Grüne Landesministerin über die Union: „Mich gruselt es“

Die CDU-Stimmungsmache beim Einbürgerungsrecht sei schäbig, sagt Aminata Touré. Trotz grüner Zugeständnisse stellt sie der Ampel ein gutes Zeugnis aus.

Aminata Touré (Bündnis 90/Die Grünen), Ministerin für Soziales, Jugend, Familie, Senioren, Integration und Gleichstellung, im Kieler Landtag

Im Kieler Landtag: Aminata Touré ist die erste afrodeutsche und die jüngste Ministerin Deutschlands Foto: Marcus Brandt/dpa

taz: Frau Touré, wie bewerten Sie als grüne Sozialministerin in Schleswig-Holstein die Berliner Ampelregierung?

Aminata Touré: Die Ampel hat in diesem Jahr krass geliefert. Im Frühjahr wussten wir noch nicht, ob wir gut über den Winter kommen und genügend Energie haben. Der Krieg in der Ukraine ist nicht vorbei, aber in diesem Moment ist es sehr beruhigend, dass wir keine Versorgungsknappheit haben. Es wurden zudem drei Entlastungspakete geschnürt, die sind mit der Zeit immer besser geworden. Wenn Rent­ne­r*in­nen oder Studierende vergessen worden sind, wurde nachgesteuert.

Funktionieren die Entlastungspakete nicht zu sehr nach dem Prinzip „Gießkanne“? Zum Beispiel profitieren auch die von Heizkostenzuschüssen, die es gar nicht nötig haben.

In dieser Ausnahmesituation, in der die Ampel war, denke ich: Bevor niemand entlastet wird, ist es besser, alle zu entlasten. Und es wurde ja auch zielgruppengerichtet entlastet: etwa beim Bürgergeld oder beim Wohngeld. Gut, die FDP wollte zum Teil auch Menschen entlasten, die das eigentlich nicht bräuchten. Aber so laufen Kompromisse.

Das Bürgergeld ist im Koalitionsvertrag vereinbart. Nach einigem Ringen wurde hier ein Kompromiss gefunden, der besagt: Sanktionen bleiben, dafür gibt’s mehr Geld und mehr Weiterbildung. Wie finden Sie das?

Es ist das Beste, was wir hätten haben können.

Die Grünen wollten die entwürdigenden Sanktionen abschaffen. Das konnten sie nicht durchsetzen.

Das ist extrem schade. Aber es gab von Anfang an einen Konflikt innerhalb der Ampelkoalition. Wir Grünen wollten die komplette Sanktionsfreiheit. Aber da haben wir uns weder bei der SPD noch bei der FDP durchsetzen können.

50 Euro mehr bei den Regelsätzen sind nur ein Inflationsausgleich. Müssten die Grünen nicht ehrgeiziger sein?

Meine Kol­le­g*in­nen im Bund haben hart verhandelt, aber mehr war nicht zu machen. Das Entscheidende neben der Regelsatzerhöhung ist: Wenn Menschen Bürgergeld beziehen, wird überlegt, wie ihnen der Wiedereinstieg in die Berufswelt oder die Weiterqualifizierung ermöglicht werden kann. Und es ist Schluss damit, Kindern und Jugendlichen, deren Eltern Grundsicherung beziehen, Geld wegzunehmen, wenn sie sich etwas dazuverdienen wollen.

Sehen Sie nicht die Gefahr, dass Kinder aus armen Familien dann arbeiten gehen anstatt in den Sportverein?

Nein, das glaube ich nicht.

Warum nicht?

Die Zwänge entstehen nicht durch den Nebenjob, sie entstehen durch die Strukturen drumherum. Ich glaube, dass es für Jugendliche in dem Alter wichtig ist, sich was dazuverdienen zu können, um sich ein paar Sneaker oder eine Tasche kaufen zu können. Aber wenn mir mit 16 Jahren vermittelt wird: Selbst wenn du arbeiten gehst, es lohnt sich für dich nicht, denn der Staat greift es wieder ab – das ist einfach ungerecht.

Was denken Sie: Reichen die Entlastungspakete oder steht im März die nächste Runde an?

Das werden wir erst in den nächsten Monaten sehen. Man kann der Ampel aber nicht vorwerfen, dass sie zu wenige Maßnahmen auf den Weg gebracht hat. Die Bundesregierung hat es geschafft, dass wir in diesem Winter keine Gasknappheit haben.

