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Islamverbände und der 7. OktoberNicht von oben herab

Daniel Bax
Kommentar von Daniel Bax

Regierungspolitiker produzieren mit ihren Vorwürfen gegen deutsche Islamverbände Misstrauen. Was tun sie eigentlich für den Zusammenhalt?

Sollen sich Muslime besonders deutlich extra gegen Antisemitismus aussprechen? Moschee vor Kölner Dom Foto: Rolf Vennenbernd/dpa

M an kann den großen Islam-Verbänden in Deutschland viel vorwerfen. Sie sind konservativ, schwerfällig und wirken an ihrer deutschen Umwelt oft desinteressiert. Viele haben ihre Wurzeln in der Türkei; der Ditib-Verband untersteht sogar der türkischen Regierung. Dass der Chef der Religionsbehörde in Ankara, Ali Erbas, Israel in einer Predigt als einen „rostigen Dolch“ im Herzen der islamischen Welt bezeichnet hat, ist alarmierend.

Denn Erbas ist der oberste Vorgesetzte der Imame, die in den Hunderten von Ditib-Moscheen in Deutschland predigen. Zu eigen gemacht hat sich die Ditib diese Aussagen zwar nicht, distanziert hat sie sich von ihrem obersten Dienstherrn aber auch nicht.

Was man den Islam-Verbänden aber nicht vorwerfen kann, ist, dass sie den Terror der Hamas gutheißen würden. Tatsächlich haben die großen Dachverbände sogar erstaunlich schnell reagiert und schon am 8.Oktober eine erste Erklärung abgegeben, in der sie die Gewalt verurteilten und vor einer Eskalation warnten. In vielen Freitagspredigten wurden ähnliche Töne angeschlagen. Wenn Politiker von Cem Özdemir über Volker Beck bis Jens Spahn den Islamverbänden vorwerfen, sie hätten den Terror der Hamas nicht klar genug verurteilt, dann ist das Populismus, der Misstrauen sät.

Wenn Vizekanzler Robert Habeck Muslimen indirekt droht, sie könnten ihren Anspruch auf Toleranz verwirken, wenn sie sich nicht so verhalten, wie er es von ihnen erwartet, dann fühlen sich viele davon tatsächlich bedroht. Und wenn Innenministerin Nancy Faeser von Muslimen jetzt fordert, sich noch klarer gegen Antisemitismus zu stellen, dann befördert sie jenen Generalverdacht, dem sie angeblich entgegentreten will.

Besser wäre es, die Bundesregierung würde selbst mehr tun, um den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu fördern. Das hieße, Muslime nicht nur von oben herab zu belehren und ihnen Bekenntnisse abzuverlangen, sondern sie als gleichberechtigte Bürger zu begreifen und auch auf ihre Sorgen und Ängste einzugehen.

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Daniel Bax
Redakteur
Daniel Bax ist Redakteur im Regieressort der taz. Er wurde 1970 in Blumenau (Brasilien) geboren und ist seit fast 40 Jahren in Berlin zu Hause, hat Publizistik und Islamwissenschaft studiert und viele Länder des Nahen Ostens bereist. Er schreibt über Politik, Kultur und Gesellschaft in Deutschland und anderswo, mit Fokus auf Migrations- und Religionsthemen sowie auf Medien und Meinungsfreiheit. Er ist Mitglied im Vorstand der Neuen deutschen Medienmacher:innen (NdM) und im Beirat von CLAIM – Allianz gegen Islam- und Muslimfeindlichkeit. Er hat bisher zwei Bücher veröffentlicht: “Angst ums Abendland” (2015) über antimuslimischen Rassismus und “Die Volksverführer“ (2018) über den Trend zum Rechtspopulismus. Für die taz schreibt er derzeit viel über aktuelle Nahost-Debatten und das neue "Bündnis Sahra Wagenknecht" (BSW).”
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37 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

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  • Meiner Meinung nach sollte der Deutsche Staat wie die Türkei Religionen an die Kurze Leine nehmen, staatlich kontrollierte Imam, Priester, Pfarrer Ausbildung. Gepredigt wird auf Deutsch. Finanzierung übernimmt der Staat dafür wird aber auch vorgegeben was gepredigt wird, keine Homophobie mehr, kein Antisemitismus und keine Frauenfeindlichkeit, gerade die katholische Kirche müsste der Staat hier auch enger unter Kontrolle bringen.

