Iran als Bedrohung Israels: „Iran könnte ein Arsenal an Atomwaffen bauen“
Iran entwickle chemische Waffen und statte wohl die Hisbollah damit aus, sagt der israelische Diplomat Nadav Eshcar. Das Regime strebe nach der Atombombe.
taz: Herr Eshcar, wie weit ist das Regime in Iran aus Ihrer Sicht mit dem Bau einer Atombombe?
Nadav Eshcar: Wir wissen unter anderem aus den Berichten der Internationalen Atomenergiebehörde, dass der Iran spaltbares Material auf einen Reinheitsgrad von 60 Prozent angereichert hat. Um von dort auf das waffenfähige Niveau von 90 Prozent zu kommen, ist es nur ein sehr kleiner Schritt. Schon mit der Menge, die der Iran an 60-prozentigem Material hat, können vier Atombomben gebaut werden und wenn der Iran sein ganzes Material waffenfähig anreichert, reicht es gar für zehn Atombomben. Wir sprechen also nicht einfach nur von nuklearen Fähigkeiten, sondern davon, dass der Iran ein ganzes Arsenal an Atomwaffen bauen könnte.
taz: Das Regime hat den Vorwurf immer zurückgewiesen.
Eshcar: Es gibt keine Zweifel an dem, was sie vorhaben. Spaltbares Material von geringer Reinheit, auf einer Stufe von beispielsweise 4 Prozent, wird für eine ganze Reihe von Zwecken verwendet, zum Beispiel in der Medizin. Hochangereichertes Uran mit einem Gehalt von 60 Prozent wird hingegen nur für militärische Zwecke verwendet. Eine ausschließliche zivile Nutzung gibt es hier nicht – das Material wäre dafür auch viel zu instabil und gefährlich.
Botschafter Nadav Eshcar ist israelischer Diplomat. Er leitet das Büro für Strategische Angelegenheiten im Außenministerium. Zuvor war er Direktor für Proliferationsbekämpfung und Botschafter Israels in Vietnam.
taz: Wie lange dauert es, 60-prozentiges Material auf waffenfähiges 90-prozentiges-Material anzureichern?
Eshcar: Wenn sich die iranische Führung dazu entscheidet, ist es höchstens eine Frage von Wochen.
taz: Neben dem Material sind für eine funktionsfähige Atomwaffe auch weitere Komponenten nötig, etwa Raketen, die die Bombe ans Ziel bringen würden, und zudem ein Auslösemechanismus. Können Sie dazu etwas sagen?
Eshcar: Im April und Oktober wurde Israel direkt mit Raketen aus dem Iran angegriffen – es waren die bisher größten Angriffe mit ballistischen Raketen der Geschichte. In diesen Nächten haben wir gesehen, dass der Iran diese Waffen hat und sie auch einsetzt. Die Entwicklung der einzelnen Segmente zu verfolgen, ist indes herausfordernder. Wenn das Regime beschließt, etwas im Verborgenen zu entwickeln, ist es schwierig, das zu überwachen.
taz: Was ist Ihnen über den Stand bei der Entwicklung eines Auslösemechanismus durch den Iran bekannt?
Eshcar: Dieser Komplex bereitet uns wirklich Sorgen. Wir können eins und eins zusammenzählen.
taz: Gibt es Anzeichen dafür, dass die Atommächte Russland, China oder Nordkorea dem Iran dabei helfen, eine Atombombe zu entwickeln?
Eshcar: Dazu kann ich mich nicht äußern.
taz: Ich frage das alles so genau, weil sich aus dem Zeitrahmen, bis der Iran eine funktionsfähige Atomwaffe besitzt, auch ergibt, wie viel Raum noch potentiell für eine diplomatische Lösung bleibt, das Regime davon abzuhalten.
Eshcar: Das Hauptproblem für eine diplomatische Lösung ist die Entschlossenheit des Iran, seine nuklear-militärischen Fantasien weiter in die Tat umzusetzen. Man muss sie so stark unter Druck setzen, dass sie verstehen, dass es für sie das Beste ist, ihren Plan aufzugeben. Wir erklären der internationalen Gemeinschaft immer wieder, dass der Iran eine Bedrohung für die globale Sicherheit ist und dieses Problem gelöst werden muss. Wenn das nicht gelingt, kann das die ganze internationale Gemeinschaft auf schreckliche Weise verändern.
taz: Sie führen darüber auch Gespräche mit der deutschen Regierung. Besteht hier Einigkeit?