Merkt man das an der Stimmung im Land?

Ich glaube schon. Im Sommer haben wir diskutiert, ob Massen protestieren und wir gesellschaftlich komplett auseinanderdriften. Das passiert so nicht. Gerade als Ministerin, die auch für Integration zuständig ist, weiß ich, dass die Akzeptanz, Menschen hier aufzunehmen, ganz stark daran gekoppelt ist, wie es den Leuten hier vor Ort geht.

Die Ampel plant für 2023 eine Reform des Einbürgerungsrechts. In den Debatten darüber hat die CDU populistische Stimmungsmache betrieben. Wie haben Sie das verfolgt?

Es ist maximal schäbig, Debatten aus den 1990er zu recyceln und Ängste zu schüren, und das in einer Zeit, wo ernsthafte Krisen aufeinanderstoßen. Mich gruselt es, dass Friedrich Merz so unterwegs ist, wohl wissend, dass das gesellschaftliche Spannungen hervorrufen kann. Übrigens: Meine CDU-Kolleg*innen in Schleswig-Holstein leisten sich diese schäbige Art und Weise des Politikmachens nicht.

CDU-Chef Friedrich Merz nutzt den Bundesrat, um Gesetze der Ampel zu blockieren. Würden es die Grünen als Koalitionspartner zulassen, dass die CDU in Schleswig-Holstein beim Thema Einbürgerung sagt, wir können uns leider nur enthalten, weil Friedrich Merz das von uns fordert?

Klar, die Faustregel ist: Wenn man sich nicht einigen kann, geht man auf Enthaltung, was im Bundesrat faktisch ein Nein bedeutet. Aber es gibt Themen, die uns so wichtig sind, da werden wir jeden einzelnen Satz besprechen, damit wir uns einigen können. Das ist der Anspruch, mit dem ich in dieses Verfahren gehe.

Ein weiteres Großthema der Ampel wird die Kindergrundsicherung, die derzeit im Bundesfamilienministerium erarbeitet wird. Könnte die Union sie über die Länder im Bundesrat scheitern lassen?

Ich weiß es nicht. Ich habe die CDU um Daniel Günther so erlebt, dass ihnen das Thema auch sehr wichtig ist. Nordrhein-Westfalens CDU-Arbeits- und Sozialminister Karl-Josef Laumann hat gesagt, dass es nicht sein kann, dass Kinder in Armut leben. Und die grüne Bundesfamilienministerin Lisa Paus hat intensiv bei den Ländern darum geworben, die Kindergrundsicherung positiv zu begleiten.

30, ist Ministerin für Soziales, Jugend, Familie, Senioren, Integration und Gleichstellung im schwarz-grün regierten Schleswig-Holstein.

Die Grünen haben ein Modell vorgeschlagen, das 280 Euro Grundbetrag vorsieht plus nach Einkommen gestaffelte Aufschläge. Das kann bis zu 33 Milliarden Euro kosten. Ist das politisch durchsetzbar?

Ich hoffe, dass es nicht an FDP-Finanzminister Christian Lindner scheitert. Die Kindergrundsicherung ist eines der größten und wichtigsten Projekte für uns Grüne und das Bundesfamilienministerium. Ich hoffe, dass Grüne, SPD, FDP und alle, die Verantwortung tragen, an einem Strang ziehen werden, um das durchzuboxen. Bislang sind aber nur Eckpunkte bekannt. In den nächsten Monaten soll ein Entwurf kommen.

Besteht nicht die Gefahr, dass am Ende eine Grundsicherung herauskommt, die auf dem Papier gut klingt, aber tatsächlich unter dem Betrag liegt, den Kinder aus armen Familien jetzt schon bekämen, wenn man alle Leistungen zusammenrechnet?

Wir werden nicht alle Leistungen zusammenpacken und sagen: Das ist die neue Kindergrundsicherung. Lisa Paus wird ein gutes Konzept ausarbeiten. Und möglicherweise kann man im Bundesrat ja auch zu Verbesserungen kommen. Das ist anders als beim Bürgergeld, weil es gesellschaftlich unpopulärer ist, gegen Kinder zu sein.

Die Grünen wollen über die Kindergrundsicherung auch die Qualität in den Kitas verbessern. Es gibt bereits ein Kita-Qualitäts-Gesetz, aber Schleswig-Holstein hat enorme Probleme damit, ausreichend Personal zu finden.