    • @Machiavelli:

      Der Zug ist abgefahren, das was Atatürk mal eingerichtet hat um die religiösen Fanatiker an der kurzen Leine zu halten hat Erdolf umgenutzt um seinen religiösen Fanatikern Freiraum zu geben.



      In den früher waren die hierher entsandten Imame der Ditib oft Lehrer, deren Auftrag war, im religiösen Sinne den Ball flach zu halten und im Sinne des säkularen Staats zu handeln, jetzt ist es umgekehrt.



      Es würde für den Anfang ja mal reichen wenn alle vor dem Gesetz gleich behandelt werden auf wenn sie Bischof, Mullah oder sonstwas sind und man sich Einmischungen aus dem Ausland vehementer verbietet.



      ... dann können sich der türkische und der iranische Botschafter und der apostolische Nuntius aber ein Feldbett mit ins Auswärtige Amt nehmen.

    • @Machiavelli:

      "der Deutsche Staat wie die Türkei... Kirche müsste der Staat hier auch enger unter Kontrolle bringen."



      Ja. Ganz super.



      Religionsbehörden, Staatsreligionen - sonst noch was?

  • Die hier in den Kommentaren geäußerte Kritik an den zögerlichen Reaktionen des „offiziellen“ Islam in Deutschland auf die Ereignisse des 7. Oktober bis hin zu dessen antisemitischen Tendenzen ist ja nicht falsch, allerdings höre ich vielfach einen problematischen paternalistischen Tonfall heraus. „Die Muslime haben …, die Muslime sollen …“ etc.



    Im Ernst, wer erwartet diese klare öffentliche Abgrenzung vom Antisemitismus schon von den Institutionen der deutschen Mehrheitsgesellschaft, von den Parteien, den Kirchen, Arbeifgeberverbänden, den Gewerkschaften? Die Abwehr antisemitischer Tendenzen in der Gesellschaft sollte eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein. Habe ich zumindest bisher geglaubt.



    Und da der Islam und seine offiziellen Repräsentanten - zurecht wurde darauf hingewiesen, dass die vier großen Islamverbände zusammengenommen nicht wesentlich mehr als 20% aller Muslime in Deutschland repräsentieren - ja schließlich auch Teil dieser deutschen (Migrations)Gesellschaft sind, sollte deren Bekenntnis gegen Antisemitismus genau so selbstverständlich sein.



    Ist es das nicht, so ist allerdings die GESAMTE Gesellschaft in der Verantwortung, nicht bloß die Islamverbände.

    • @Abdurchdiemitte:

      Im Ernst, wer erwartet diese klare öffentliche Abgrenzung vom Antisemitismus schon von den Institutionen der deutschen Mehrheitsgesellschaft,

      Die Diskussion um FFF Deutschland haben Sie mitbekommen? Da kann Frau Neubauer 5x betonen, dass sie Gretas Ansicht nicht teilt, reicht alles nicht. Und FFF ist vom Nahostkonflikt weiter entfernt als die Muslimverbände.

      • @Strolch:

        Die Abgrenzung Luisa Neubauers und des deutschen Friday-Chapters von antisemitischen Tendenzen bei FFF halte ich für durchaus glaubhaft. Dass ihr das von gewissen Kreisen nicht abgenommen wird, ist von dieser Seite allerdings eindeutig politisch motiviert. Welche Intentionen da hinter stehen, muss ich Ihnen wohl nicht erläutern.



        Das Problem bei Ihrem Beispiel liegt also nicht - anders als bei den Islamverbänden - in einer fehlenden oder halbherzigen Abgrenzung zum Antisemitismus, sondern in der politischen Instrumentalisierung durch andere Kräfte zu anderen Zwecken. (Julian Reichelt, Friedrich Merz, die AfD, Geert Wilders in den Niederlanden u.a. lassen grüßen.)



