Gewaltsame Kontrolle in der S-Bahn: Kein Ticket? Schwitzkasten
Ein Video zeigt, wie zwei Bahnmitarbeiter einen Schwarzen würgen und aus der S-Bahn zerren. Viele reagieren schockiert, andere rassistisch.
München, S-Bahn-Haltestelle Leuchtenbergring, Dienstag, 11.05 Uhr, Fahrscheinkontrolle. Ein schwarzer Passagier kann keine Fahrkarte vorzeigen, die Situation eskaliert. Als „ziemlich unsanft“ beziehungsweise „ziemlich ruppig“ bezeichnen Bayerischer Rundfunk und Focus Online den Vorfall später, als „völlig außer Kontrolle“ die Bild. Einfach nur „brutal“ oder „rabiat“ finden viele andere Medien, was sich in der S8 abspielte.
Dass sich mittlerweile schon fast jeder eine Meinung zu dem Vorfall gebildet hat, ist nicht verwunderlich. Denn rund anderthalb Millionen Menschen wurden inzwischen Zeuge des Geschehens. Indirekt, dank eines Videos, das die Journalistin Natalija Miletic mit ihrem Smartphone in der S-Bahn aufgenommen hat. Darauf sieht man, wie zwei Sicherheitsleute der Deutschen Bahn den Mann aus dem Zug befördern: Einer von ihnen nimmt ihn in den Schwitzkasten, der andere löst seine Hände von einer Haltestange. Im Hintergrund hört man die Stimmen zweier Frauen. Die eine ist Miletic selbst. „The guy didn’t do anything to you guys“, ruft sie. „Lassen Sie ihn los, Sie tun ihm weh“, fordert eine andere. Am Ende der Szene liegt der Mann auf dem Bahnsteig, ein Wachmann kniet auf ihm.
Die Bundespolizei ermittelt nun – gegen den Fahrgast, einen 48-jährigen Nigerianer, wegen Schwarzfahrens, gegen die Bahn-Mitarbeiter wegen gefährlicher Körperverletzung. Der Fahrgastverband Pro Bahn lobte bereits die Bahn, die sofort die Polizei eingeschaltet habe.
Es hätten sich mittlerweile Zeugen gemeldet, sagt eine Sprecherin der Bundespolizei. Weitere Auskünfte will sie jedoch nicht geben. Alle weiteren Details, so die Sprecherin, könnten weitere Zeugen beeinflussen. Wurde der Mann verletzt? Wo ist er jetzt? Gibt es weitere Erkenntnisse zum Geschehen? Kein Kommentar.
Natalija Miletic ist bislang als Einzige mit ihren Beobachtungen an die Öffentlichkeit gegangen. Ihrer Erzählung zufolge war den Handgreiflichkeiten der Sicherheitsleute keinerlei Aggressivität des Fahrgasts vorausgegangen. Auf die Fragen, die ihr mehr wie ein Verhör vorgekommen seien, habe er auf Englisch geantwortet, schließlich auch einen Ausweis vorgezeigt. Die Kontrolleure hätten die Personalien aufgenommen, den Mann dann gefragt, wie viel Geld er bei sich habe. Die 9 Euro, die er ihnen gezeigt habe, hätten sie ihm sofort abgenommen und ihm dafür eine Quittung ausgestellt – als Anzahlung auf die 60-Euro-Strafe. Als der Mann das Geld zurückgefordert habe, weil er sich sonst nichts zu essen kaufen könne, sei die Situation eskaliert. Den Rest zeigt das Video.
Rassistische Äußerungen der Security-Männer sind in dem Video nicht zu hören. Für Mitelic ist es zumindest aber ein klarer Fall von Racial Profiling, denn während sie die Personalien aufgenommen hätten, habe der eine Kontrolleur zu seinem Kollegen gesagt, der Mann sei ihm schon am Flughafen komisch vorgekommen.
Unzweifelhaft rassistisch sind dagegen viele Reaktionen im Netz. Etwa in den Kommentaren zu Miletic’ Video lassen User ihrer Genugtuung über die Behandlung des Mannes freien Lauf und beschimpfen die Journalistin übel. Mittlerweile hat sie auch anonyme Drohungen per Mail bekommen. „Das hättest du nicht tun dürfen einschließlich dem Geschrei, du Negerfotze“, heißt es etwa. Und: „Wir haben Eure Adresse (…) und wir wissen welches Viehzeug dort haust, also werden wir Euch ausräuchern.“ Miletic will das nicht auf sich beruhen lassen und hat die Polizei eingeschaltet.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
Stromversorgung im Krieg
Ukraine will Atomkraft um das Dreifache ausbauen