschutz für Polizisten“, sagt Reichel.
Senat sieht kein Verschulden
Nachdem die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen eingestellt hatte, bekam Remmert im Dezember Post: Der Senat für Finanzen erklärte ihre Forderungen auf 10.000 Euro Schadensersatz als unbegründet, das Land Berlin müsse nicht für den Polizisten haften. Sie müsse alle Kosten selbst tragen. Das sei ein Schock gewesen. Auch ihr Anwalt Jörg-André Harnisch kann das nicht nachvollziehen: „Der Staat hat grundsätzlich für jedes Fehlverhalten seiner Beamten einzustehen“, sagt er der taz. Ob der Täter dabei gefunden werde, spiele keine Rolle, wenn ein Verschulden der Polizei vorliege.
Doch der Senatsverwaltung für Finanzen nimmt nicht an, dass ein Verschulden vorliegt. Laut Zeugenaussagen habe sich der Beamte „in die Kabel der Tonanlage verheddert, welche von der verletzten Journalistin getragen wurden.“ Deswegen sei nicht von einer bewussten Handlung auszugehen. Verkürzt juristisch erklärt, müssen Handlungen bewusst erfolgen und vom Willen der Handelnden gelenkt sein. Sie müssen ihr Handeln beherrschen. Ansonsten ist es weder fahrlässig noch vorsätzlich.
Dass das Verheddern ursächlich für den Schlag sei, würden die Zeugenaussagen in der Akte aber gar nicht hergeben, widerspricht Remmerts Anwalt. Zu sagen, es liege kein Verschulden vor, sei unsinnig.
Fehlendes Geld für Klage
Zu weiteren Nachfragen wollten sich der Senatsverwaltung und der neue Berliner Finanzsenator Daniel Wesener (Grüne) gegenüber der taz nicht äußern. Auch die Innensenatorin Iris Spranger (SPD) und die Justizsenatorin Lena Kreck (Linke) antworteten nicht auf eine Anfrage. Die Pressesprecher*innen verwiesen auf je den anderen Senat oder die Staatsanwaltschaft. Die wiederum leitete die Anfrage weiter an die Generalstaatsanwaltschaft. Bis zum Redaktionsschluss beantwortete diese ebenfalls keine Fragen der taz. Die Akte müsse erst angefordert werden.
Ob das Land Berlin für den Schaden aufkommen müsste, kann nur ein Gericht entscheiden. Lea Remmert wolle dafür auch klagen, aber ihr fehle das Geld für den Prozess. Sie rechne mit etwa 9.000 Euro, die habe sie nicht.
Anmerkung der Redaktion: In der ursprünglichen Version hieß es, Lea Remmert rechne mit Kosten von bis zu 20.000 Euro, sollte sie eine Klage verlieren. Dabei handelte es sich um ein Missverständnis. Nach Rücksprache mit ihrem Anwalt liegen die geschätzten Kosten, wenn sie beide Instanzen verlieren sollte, bei etwa 9.000 Euro. Aber auch das sei zu viel für sie, sagt Remmert.
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