        Das passiert in der derzeitigen Antisemitismus-Debatte gegenüber dem Islam und den muslimischen Migranten zwar auch, jedoch stehen die Tore diesbezüglich leider auch weit offen.

  • Sicher kann und darf niemand von irgendwem ein ausdrückliches Bekenntnis zu irgendwelchen moralischen Wertungsfragen rechtverbindlich "verlangen". Aber JEDER darf entscheiden, mit wem er reden will, wem er vertraut, wem er guten Willen unterstellt. Darum geht es hier, Herr Bax, und da reicht es nicht, eine Einstellung an den Tag zu legen, die nur "nicht lückenlos nachweisbar antisemitisch" ist.

    Man kann und konnte auch z. B. von Luisa Neubauer nicht "verlangen", sich von den antisemitischen Äußerungen im internationalen fff-Netzwerk zu distanzieren. Aber es wäre doch absehbar sehr schädlich für die Bewegung in Deutschland gewesen, hätte sie sich dazu nicht durchringen können. Denn wer heute noch auf eine fff-Kundgebung geht, möchte vielleicht vorher wissen, dass er da einer klimafreundlichen und nicht einer israelfeindlichen Gesamtaussage seine Zeit opfert.

    In vergleichbarer Position befinden sich deutsche Politiker, die angesichts steigender Spannungen mit religiösen Meinungsträgern und Multiplikatoren ins Gespräch kommen wollen: Ihnen ist schlicht nicht mit Gegenübern gedient, die eigentlich an einem ganz anderen Strang ziehen. Und dass mindestens ein Verband, dessen Strippen von Leuten gezogen werden, die sich außerhalb Deutschlands genau so positionieren, da ein Vertrauensdefizit aufzuarbeiten hat, sollte eigentlich auf der Hand liegen.

    • @Normalo:

      Die Fokussierung auf „offizielle Islamverbände“ als Gegenüber bzw. Ansprechpartner von Staat und Gesellschaft ist sowieso problematisch, weil paternalistisch (und zwar von beiden Seiten!) gegenüber der muslimischen Bevölkerung hierzulande.



      Nach Ansicht Eren Güvercins von der liberalen, pro-europäischen islamischen Alhambra-Gesellschaft könnte man sich Islamkonferenzen im bestehenden Format sowieso schenken (wenn ich ihn da richtig verstanden habe), angesichts der Tatsache, dass die vier großen Islamverbände - Islamrat, Zentralrat der Muslime in Deutschland (ZMD) Türkisch-Islamische Union (DITIB) und der Verband islamischer Kulturzentren (VIKZ) - nur etwa ein Viertel der Muslime in Deutschland repräsentieren. Trotzdem ist in diesem Kontext ärgerlicherweise immer von DEM Islam die Rede.



      Zusätzlich problematisch ist, dass zumindest die vier oben genannten islamischen Organisationen, die der Politik als Hauptansprechpartner gelten, tatsächlich alle nicht frei von antisemitischen Einflüssen sind.



      Ich habe das interessante Interview mit Güvercin in Deutschlandfunk Kultur zu diesem Thema für Sie nochmals verlinkt:



      download.deutschla..._2309_87d011ac.mp3

      • @Abdurchdiemitte:

        Natürlich ist es ein grundsätzliches Problem, dass nicht alle Religionen hierzulande so stringent organisiert sind wie insbesondere die christlichen. Nur was sonst tun, wenn man mit jemandem reden will, der Multiplikatorfunktion hat? Das wäre mal ein schöner "Brainteaser" fürs Consulting-Bewerbungsgespräch: Erfassen Sie repräsentativ alle Muslime Deutschlands an einem runden Tisch, der in einen gewöhnlichen Kongresssaal passt...

        • @Normalo:

          Die deutsche Politik könnte ja auch mal ihre Bekenntnisse zur Respektierung der Religionsfreiheit für Muslime in die Tat umsetzen und einfach akzeptieren, dass sich die hiesigen Muslime nicht wie die römisch-katholische Kirche oder die EKD organisiert haben und dass es eben keine Organisation gibt, die die Funktion eines repräsentativen muslimischen Ansprechpartners für die Politik erfüllen kann. Das wäre immer noch weit besser, als die von ABDURCHDIEMITTE genannten Organisationen so zu behandeln, als könnten sie´s.