Eshcar: Die deutsche Regierung versteht, dass das Regime nicht nur ein regionales Problem ist. Sie verstehen, dass es auch eine direkte Bedrohung für Europa ist.
2015 schlossen die USA, Russland, China, Frankreich, Großbritannien, Deutschland und die EU mit dem Iran ein Atomabkommen (JCPOA) für zehn Jahre. Der Iran sollte von der Entwicklung einer Atombombe ablassen. Dafür wurden weltweit gültige UN-Sanktionen gegen den Iran außer Kraft gesetzt.
2018 verließen die USA das Abkommen unter Präsidenten Trump einseitig und verhängten eigene Sanktionen. Danach beschleunigte der Iran die Anreicherung von spaltbarem Material.
Bis zum 17. Oktober 2025 läuft das Abkommen offiziell noch für die verbliebenen Vertragspartner. Falls einer der Vertragspartner einen massive Verstoß des Irans gegen das Abkommen feststellt, könnte er bis dahin den sogenannten „Snapback“-Mechanismus aktivieren. Damit träten die weltweiten UN-Sanktionen wieder in Kraft.
taz: In der vergangenen Woche hatte sich der Streit um Irans Atomprogramm zugespitzt. Nach einer förmlichen Kritik der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) und einer Resolution des Gouverneursrats, drohte das Regime mit der Inbetriebnahme Tausender neuer Zentrifugen zur Urananreicherung. Am heutigen Freitag wollen sich in Genf Vertreter des Iran mit Deutschland, Frankreich und Großbritannien treffen. Wäre die Wiederbelebung des internationalen Atomabkommens (JCPOA) eine Lösung?
Eshcar: Teheran hatte nie die Absicht, das militärische Atomprogramm einzustellen. Im Bezug auf das ballistische Raketenprogramm hat der Iran im Grunde die ganze Zeit gegen die einschlägige UN-Resolution verstoßen. Was die Uran-Anreicherung angeht, gab es vielleicht zu Beginn des Atomabkommens im Jahr 2015 ein Fenster, in dem man sich erhoffte, die Schritte des Irans zu verlangsamen. Israel hat das Abkommen von Anfang an als unzulänglich kritisiert. Aber wenn es überhaupt einen Wert hatte, so ist dieser nun endgültig passé.
taz: Wie meinen Sie das?
Eshcar: Teheran hat mittlerweile alle technischen Fähigkeiten, die es braucht, um Material atomwaffenfähig anzureichern. Vor dem Beginn des Atomabkommens 2015 war das noch nicht der Fall. Es ergibt also keinen Sinn mehr, das Abkommen wiederzubeleben.
taz: Das Regime hat die Anreicherung erst beschleunigt, als die USA im Jahr 2018 einseitig aus dem Abkommen ausgestiegen sind.
Eshcar: Wir könnten lange über die Geschichte philosophieren. Aber eines können wir mit Sicherheit sagen: Der Iran hat immer weiter Material angehäuft.
taz: Laut einem aktuellen, nicht-öffentlichen IAEA-Bericht verfügte der Iran Ende Oktober insgesamt über mehr als 6.600 Kilogramm angereichertes Uran, 32 Mal so viel, wie in dem Atomabkommen festgelegt wurde. Im Bezug auf Uran von einem Reinheitsgrad von 60 Prozent habe der Iran in den vergangenen Monaten seinen Vorrat um etwa 18 Kilogramm auf rund 182 Kilogramm erhöht.
Eshcar: Es ist die größte Menge, die sie je hatten. Das Atomabkommen besteht offiziell noch bis Oktober 2025 – Deutschland ist noch Vertragspartner, ebenso das Vereinigte Königreich, Frankreich, Russland und China. Ich nehme an, dass keiner der Vertragspartner glücklich darüber ist, dass der Iran nukleare Fähigkeiten entwickelt. Im Falle von Verstößen gegen das Abkommen sieht der Vertrag übrigens die Möglichkeit vor, dass die Vertragsparteien das Abkommen rückgängig machen können.
taz: Ihr neuer Verteidigungsminister, Israel Katz, hat sich kurz nach seiner Amtsübernahme Anfang November für einen Angriff auf die iranischen Atomanlagen ausgesprochen. Gibt es aus Ihrer Sicht überhaupt einen Raum für diplomatische Lösungen?
