piwik no script img

Grundgesetzänderung im BundestagBSW und AfD sollen draußen bleiben

Die Resilienz des Bundesverfassungsgerichts soll gegen Demokratiefeinde gestärkt werden. Der Bundestag hat mit großer Mehrheit zugestimmt.

Die Änderung des Grundgesetzes soll AfD und BSW davon abhalten, die Wahl von Bundesverfassungsgerichtsrichtern zu blockieren Foto: Uli Deck/dpa

Karlsruhe taz | Die Parteien der Mitte – SPD, Grüne, FDP und CDU/CSU – wollen mit einer Verfassungsänderung verhindern, dass AfD und BSW die Wahl der Richter zum Bundesverfassungsgericht blockieren können. Im Bundestag stimmten am Donnerstag 600 Abgeordnete für die Änderung des Grundgesetzes, 69 stimmten dagegen. An diesem Freitag muss noch der Bundesrat mit Zwei-Drittel-Mehrheit zustimmen. Im Bundestag ging es um zwei Gesetzentwürfe, die SPD, CDU/CSU, Grüne und FDP gemeinsam eingebracht hatten. Mit dem ersten Gesetzentwurf sollte das Grundgesetz geändert werden, mit dem zweiten das Gesetz über das Bundesverfassungsgericht.

Es war nicht selbstverständlich, dass die gemeinsame Initiative trotz des Ampelbruchs und der anstehenden Neuwahlen weiterverfolgt wurde. „Hier zeigt sich die Stärke unserer politischen Kultur“, sagte Neu-Justizminister Volker Wissing (parteilos). Die CDU/CSU hatte die Gespräche im Februar sogar einmal platzen lassen, die Grundgesetzänderung sei nicht erforderlich, hieß es damals. CDU-Chef Friedrich Merz erhielt dafür jedoch so empörte öffentliche Reaktionen, dass er bereits nach einem Tag zurückruderte und die Union sich wieder an der Initiative beteiligte.

Wichtigster Punkt der Reform ist es, AfD und BSW bei der Verfassungsrichterwahl ausgrenzen zu können. Bisher wird die Hälfte der 16 Ver­fas­sungs­rich­te­r:in­nen im Bundestag und die andere Hälfte im Bundesrat gewählt. Da jeweils eine Zwei-Drittel-Mehrheit erforderlich ist, müssen sich die Parteien der Mitte einigen. In der Praxis haben CDU/CSU und SPD je sechs Vorschlagsrechte, Grüne und FDP können jeweils zwei Ver­fas­sungs­rich­te­r:in­nen vorschlagen.

Sollten AfD und BSW zusammen mehr als ein Drittel der Sitze im Bundestag erreichen, müssten sie nach den bisherigen Regeln auch beteiligt werden. Sie hätten dann eine „Sperrminorität“. Damit könne man die Richterwahl allerdings auch „sabotieren“, warnte Minister Wissing.

Harsche Kritik von der AfD

Die Parteien der Mitte haben deshalb einen Ersatzwahlmechanismus eingeführt: Wenn einige Monate lang im Bundestag keine Zwei-Drittel-Mehrheit für die Wahl neuer Ver­fass­ungs­rich­te­r:in­nen zustande kommt, darf der Bundesrat die Rich­te­r:in­nen wählen – und umgekehrt.

Die AfD kritisierte die Mehrheitsparteien heftig. „Sie wollen bewährte Strukturen zerschlagen“, sagte der Abgeordnete Stephan Brandner, „sie greifen das Bundesverfassungsgericht an, nicht wir“. Der Abgeordnete Fabian Jacoby rief der Mehrheit zu: „Sie delegitimieren das Bundesverfassungsgericht. Sie sagen einer immer größeren Zahl von Wählern, dass dies nicht ihr Verfassungsgericht ist.“ Das „Parteienkartell“ sei nicht bereit, „das Verfassungsgericht als Herrschaftsinstrument aus der Hand zu geben“, so Jacoby.