          Es gibt wirklich keinen Grund für demokratische Parteien, Organisationen zu hätscheln, von deren Positionen sich praktisch alle Politiker von Union, SPD, FDP, Grünen oder Linken entrüstet distanzieren würden, wenn nicht ein Islamverband, sondern z. B. eine Gemeinschaft deutschstämmiger Christen diese Positionen verträte.

          • @Budzylein:

            Dass der Organisationsgrad der Muslime so ist, wie er ist, kann man gar nicht NICHT akzeptieren. Nur ist die Alternative zu den wenig repräsentativen Verbänden, gar keine Ansprechpartner zu haben, die irgendwas repräsentieren außer ihrer persönlichen Meinung. Ein wirklich repräsentatives Forum für einen Gedankenaustausch ist eben kaum darstellbar

            Davon abgesehen sind diese Verbände wohl deutlich relevanter, wenn man neben ihren Mitgliedern auch die Moscheen sieht, die sie betreiben. Gerade die Ditib hat da schon eine gewaltige Reichweite, denke ich.

  • Habeck hat nicht gedroht, er kann auch gar nicht drohen (höchstens damit, wie er sich selbst verhalten will). Er hat nur auf ein ganz normales Phänomen hingewiesen: wer einerseits Schutz vor Übergriffen fordert (und zwar nicht staatlichen Schutz, der selbstverständlich jedem zusteht, sondern Solidarität), der wird möglicherweise nicht sehr viel davon bekommen, wenn er Übergriffe aus den eigenen Reihen akzeptiert. Man wird eben an dem gemesssen, wie man sich selbst verhält und wer Gewalt nur partiell verurteilt, die gegen einen selbst gerichtet ist, der wird eben auch weniger zivilgesellschaftlichen Schutz bekommen.

    • @Dr. McSchreck:

      Habecks Worte kann man schon als Drohung verstehen: Wohlverhalten, sonst droht Abschiebung. Zitat: "Toleranz kann an dieser Stelle keine Intoleranz vertragen. Das ist der Kern unseres Zusammenlebens in dieser Republik. Das heißt: Das Verbrennen von israelischen Fahnen ist eine Straftat, das Preisen des Terrors der Hamas auch. Wer Deutscher ist, wird sich dafür vor Gericht verantworten müssen, wer kein Deutscher ist, riskiert außerdem seinen Aufenthaltsstatus. Wer noch keinen Aufenthaltstitel hat, liefert einen Grund, abgeschoben zu werden." Auch nicht viel anders als der von Merz et al. vorgeschlagene Gesinnungstest.

  • Auch bei uns haben wir eine Verflechtung von Staat und Kirche. Die christlichen Staatskirchen, wo der Staat die Kirchensteuer erstmal einsammelt und man sich aktiv dagegen wehren muss. Das ist aber immerhin möglich.

    • @Matt Gekachelt:

      "...Verflechtung von Staat und Kirche. Die christlichen Staatskirchen, wo der Staat die Kirchensteuer erstmal einsammelt..."



      Dass in Deutschland der Staat das kirchliche Inkassounternehmen bildet, hat historische Gründe, die nicht gefallen müssen. Dennoch liegt hier als Verflechtung von Staat und Kirche doch deutlich weniger vor als anderswo. Meines Wissens sind z. B. die kirchlichen Institutionen keine staatlichen Behörden und diesem unterstellt, und das ist gut so.

    • @Matt Gekachelt:

      Bei der Ditib geht es aber nicht um die Frage, ob der türkische Staat für eine Religionsgemeinschaft die Steuer einsammelt.

      Nach dem türkischen Muster wäre unser Bundeskanzler ranghöchster Katholik, die Bischöfe würden sich nach seinen Wünschen richten und die deutschen katholischen Pfarrer würden im Ausland dem BND zuarbeiten.

      Sie merken, wie anders das Problem gelagert ist?

      "Verpflechtung" ist geradezu tiefgestapelt.

    • @Matt Gekachelt:

      Das ist ja nun etwas ganz anderes als bei der DITIB, bei der der Inhalt der Predigten aus Ankara vorgegeben werden kann.