Eshcar: Wir wollen, dass es auf diplomatischem Wege gelöst wird. Ich hoffe, dass man das noch schaffen kann. Aber: Das militärische Nuklearprogramm des Iran muss vollständig auf ein Stadium zurückgeführt werden, in dem es nicht gefährlich ist. Das ist die Lösung, die wir brauchen. Alles andere ist sinnlos.
taz: Gehen Sie davon aus, dass das iranische Regime die Atombombe einsetzen würden? Wäre sie nicht eher ein Mittel, um mehr Macht zu erlangen?
Eshcar: Wir können es uns nicht leisten, uns diese Frage wirklich zu stellen.
taz: Israel würde dem Iran unter keinen Umständen erlauben, eine Atommacht zu werden?
Eshcar: Nein. Diese existentielle Bedrohung können wir nicht zulassen. Es könnte unser Ende sein.
taz: Was erwarten Sie von der deutschen Regierung?
Eshcar: Deutschland hat Israels Sicherheit zur Staatsräson erklärt. Jeder Kompromiss, der eine iranische nukleare Bewaffnung auch nur im Ansatz zulässt, gefährdet Israels Sicherheit. Ich kann Ihrer Regierung nicht sagen, was Sie tun soll. Wenn sie einen Weg finden würde, das mit einem Minimum an Blutvergießen zu verhindern, wäre das großartig. Wir verspüren jedenfalls eine Frustration darüber, dass Teheran trotz all der Maßnahmen der internationalen Gemeinschaft nicht aufhören will. Aber das müssen sie, egal wie.
Dem Iran wird vorgeworfen, chemische Waffen aus dem synthetischen Opioid Fentanyl entwickelt zu haben. Davor warnte unter anderem der US-Experte Matthew Levitt im Oktober.
Fentanyl wird eigentlich im medizinischen Bereich in der Anästhesie verwendet. Als Waffenkomponente wird es noch mal konzentriert.
In Granaten eingesetzt, greift das waffenfähige Fentanyl das zentrale Nervensystem der Menschen an. Es macht sie handlungsunfähig oder tötet sie.
taz: Als Israels Zuständiger für die Proliferations-Bekämpfung waren Sie bis vor kurzem nicht nur für Atomwaffen, sondern alle Massenvernichtungswaffen zuständig. Können Sie Berichte bestätigen, dass der Iran auch chemische Waffen entwickelt?
Eshcar: Leider ja. Der Iran betreibt seit einigen Jahren ein Chemiewaffenprogramm. Dabei geht es nicht um bekannte chemische Kampfstoffe, wie Senfgas oder Sarin, sondern um moderne Chemikalien wie hochkonzentriertes Fentanyl.
taz: Woher wissen Sie, dass der Iran das Fentanyl als chemische Waffe und nicht etwa für medizinische Zwecke verwenden will?
Eshcar: Der Iran baut es in Hand- und Mörsergranaten ein. Wir haben zudem Grund zur Annahme, dass das Regime diese chemischen Waffen auch an seine Proxies übergeben hat.
taz: An die Hisbollah?
Eshcar: Ja, das vermuten wir. Das ist sehr beunruhigend.
taz: Im Krieg mit der Hisbollah wurde Anfang der Woche eine Waffenruhe vereinbart. Was ist der Plan für den Gazastreifen? Planen Sie eine Militärregierung, die von Israel geführt wird?
Eshcar: Was morgen in Gaza sein wird, wissen wir nicht. Wir wissen aber, was morgen in Israel die Realität sein muss: die Kibbuzim und Dörfer an der Grenze zu Gaza müssen den Weg zurück in die Normalität finden. Die israelische Regierung hat die Pflicht, sicherzustellen, dass so etwas wie der 7. Oktober 2023 nie wieder passieren wird.
taz: Beinhaltet das auch, dass es neue jüdische Siedlungen im Norden des Gazastreifens geben wird?
Eshcar: In den Medien wird derzeit viel diskutiert, aber darauf möchte ich nicht eingehen. Unser Hauptziel besteht darin, die am 7. Oktober Entführten sicher zurückzubringen. Unsere Aufgabe ist es, für sie eine Situation zu schaffen, in der sie gesund heimkehren können. Gleichzeitig müssen wir den Gemeinden, die so stark gelitten haben, ihre Sicherheit zurückgeben.
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