Das betrifft alle Bundesländer. In Schleswig-Holstein haben wir eine Fachkräfteinitiative gestartet. Wir schaffen deutlich mehr praxisintegrierte Ausbildungsplätze und holen sogenannte helfende Hände in die Kitas. Außerdem erleichtern wir den Quereinstieg und verbessern die Karrierechancen und Fortbildungsmöglichkeiten. Das sind wichtige Schritte, aber es ist ein langer Weg bis zur perfekten Kita.

Man holt einfach mehr niedrig qualifiziertes Personal in die Kitas?

Nein. Wir müssen Leute in diese Strukturen reinbekommen, und das geht nur über den Quereinstieg. Leute, die mitten im Leben stehen und zwei Kinder haben, können es sich finanziell und zeitlich oft nicht leisten, ein mehrjähriges duales Ausbildungssystem zu durchlaufen. Wir müssen uns also überlegen, wie wir den Quereinstieg für diese Menschen organisieren können, ohne die Qualitätsstandards völlig abzusenken.

Aber ein bisschen absenken, geht schon?

Wir haben hier im Land vereinbart, dass helfende Hände keine pädagogische Arbeit übernehmen. Denn das würde die Qualität senken. Aber die Er­zie­he­r*in­nen selbst sagen uns: Wenn wir jemanden an der Seite haben, würde uns das entlasten, dann können wir uns auf die pädagogische Arbeit konzentrieren. Das passiert bei uns in Schleswig-Holstein auch schon. Die schlechteste Qualität ist doch, wenn die Kitas zu sind und keine Betreuung stattfindet.

Wie viel Hoffnung setzen Sie da auf das Fachkräfteeinwanderungsgesetz, das ebenfalls 2023 kommen soll?

Es kommt nicht nur auf Fachkräfte, sondern auf das Gesamtpaket an: Wir brauchen schnellere Asylverfahren, damit die Leute auch schneller arbeiten können. Und die Frage der Staatsangehörigkeit ist stark daran gekoppelt, ob wir als Land attraktiv sind für Fachkräfte. Sonst gehen die Menschen in ein englischsprachiges Land, wo sie viel leichtere Bedingungen haben. Es wird nicht mehr mit der Arroganz gehen, mit der die Bundesrepublik in den letzten Jahrzehnten unterwegs war.

Sie haben eine Säule nicht erwähnt: die Rückführungsoffensive. Die ist der Union ebenso wie der FDP wichtig.

Auch die Rückführungsoffensive gehört zu den Koalitionsvorhaben der Ampel.

Sind schnellere Rückführungen die bittere Pille, die Sie als Grüne schlucken müssen?

Die politische Debatte wird manchmal so geführt, als würden Rückführungen nicht stattfinden. Wir haben in unserem Aufenthalts- und Asylrecht Bedingungen formuliert, wann Menschen zurückgeführt werden müssen. Wenn sie bestimmte Straftaten begangen haben zum Beispiel.

Es macht keinen Sinn, diese Frage kategorisch mit Ja oder Nein zu beantworten. Es passiert jeden Tag, die Frage ist: unter welchen Bedingungen. Gleichzeitig muss man sich aber stärker die Gruppe derer anschauen, die in Duldung stecken, sich aber nichts haben zuschulden kommen lassen. Sie müssen wir auch als Teil unserer Fachkräftestrategie sehen. Und zwar in ihrem eigenen Interesse und im Interesse Deutschlands.

Wie ist die Zusammenarbeit auf Landesebene in diesen Fragen mit der CDU?

Gut.

Echt?

Ja. Die starke Polarisierung, die es auf Bundesebene gibt, erleben wir hier nicht.

Und wie erleben Sie Daniel Günther als Ministerpräsidenten? Wäre er ein guter nächster Bundeskanzler?

Ich hoffe nicht, dass es Schwarz-Grün auf Bundesebene gibt.

Müssten Sie jetzt nicht sagen: Wir Grünen streben eine grüne Kanzlerin an?

Natürlich tun wir das. Wenn schon, dann Grün-Schwarz und mit einer grünen Kanzler*in.

Sie sind also für Annalena Baerbock und gegen Robert Habeck als Kanzlerkandidatin?

Kanz­le­r*in habe ich gesagt. Mir ist es egal. Ich finde, sie machen das beide gut.

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