  • Vermutlich wird bei der Verflechtung von Staat und Religion wie es bei der Dtib der Fall ist. Nichts anderes helfen als "Von oben herab" zu handeln.

    Es kann ja nicht sein das unter dem Deckmäntelchen der Religionsfreiheit derart politisches und menschenfeindliches Gedankengut in den von Dtib "Kontrollierten" Moscheen verbreitet wird.



    Aufgrund der Aussagen des Präsidenten der türkischen Religionsbehörde wäre für mich das ein Fall für den Verfassungsschutz. Das die Dtib auch noch Einfluß auf die Ausbildung der Imame und den "Religionsunterricht" in Deutschland nimmt ist ein Skandal ohnegleichen.



    Leider ist das die typisch deutsche Mentalität wachsweich die Konfrontation mit Erdogan zu umgehen.



    Das ist auch uns als Bürgern nur noch schwer zu vermitteln und macht die Distanz zur Politik und deren Entscheidungen nur noch größer.

    • @Tom Lehner:

      „Wertebasierte“ Kraftmeierei gegenüber Erdogan ist genau so produktiv wie gegenüber den Mullahs in Teheran. Den bedrängten Menschen vor Ort hilft es nämlich gar nichts in ihrem Kampf gegen diese Regimes.



      Wir sprechen hier ja über Antisemitismus IN Deutschland in seinen verschiedenen Ausprägungen, dabei natürlich auch über migrantisch-muslimischen Antisemitismus, wenn auch nicht ausschließlich. Und natürlich ist da eine Organisation wie DITIB höchst problematisch, die hierzulande als verlängerter Arm einer offen antisemitisch agierenden türkischen Religionsbehörde gilt.



      Aber DAS Problem hat sich die deutsche Politik selber eingehandelt, in dem sie Islamverbände als Hauptansprechpartner in religiösen wie gesellschaftspolitischen Belangen akzeptiert hat, die nur knapp ein Viertel aller hierzulande lebenden Muslime vertreten.



      Sie sprechen hier von Erdogan und DITIB, denken Sie aber auch daran, dass andere Islamverbände - die 1) eher die nicht-türkischstämmigen Muslime unter ihrem Dach versammeln oder 2) dem „regierungsamtlichen“ türkischen AKP-Islamismus äußerst kritisch gegenüberstehen -, auch nicht vor antisemitischen Tendenzen gefeit sind. Aber das sind Auseinandersetzungen, die in DIESER Gesellschaft geführt werden müssen, gemeinsam mit den muslimischen Bürgern, die selbstverständlich Teil dieser Gesellschaft sind.

      • @Abdurchdiemitte:

        Kraftmeierei statt Diplomatie gegenüber Staatsoberhäuptern, mit denen man zusammenarbeiten muss, ist kontraproduktiv. Aber wenn Deutschland z. B. die DITIB verböte oder ihre Finanzierung aus dem Ausland unterbände, wäre das keine Kraftmeierei gegenüber Erdogan, sondern die Regelung einer inneren Angelegenheit Deutschlands. Umgekehrt lässt sich Erdogan auch nicht seine Innenpolitik von Deutschland vorschreiben. Stellen Sie sich mal vor, Deutschland würde ein Programm zum Bau von Kirchen in der Türkei finanzieren wollen. Ich gehe nicht davon aus, dass Erdogan den Bau dieser Kirchen tatenlos geschehen ließe. Und erst recht dann nicht, wenn die Geistlichen, die dort tätig werden sollen, einer deutschen Behörde unterstellt wären.

        • @Budzylein:

          Deutschland setzt halt in der Haltung gegenüber Organisationen der migrantischen Communities andere politische Prioritäten. Nicht, dass ich das gut finde, wie das geschieht. Wir fragen uns wahrscheinlich gemeinsam, warum die kurdische PKK hierzulande verboten ist, nicht aber die faschistischen Grauen Wölfe.



          Und wenn man konsequente Maßstäbe anlegen würde, müsste im islamistischen Spektrum nicht nur DITIB, sondern auch Milli Görüs und einige andere - die Erdogan und der AKP in der Türkei ablehnend gegenüberstehen, aber genau so unserer Gesellschaft und ihren liberalen Werten - mehr verboten werden. Wo wollen Sie da anfangen und wo aufhören?