Auch die BSW-Abgeordnete Amina Mohamed Ali kritisierte die Pläne: „Sie befürchten offensichtlich, bei der Bundestagswahl so abgestraft zu werden, dass sie nicht mehr die Zwei-Drittel-Mehrheit erreichen“, sagte sie. Vertrauensverlust sei aber kein Konstruktionsfehler der Demokratie, der durch eine Grundgesetzänderung korrigiert werden müsse.

Neben dem neuen Ersatzwahlmechanismus sollen in der Verfassung einige bekannte Merkmale des Bundesverfassungsgerichts festgeschrieben werden, die bisher nur gesetzlich geregelt sind, etwa, dass das Gericht aus zwei Senaten mit je acht Rich­te­r:in­nen besteht. „So kann verhindert werden“, erklärte SPD-Fraktionsvize Dirk Wiese, „dass antidemokratische Kräfte, wenn sie eine Mehrheit im Bundestag haben, etwa einen dritten Senat mit linientreuen Richtern installieren, der alle wichtigen Verfahren entscheidet.“

Dass die Verfassungsrichter mit Zwei-Drittel-Mehrheit gewählt werden, soll auf Wunsch der CDU/CSU allerdings nicht im Grundgesetz festgeschrieben werden, obwohl viele Ex­pert:in­nen in dieser breiten Verankerung des Bundesverfassungsgerichts einen Hauptgrund für seine große Akzeptanz sehen. Die Union will dem Bundestag aber die Möglichkeit belassen, bei Bestehen einer destruktiven Sperrminorität das Wahlquorum abzusenken. Zwar ist für solche Fälle künftig der Ersatzwahlmechanismus vorgesehen, die CDU/CSU will sich aber alle Optionen offen lassen.

In einem Änderungsantrag hatte die AfD beantragt, dass die Nichtannahme von Verfassungsbeschwerden künftig begründet werden muss. Ansgar Heveling, der Justiziar der CDU/CSU-Fraktion, wertete dies als Beleg dafür, dass die AfD das Bundesverfassungsgericht durch Mehrarbeit „lahmlegen“ wolle.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

5 Kommentare

 / 
  • Das 2/3 Gesetz kann nach hinten losgehen,



    nämlich dann, wenn die AfD (oder AfD + BSW) mal 1 Stimme mehr als 1/3 erreichen sollten, dann kann man gar nichts mehr ändern, weil man die 2/3 nicht mehr erreicht. Eine goldene Lösung kenne ich leider auch nicht.

  • "AfD und BSW sollen draussen bleiben.. ".. klingt eher wie "wir wollen drinnen bleiben". Ein Eigentor.

  • Das oberste Gericht, das als letzte Instanz über Einhaltung einer Verfassung, die entgegen dem Willen und Versprechen seiner AutorInnen nie Gegenstand einer Volksabstimmung war, wacht, wird im Namen der 'wehrhaften Demokratie’ besser gegen 'Angriffe' geschützt. Man muss nicht radikal-demokratisch Denken, um zu verstehen, dass damit nicht dem Gedanken der Demokratie als bürgerliche Mitbestimmung gedient ist, sondern so die gegenwärtige Herrschaftsordnung gegen jede, auch mehrheitlich gewollte und mehr Demokratie fordernde, Veränderung gewappnet wird. Kein Schelm, wer dahinter einen Schachzug all derer vermutet, die sich als die sicheren Profiteure dieser nun schon 75 Jahre alten Bundesrepublik sehen und die eine paranoide Angst vor Systemveränderungen haben. Bedauerlicherweise kann sich die AfD als Verteidigerin der repräsentativen Demokratie generieren. Es droht die Verkrustung eines politischen System, dass man für das beste der Welt halten mag, die aber angesichts ausgerufener Zeitenwenden und verbreiterter Forderungen nach Modernisierung schon paradox erscheint. 'Unsere Demokratie' exkludiert die Andersdenkenden. Mit lebendiger Demokratie hat das immer weniger zu tun.

  • Ich verstehe beide Perspektiven, denn destruktive Neorechstrabiate könnten so oder so auf die inzwischen häufiger ausgeübte Destruktionstour gehen.



    Die Schlupflöcher à la Polen, Ungarn sollte mensch aber halbwegs schließen. Die Allierten pauken uns wohl nicht mehr raus.

  • Es gibt eine Hintertür. Nennt sich CDU/CSU.