          Ich bin der festen Überzeugung, dass eine solche Verbotspolitik zu kurz greift, letztlich der falsche Ansatz ist - wie man gerade am Beispiel des PKK-Verbots in den Neunzigerjahren gut dokumentieren kann - , um Konflikte zu lösen, die in einer migrantischen Gesellschaft wie der unseren nun mal bestehen, zwischen Minderheiten, aber auch zwischen Mehrheit und Minderheiten.



          Der Ansatz erinnert mich stark an die bevormundende Haltung unserer Vätergeneration: „Solange du deine Füße unter meinen Tisch stellst …“. Das finde ich alles andere als lösungsorientiert. Verbote und Abschiebungen, kann man machen, sofern das alles juristische Substanz hat, aber löst das wirklich die Probleme von „Konfliktimport“ in der Migrationsgesellschaft?

  • AbdurchdieMitte hat bereits auf die Alhambra-Gesellschaft hingewiesen und andere liberale/demokratische/deutsche Muslime. Es findet nämlich seit Jahren ein innerreligiöser Diskurs statt. Wäre vielleicht gar nicht so übel, wenn die taz mal Menschen wie Murat Kayman, Eren Güvercin, Nimet Şeker und Akim Şimşek für Interview u/o Gastbeitrag gewänne.



    Die innermuslimische Debatte und die Auseinandersetzung mit verbandlichen Verkrustungen und überkommenen Abschottungshaltungen kann man etwa im Blog von Murat Kayman oder im Podcast MuslimDebate verfolgen.



    Wäre wirklich toll, wenn die taz als relevante Stimme in der gesellschaftlichen Debatte weniger protektionistisch-mütterlich _über_ vermeintlich ungerechtfertigte Ansprüche an Bürger*innen schriebe und stattdessen (hach, wie früher) wieder mehr denjenigen Menschen Raum, Zeichenzahl und Stimme gäbe, die sich für Liberalität, Demokratie, eine säkulare Gesellschaft, die Werte des Grundgesetzes stark machen.

    • @hierbamala:

      Habe Eren Güvercin übrigens neulich im Deutschlandfunk-Interview gehört. Seine Kritik am “offiziellen” Islam im Deutschland war überdeutlich, sowie auch an dessen Reaktionen auf den Hamas-Terror vom 7. Oktober. Ich teile nicht alle seine Positionen zu einem zeitgemäßen Islam, hier aber war die klare Ansage genau richtig.



      download.deutschla..._2309_87d011ac.mp3

    • @hierbamala:

      Das Problem ist, dass diese liberalen Stimmen halt meist gut ausgebildet, z.T. im Westen sozialisiert und Demokraten sind.



      Damit vertreten sie - zumindest aus Sicht der postkolonialen, antiimperialistischen Linken - wohl ganz und gar nicht die Menschen aus dem "Globalen Süden", deren Sichtbarmachung auch (grundsätzlich löbliches) Ziel der taz ist.



      Aber das Dilemma ist offensichtlich.

  • Folgendes schrieb der Zentralrat der Muslime in seiner ersten Erklärung zum 8. Oktober:

    „Wir verurteilen die jüngsten Angriffe der Hamas auf Zivilisten und rufen dazu auf, sofort die Gewalt zu beenden. Damit nicht noch mehr Opfer in der Zivilbevölkerung beklagt werden, müssen alle Seiten jetzt die Kampfhandlungen sofort einstellen.



    Zutiefst verstörend ist, dass Siedler flankiert durch die israelische Armee seit zwei Jahren palästinensische Dörfer und die Al-Aqsa Moschee angreifen, ohne dass die internationale Gemeinschaft eingreift.“







    Anschließend folgt die Anmerkung, dass sich Juden und Muslime als „Geschwister im Glauben an den einen Gott“ durch die „Gewaltspirale“ nicht „auseinanderdividieren“ lassen dürften.



    Mit diesen Aussagen mag der Zentralrat zwar „erstaunlich schnell“ reagiert haben, nur leider auch erstaunlich schlecht. Dieser Aufruf rief damals auch reichlich Kritik hervor, was Daniel Bax offenbar entgangen ist.



    Zu den Distanzierungsversuchen von Ditib kann ich nur den Zeit-Artikel „Ein Bekenntnis ohne Bedeutung“ von Christian Parth empfehlen, der den Einschätzungen von Bax widerspricht:

    Ditib und Hamas: Ein Bekenntnis ohne Bedeutung | ZEIT ONLINE

  • Die von der deutschen Politik hofierten Islamverbände sind nicht unbedingt groß; man denke nur an den "Zentralrat der Muslime", der allenfalls 5 % der Muslime in Deutschland organisiert. Sie sind vor allem eines: Religiös stockreaktionär und auch politisch sehr weit rechts. Liberale bzw. progressive muslimische Organisationen oder gar einen kurdischen Verband lädt man nicht zur "Islamkonferenz" ein. Würde die Politik sich beim Christentum ebenso verhalten, kämen nur Evangelikale in die Konferenzen.

    • @Budzylein:

      Oder auf katholischer Seite Organisationen wie Opus Dei oder Ordo Iuris.

      • @LeandraM:

        Ja. Danke für die Ergänzung.

  • Dass die Politiker mit ihren Forderungen richtig liegen, zeigen die ersten beiden Absätze des Artikels.



    Die Demos - u.a. die in Essen - zeigen, dass wir ein Problem mit türkisch- / arabischstämmigen Antisemitismus haben. Dass es den auch von Biodeutschen gibt, macht die Sache keinen Deut besser.

  • Ein entschiedenes einstehen für ein friedliches Zusammenleben erfordert eine unmissverständliche Verurteilung der islamistischen Gewalt, die aber von islamischen Verbänden nie so eindeutig geäußert werden, dass man als nicht muslim vertrauen fassen könnte.

  • Wir leben hier zusammen in Deutschland.



    Wir haben eine demokratisch gewählte Regierung, die die Spitzen der Entscheidungsmacht besetzt.



    Diese demokratischen Institutionen und Personen dürfen sehr wohl zum Ausdruck bringen, was Sie von Ihrer Bevölkerung erwarten.



    Die demokratischen polititischen Parteien und insbesondere die Regierung haben sich im Nahostkonflikt sehr klar positioniert.



    Von der Linken kann man/ frau das nicht behaupten.



    Das Gleiche gilt für einen großen Teil der Islamverbände.

  • 2. Teil: Antisemitismus zu distanzieren.

  • "Tatsächlich haben die großen Dachverbände sogar erstaunlich schnell reagiert und schon am 8.Oktober eine erste Erklärung abgegeben, in der sie die Gewalt verurteilten und vor einer Eskalation warnten."

    Die Erklärungen die ich gelesen habe, waren nicht eindeutig. Beispielsweise am 08.10.23 "Der Koordinationsrat der Muslime verurteilt die Gewalt gegen die Zivilbevölkerung und fordert ein sofortiges Ende der Gewalt und der Eskalation." interpretiere ich so, dass damit auch Israel gemeint ist, also die Gewalttaten der Hamas nicht eindeutig verurteilt wurden ... in der gesamten Erklärung nicht.

    Aber vielleicht können andere Kommentatoren Zitate liefern, in denen muslimische/islamische Dachverbände die Gewalttaten der Hamas, ohne zu relativieren, verurteilen und Israel zugestehen, sich zu verteidigen. Denn es geht ja auch darum, dass Israel sich wehren darf.

    "Das hieße, Muslime nicht nur von oben herab zu belehren und ihnen Bekenntnisse abzuverlangen, sondern sie als gleichberechtigte Bürger zu begreifen und auch auf ihre Sorgen und Ängste einzugehen."

    (Auch) muslimische Bürger und Bürgerinnen in Deutschland an die deutsche Staatsräson zu erinnern bzw. diese in Erinnerung zu rufen, betrachte ich nicht als "von oben herab belehren". Ich hatte das tatsächlich auch nicht mehr so ganz im Kopf, ging im Alltag einfach unter.

    Ich bin der Ansicht, dass wir gegenwärtig eher auf die Sorgen und Ängste der jüdischen Bürger und Bürgerinnen eingehen müssen, die auch hier in Deutschland seit dem 07.10.23 Verfolgung und Angriffen ausgesetzt sind, wie auch in mehreren taz-Artikeln berichtet wurde.

    Dass einige nicht-muslimische Bürger incl. Politiker in Deutschland irritiert waren, dass hier anlässlich des 07.10. Süßigkeiten verteilt und Freudentänze aufgeführt werden, Demonstrationen für ein Kalifat, Hamas-Flaggen geschwenkt und IS-Zeichen gezeigt wurden, kann ich gut nachvollziehen und finde es nicht unangemessen, darum zu bitten (so habe ich das verstanden), sich von Antisemi...

  • Doch, man darf von den Islamverbänden sehr wohl eine Distanzierung erwarten, wenn Gewalttaten ihm Namen ihrer Religion begangen werden. Als damals in den 90er Jahren Nazis mit Berufung auf Deutschland wie in Solingen oder Mölln gemordet haben haben gab es auch eine breite und deutliche Distanzierung der deutschen Mehrheitsgesellschaft in der Namen die Täter vermeintlich gemordet haben. Ich erinnere mich an Demonstrationen und Lichterketten mit mehreren Hindertausend Teilnehmern; ich war selbst mit dabei um zu zeigen, dass diese Verbrecher eben nicht für Deutschland und die deutsche Gesellschaft stehen. Warum ist es in diesem Fall zu viel verlangt eine ebensolche Erwartungshaltung an die hiesigen Muslime zu formulieren? Es wäre ein Chance zu zeigen, dass sie zu dieser Gesellschaft gehören und gehören wollen und eben nicht damit einverstanden sind was Terroristen ihm Namen ihrer Religion begehen. Leider wird diese Chance allzu oft nicht genutzt und die größte Sorge die bekundet wird ist die vor einer zunehmenden Islamophobie. Auf die Idee dem entgegenwirken zu können indem sie aufstehen und sich klar und deutlich distanzieren kommen die Wenigsten. Sorry, aber das ist zu bequem und zu wenig.

    • @Fran Zose:

      Das war vor 30 Jahren und heute ist eine rassistische Partei in Deutschland auf dem Vormarsch. Es war zwar gut das damals viele dagegen auf die Straße gingen, aber darüber hinaus hat sich nicht viel geändert. Kein Grund das wir Deutschen uns dafür noch nach 30Jahren auf die Schulter klopfen. Man kann die Islamverbände kritisieren, aber das darf nicht in Kollektivschuld abdriften.

    • @Fran Zose:

      Damals ging es um "Ausländer" nicht um Religion.

  • Nein, man kann den Islamverbänden sicher nicht vorwerfen, den Terror der Hamas gutzuheißen. Aber es stimmt auch, dass ihre offiziellen Distanzierungen unmittelbar nach dem 7.10. nur als halbseiden bezeichnet werden können. Darauf hat nicht nur der jüdische Zentralrat in Deutschland hingewiesen, sondern beispielsweise auch die Alhambra-Gesellschaft und andere liberale Muslime hierzulande. Die Statements der Islamverbände zum 7. Oktober sind bei weitem nicht ausreichend, das der DITIB sogar ausgesprochen problematisch (wegen der eindeutigen pro-Hamas-Sympathien der türkischen Religionsbehörde, dessen verlängerter Arm in Deutschland nun mal DITIB ist).



    Möchte der Islam Teil der deutschen Gesellschaft sein - wie Ex-Bundespräsident Wulff seinerzeit absolut zutreffend postulierte -, wäre hier wesentlich deutlichere Abgrenzung von islamistischen Extremisten vonnöten.



    Zugleich ist entschieden den Versuchen entgegenzutreten, die Antisemitismus-Debatte in diesem Land dazu zu nutzen, Islamfeindlichkeit zu schüren und Muslime unter antisemitischen Generalverdacht zu stellen. Das ist ein ganz schäbiges Geschäft von konservativer und noch rechterer Seite. Linke und Liberale sollten sich daran nicht beteiligen.